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Kersten Augustin MaterieFinanztipps für Christian Lindner

Die Schuldenbremse ist tot, die schwäbische Hausfrau auch. Unser Kolumnist ist Berliner Hausmann und hat Ratschläge für den Finanzminister.

Freut sich über Tipps vom Berliner Hausmann: Finanzminister Lindner Foto: imago

H aushalt. Was für ein komisches Wort. Vielleicht wäre die Lage besser, wenn wir unsere Staatsfinanzen Budget nennen würden, so wie andere Länder auch. Und nicht ein Wort benutzen für etwas, das niemand haben will: schmutzige Wäsche, fettige Pfannen. Vielleicht hätte die schwäbische Hausfrau dann nie Karriere gemacht, vielleicht hätte es die Schuldenbremse nie gegeben, vielleicht wäre Christian Lindner nie Finanzminister geworden.

Es muss an der Sprache liegen, dass kaum ein Industrieland so eine niedrige Staatsschuldenquote hat und so wenig in seine Zukunft investiert. Wer in Deutschland über Brücken fährt, den Zug benutzt, in der Schule aufs Klo gehen will, der weiß, dass der Satz „Deutschland schafft sich ab“ des großen Rassisten und kleinen Finanzpolitikers Thilo Sarrazin eine neue Bedeutung bekommen hat.

Ich bin keine schwäbische Hausfrau, nur ein Berliner Hausmann in Teilzeit. Und wenn Sie denken, dass ein taz-Redakteur, der sich unterhalb des Tarifvertrags selbst ausbeutet, keine Finanztipps geben sollte, haben Sie recht. Ich habe trotzdem welche, für Christian Lindner und die Bundesregierung:

1) Es ist okay, bis über beide Ohren verschuldet zu sein. Bevor man Schulden hat, gruselt man sich ein bisschen. Aber jetzt wünschte ich, ich hätte mehr Schulden, dann hätte ich auch mehr Geld.

2) Wenn die Kinder beim Einkaufen quengeln, kriegen sie, was sie wollen. Herr Lindner, probieren Sie es aus, wenn Ihre Ministerkollegen Wünsche haben. Die meisten Konflikte lassen sich mit Geld lösen.

3) Regeln sind keine, wenn man sie bei jeder Gelegenheit aussetzt. Dann sollte man sie lieber abschaffen. Das gilt bei der Schuldenbremse wie in der Erziehung. Ich mache den Fehler selbst und drohe meinen Kindern: Räum das auf oder ich schmeiß es weg! Dann schmollt meine Tochter und sagt: Das sagst du jedes Mal. Sie weiß, dass es leere Worte sind.

Das deutsche Klischee

wochentaz

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Die Schuldenbremse wurde 2020 und 2021 (wegen Corona) und 2022 (wegen Krieg) ausgesetzt. Immer gab es gute Gründe. Aber wenn immer mehr Krisen zu lösen sind, dann wird aus der Ausnahme die Regel.

Lange war das Klischee, das die Deutschen über sich selbst erzählten, dass sie fleißig seien und mit Geld umgehen könnten, anders als etwa die Griechen. Es ist wenige Jahre her, da stolzierten die Deutschen breitbeinig durch Europa und zerstörten lieber die Wirtschaft anderer Länder und gefährdeten den Zusammenhalt der EU, als vom eigenen Dogma abzulassen. Heute wundert man sich im Rest Europas, dass Deutschland an einer veralteten Ideologie festhält. In anderen Ländern werden Inves­ti­tio­nen nicht als Schulden verbucht.

Selbst der Berliner Bürgermeister hat in dieser Woche mehr Verstand als die Ampelregierung: „Ohne Investitionen bröckeln nicht nur unsere Straßen, Schienen und Schulen“, schreibt Kai Wegner, „ohne Investitionen bröckelt die Zukunft unseres Landes.“

Herr Lindner, noch ein Tipp von meinen Kindern

Nur Lindner, der Oberideologe, will nicht zugeben, dass er sich geirrt hat. Auf der Pressekonferenz, auf der er angekündigt hat, die Schuldenbremse auch 2023 auszusetzen, hat er das Wort nicht einmal ausgesprochen. Seine Pressesprecherin war gezwungen, der Welt zu erklären, was ihr Chef da meinte. Herr Lindner, noch ein letzter Tipp von meinen Kindern: Probleme verschwinden nicht, wenn man sich die Augen zuhält.

Aber es gibt Hoffnung. Jener Kai Wegner, der heute die Schuldenbremse ändern will, war 2009 einer von 418 Bundestagsabgeordneten, die für die Einführung der Schuldenbremse stimmten.

Christian Lindner, was Kai Wegner kann, können Sie auch!

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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14 Kommentare

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  • SPARSCHwEIN



    KEIN neuss Kanzleramt 2.0 bauen, KEINEN KILOMETER neuer Autobahn, auch, wohl, keine neuen ICE-Strecken. Dafür: Brücken sanieren, Schienen sanieren, Straßen sanieren (auch und gerade innerorts!), Schulgebäude sanieren, Krankenhäuser .... Einseitigkeit zugunsten angeblich spinnerter Radfahrerinnen könnte einer solchen Politik wahrlich niemand vorwerfen. Auch Minderheitenbelustigung wie Sanierung/Qusasi-Neubau von Opernhäusern und Staatstheatern, derzeit Dauerbrenner quer durch die Republik: das müssenwer wohl eher auf die lange Bank schieben. Weiterbau von Stuttgart 21 abbrechen und den oberirdischen Bahnhof retten, tatsächlich Bundeswehrequipment "von der Stange" kaufen, Gehälter von Ministerinnen, Staatssekretären, Abteilungsleiterinnen, Rundfunk"intendantinnen" und Staatsorchersterdirigenten deckeln, Bundesbahn verstaatlichen, Länderfinanzausgleich abschaffen (aber die Bayern dürfen dann auch gern alldas zurückzahlen, was SIE jahrzehntelang BEKOMMEN haben, bevor sie zu Zahlern wurden).



    EU-Budgets (alle) auf ein Drittel runter, kommunale bis staatliche Ausgaben aus den lokalen und nationalen Budgets finanzieren. Und trotz bundesdeutscher Existenzangst als "Exportweltmeister": schrittweise Marktabschottung der EU wo nötig (Agrarprodukte, Elektronik, Solar), dann brauchen wir weniger staatliche Subventionen.

  • "Heute wundert man sich im Rest Europas, dass Deutschland an einer veralteten Ideologie festhält. In anderen Ländern werden Inves­ti­tio­nen nicht als Schulden verbucht."

    Bei dieser "Argumentation" muss ich mal herzhaft lachen.

    1.) Es ist ja schön, dass "andere" Länder (welche?) dies anders sehen. Richtig ist aber auch, dass die stabile Eurozone eben auch deswegen so stabil ist, weil es innerhalb dieser Zone so robuste Volkswirtschaften wie D gibt, die ihre Schulden im Auge behalten und gerade deshalb extrem kreditwürdig sind.

    2.) Mit der Klassifizierung "Investition" kann ich jedewede (schuldenfinanzierte) Geldverteilung begründen, sogar die sozialen Wohltaten die gießkannenweise über die Bevölkerung ausgekippt werden, einfach mit dem Vermerk, dies sei eine Investition in die Zukunft.

    3). Schuldenfinanzierte Investitionen haben nur dann einen Wert, wenn daraus ein "Return of Invest" entsteht. Bleibt dieser aus, bleiben am Ende nur noch mehr Schulden.

    4.) Wenn in anderen Ländern kreative Buchführung gemacht wird ist dies mitnichten ein Qualitätsmerkmal. Auch eine x-beliebige Firma kann unbegrenzte Schuldenaufnahme auf Dauer nicht rechtfertigen, wenn die damit erzeugten Investitionen keinen Ertrag bringen. Dann bleibt für den Insolvenzverwalter nur eines übrig: eine überschuldete Firma abzuwickeln. Schulden sind, egal wie sie verbucht werden, eben nur eines: Schulden.

  • "Investitionen nicht als Schulden verbucht": Investitionen, die durch RENDITE ihre eigene Schuldenfinanzierung zurückzahlen können, lassen sich in dieser Art kalkulieren. Produktion brummt, Absatzzahlen stimmen, Geld da, Kredit getilgt. Aber staat produziert nix, und braucht dennoch 'Rendite': sprich, muss sicher sein, der Wirtschaft die entsprechend in Form von Infrastruktur vorfinanzierten Mittel wirklich zeitig wieder abzuknöpfen, also die Schulden der Wirtschaft einzutreiben, um die aufgenommenen STAATS-Schulden zurückzuzahlen.



    Das Steuer, i.e. das Steuersystem, muss in die richtige Richtung zeigen: ausgeglichener Haushalt. Und (aufgrund des wirtschafstseitigen Meckerns) festgeschriebene falsche Schuldenmacherei: Dienstwagenprivileg, sinnlose Regionalflughäfen, Stuttgart 21, ..... ? Dürften nicht sein. Hier fehlt die Kontrolle.



    Das supererfolgreiche Italien zeigt, wie Staat und Wirtschaft sich ins eigene Knie schießen per Überverschuldung, und dann wehklagt italiener , seine Staatspapiere nur zu weit höheren Zinsen losschlagen zu können als insbesondere die BRD: "Lo SPREAD". Und versteht überhaupgarnicht, worin dieser "lo SPREAD" wohl seine Ursache haben könnte ??? Da sind, einhellig quer durch Italiens Presse, Rundfunk, Regierung, dann Merkel und Sarkozy schuld, oder jetzt halt :::: [bitte ausfüllen] .



    Das Mantra von gegenzyklischem Investitonsverhalten des Staates hinkt gewaltig: Dazu gehörte auch ein substantieller Schuldenabbau in "guten" Zeiten. Damit jedoch hatten wir bislang jedes Mal Fehlanzeige.



    Die Ideologie, Schulden seien völlig egal, der Staat werde aus seinen Schulden eh systembedingt "rauswachsen": ein Märchen von der fieseren Sorte. Knusper knusper Knäuschen, ....

  • Selbst der Berliner Bürgermeister hat in dieser Woche mehr Verstand als die Ampelregierung: „Ohne Investitionen bröckeln nicht nur unsere Straßen, Schienen und Schulen“, schreibt Kai Wegner, „ohne Investitionen bröckelt die Zukunft unseres Landes.“

    -- Hahaha, wenn es sogar der Berliner Bürgermeister besser kann als der Bundesfinanzminister: Was ist dann los in diesem Land?

    Es könnte natürlich auch sein, dass Christian Lindner einfach seine Klientel der rechtmäßig, unrechtmäßig oder halblegal zu Vermögen Gekommenen (plus Erben natürlich) vertritt.

    Denen ist es ziemlich egal, ob das Land auseinanderfällt, solange sie für die Instandsetzung keine Steuern zahlen.

    Das würde vielleicht auch den verfassungswidrigen Haushalt erklären.

    Oder war es einfach die Sorglosigkeit, Inkompetenz und Dickfälligkeit eines Luftbeutels?

    Sehr gefallen hat mir auch die Bemerkung über den "großen Rassisten und kleinen Finanzpolitiker Sarrazin". Genauso ist es, der Rassist scheint immer durch und der Finanzpolitiker, der weder rechnen kann noch langfristig denkt, hat Berlin maßgeblich zu dem unsozialen Moloch gemacht, das es heute ist.

    Danke vielmals noch für einen kaputten Wohnungsmarkt und zerstörte Infrastruktur! Hoffe die Pension schmeckt!

    Guter Kommentar, genug mit dem neoliberalen Spuk. Bitte zurück zu Keynes, New Deal und den ganzen anderen Dingen, die funktionieren und den Wohlstand aller vermehren.

    Zeit für Action :-)

  • Dass die Schuldenbremse in Krisenzeiten wichtige Investitionen und damit auch handlungsfähige Politik verhindert ist ja offensichtlich. Aber mal im Ernst:

    "1) Es ist okay, bis über beide Ohren verschuldet zu sein......Aber jetzt wünschte ich, ich hätte mehr Schulden, dann hätte ich auch mehr Geld."

    Kann man für sich selbst so sehen. Wenn das dann aber später andere für einen abzahlen müssen, dann sollte man sich vielleicht ein, zwei Gedanken mehr machen.

    "2) Wenn die Kinder beim Einkaufen quengeln, kriegen sie, was sie wollen. Herr Lindner, probieren Sie es aus, wenn Ihre Ministerkollegen Wünsche haben. Die meisten Konflikte lassen sich mit Geld lösen."

    Ist das tatsächlich so? Und gilt das im Zweifel auch, wenn der kleine Volker



    erst zufrieden ist, wenn er bei jedem Einkauf mehr Teile für seine Autorennbahn bekommt?

    "3) Regeln sind keine, wenn man sie bei jeder Gelegenheit aussetzt. Dann sollte man sie lieber abschaffen."

    Mag sein. Nun ist Christian Lindner halt einfach nicht in der Position, die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse einfach mal abschaffen zu können. Dafür brauchts immer noch eine Zweidrittelmehrheit des Bundestags. Und die wäre mit der Opposition grad eher nicht zu erwarten. Daran ändern auch die Nöte des Bürgermeisters einer notorisch finanziell klammen Stadt nix.

    Lindner hat sich verpokert und muss jetzt Kröten schlucken. Von Herrn Augustin würd ich mich aber auch nicht beraten lassen wollen.

  • "Es muss an der Sprache liegen, dass kaum ein Industrieland so eine niedrige Staatsschuldenquote hat"



    Die (dreisprachige) Schweiz hat 39% Staatsschuldenquote und eine deutlich bessere Infrastruktur. (de.wikipedia.org/w...aatsschuldenquote). Da verrottet auch nichts. Sind Sie mal in der Schweiz Zug gefahren?



    Die Alternative wäre, die Regeln einfach mal umzusetzen? Sie müssen die Spielsachen ja nicht wegschmeißen, man könnte sie auch an ärmere Kinder verschenken. Berlin als Maßstab zu nehmen, das letztes Jahr 3,6 Mrd Länderfinanzausgleich bekommen hat (de.wikipedia.org/w...erfinanzausgleich), da ist es leicht, in die Infrastruktur zu investieren. Zahlt ja jemand anders. Dass der Bürgermeister von Berlin offensichtlich kein Problem damit hat viel Geld auszugeben, das er nicht hat, ist ja nichts neues. Warum wollten wohl die Länder aus Südeuropa Eurobonds? Warum muss Italien fast das Doppelte an Zinsen für Staatsanleihen zahlen im Vergleich zu Deutschland? (de.statista.com/st...eischen-laendern/). Liegt es vielleicht doch daran, dass man Deutschland eher zutraut, die Staatsschulden auch in Zukunft zu bedienen?

  • Wenn man das Taschengeld fuer Suessigkeiten ausgibt, ist fuer den Schulranzen kein Geld mehr da.



    Den Schulranzen dann als Zukunftsinvestition zu preisen soll doch nur davon ablenken, dass das Taschengeld fuer Schnuggelkram verprasst wurde.

  • Es wird immer behauptet wegen der Schuldenbremse seien keine Investitionen möglich. Das ist doch Quatsch. Man könnte in sehr viele sinnvolle Projekte investieren, dafür müsste man halt einfach woanders weniger ausgeben. Unsere Politiker haben sich dafür entschieden den Sozialstaat immer weiter aufzublähen (Rente mit 63, "Bürgergeld", Sonderbehandlung für ukrainische Flüchtlinge, ...), dann fehlt halt das Geld für die Investitionen in die Zukunft. So einfach.

  • Danke. Gute Zusammenfasung.

    Nur eins zum letzten Satz: Lindner kann nix.

    • @tomás zerolo:

      👍👍👍👍👍👍

  • Überhaupt ist die Zitierung der "Schwäbischen Hausfrau" irreführend, vielleicht auch populistisch, denn ein Staatshaushalt ist sehr wohl *nicht* mit einem Privathaushalt zu vergleichen.



    Ein Staat kann weitere Einnahmequellen erschließen. Ein Staat kann dauerhaft umschulden, somit sinken die Schulden aufgrund der Inflation mittel- und langfristig im Verhältnis.

    • @Ciro:

      Der Staat kann bei steigenden Schulden nicht nur die Einnahmen steigern, er MUSS das dann tun, denn sonst geht die Prognose mit der 'Weginflationierung' ja gar nicht auf. Oder eben auf danach steigende wirtschaftliche Aktivität setzen und dadurch bedingte höhere Gewinne und Mehreinnahhmen setzen.



      Umschuldung bei steigenden Zinsen ist tödlich.

    • @Ciro:

      Was, davon, könnte der Privathaushalt nicht?

      • @Sonnenhaus:

        Okay, nicht so einfach.