Kennzeichnung für gute Tierhaltung: Verwaschene Bestnote
Auch konventionelle Tierhaltung soll die Kennzeichnung für die besten Ställe erreichen können. Dazu rät eine Kommission des Agrarministeriums.
Damit stellen sich alle Kommissionsmitglieder aus Behörden, Wissenschaft, Praxis, Branchenverbänden und Umweltorganisationen bis auf den Vertreter des Bioverbands Naturland gegen eine Forderung der Ökobranche. Sie hatte verlangt, dass die höchste Stufe Biobetrieben vorbehalten sein muss.
Die Empfehlungen der Kommission könnten die Position von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) beeinflussen, der an einem Gesetzentwurf für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung arbeitet. Diese soll laut dem Ampel-Koalitionsvertrag den VerbraucherInnen zeigen, unter welchen Bedingungen die Tiere lebten sowie transportiert und geschlachtet wurden.
Ende März machte das Agrarministerium Branchenverbänden den Vorschlag nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung. Er sah 4 Stufen vor: 0 = Bio, 1 = Auslauf, 2 = Außenklima und 3 = Stall. Transport und Schlachtung sollten doch nicht berücksichtigt werden. Das war ganz im Sinne der Bioverbände, die traditionell eng mit den Grünen verbandelt sind. Denn nach dem Entwurf hat Öko automatisch die beste Stufe – und zwar exklusiv. Biotiere werden meist auch nicht besser als konventionelles Vieh transportiert und getötet. Deshalb haben BiolandwirtInnen kein besonderes Interesse daran, dass diese Punkte für die Kennzeichnung relevant werden.
Wieviel gesünder ist bio?
Für diese Bevorzugung von Bio gebe es aber „keine fachliche Begründung“, konterte Agrarprofessor und Kommissionsmitglied Harald Grethe im Branchendienst Agra Europe. Auch Albert Sundrum, Leiter des Fachgebiets Tierernährung und Tiergesundheit an der Uni Kassel, betont immer wieder, dass Biotiere nicht grundsätzlich gesünder seien. Manche konventionellen Bauern haben sogar tierfreundlichere Ställe als viele Biobetriebe. Das Neuland-Siegel etwa verbietet perforierte Böden komplett, Ökovorschriften erlauben sie auf 50 Prozent der Fläche. Dass Biobauern auf chemisch-synthetische Pestizide bei der Futterproduktion verzichten, wirkt sich nicht aufs Befinden der Tiere aus.
Die Kommission argumentiert außerdem, dass Bio schon heute durch die verbindliche EU-Kennzeichnung und das deutsche Biosiegel sichtbar werde. „Eine auch für konventionelle Betriebe zugängige Premiumstufe ist vor allem wichtig, um möglichst viele Betriebe für eine Umstellung auf ein hohes Tierwohlniveau zu gewinnen und die entsprechenden Anreize nicht auf ökologisch wirtschaftende Betriebe zu begrenzen“, so die ExpertInnen weiter.
Die vom Ministerium vorgeschlagene Nummerierung von 0 bis 3 würde die VerbraucherInnen verwirren, heißt es in der Empfehlung. Die Supermarktketten hätten bereits ihre Kennzeichnung von 1 (Stallhaltung) bis 4 (Premium) etabliert. Sie würde wohl noch längere Zeit neben dem staatlichen System existieren, weil dieses vorerst nur für die Schweinemast kommen soll. Die Kommission rät deshalb, „entweder die privatwirtschaftliche Ziffernreihenfolge von 1 bis 4 aufzugreifen oder ganz auf die Ausweisung einer numerischen oder alphanumerischen Ordnung zu verzichten“.
Etabliertes aufgreifen
Eine Stufe könnte zum Beispiel „Stall plus“ heißen. Die gibt es schon in der Kennzeichnung des Handels. Sie sieht mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial für die Tiere vor, als das Gesetz verlangt. Im System nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung wären solche „Stall plus“-Anlagen auf der schlechtesten Stufe („Stall“), weil sie weder Zugang zum Außenklima noch einen Auslauf bieten. Die Kommission warnt, dass dann die jetzigen „Stall plus“-Bauern wieder auf den gesetzlichen Mindeststandard umstellen, denn Außenklima und Auslauf sind für viele zu teuer. Immerhin würden schon fast die Hälfte der Mastschweine nach den Stall-plus-Kriterien gehalten.
Die Biobranche lehnte den Vorstoß jedoch ab: „Die jüngste Empfehlung der Borchert-Kommission läuft darauf hinaus, dass nicht nur beim gesetzlichen Mindeststandard, sondern auch bei der nächsten Stufe den Schweinen weiterhin die Schwänze abgeschnitten werden müssten, weil der Stall zu klein ist“, kritisierte Tina Andres, Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Die KundInnen müssten Biofleisch durch „eine Kennzeichnung – wie beim Ei – klar unterscheiden können von anderen Qualitäten“. Der Umweltbeitrag der Ökolandwirtschaft trage zum Tierschutz bei: „Auch Wildtiere wie Feldhase, Biene oder Rebhuhn bekommen mit Ökolandwirtschaft gesunde Lebensräume. Denn Bio kommt ohne chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger aus.“
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