Kein Braunkohle-Stopp in Turow: Polen will weiter baggern
Der Europäische Gerichtshof hat eine einstweilige Anordnung erlassen. Aber Polens nationalpopulistische Regierung weigert sich, sie umzusetzen.
In Tschechiens Hauptstadt Prag hingegen knallten die Korken, denn der Streit um den Turow-Tagebau und das dazugehörige Kraftwerk im Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland dauert schon Jahre an. Polen grabe ihnen das Grundwasser ab, klagen die Anwohner:innen. Je weiter der Tagebau fortschreite, desto weniger Wasser sei in den Brunnen, die Zehntausende Menschen an der Grenze mit Wasser versorgten. Die Angst, dass die Brunnen bei weiterem Betrieb des Tagebaus endgültig versiegten, sei begründet, gab eine Richterin in Luxemburg den tschechischen Kläger:innen recht.
Doch noch ist es nur eine einstweilige Anordnung. Polen solle den Braunkohle-Abbau bis zu einem endgültigen Urteil stoppen. Da den regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS) aber auch vorgeworfen wird, polnisches wie EU-Recht gebrochen zu haben, könnte das endgültige Urteil ebenfalls ein „Stopp“ bedeuten. Denn die PiS-Regierung verlängerte die Turow-Lizenz zum Braunkohle-Tagebau um weitere 20 Jahre, ohne ein Umweltschutzverfahren durchzuführen, wie es die Gesetze vorsehen.
Mit den direkt betroffenen Tagebau-Nachbar:innen im Dreiländereck, die immer wieder gegen Dreck, Lärm und das Riesen-Loch von über 2.500 Hektar direkt vor ihrer Haustür protestieren, strebte der PiS kontrollierte Staatskonzern PGE weder einen Kompromiss an, noch nahm er überhaupt das Gespräch auf. Dies aber verlangt sowohl das polnische wie auch das EU-Recht, wie Naturschutz-Aktivisten und die Grünen immer wieder anmahnten. Die einstweilige Anordnung des EuGH kommt also nicht so „unerwartet“, wie Premier Morawiecki den Pol:innen weismachen will.
Permanenter Rechtsbruch durch Regierung
In den letzten Jahren weigerte sich Polen mehrfach, Urteile des EuGH in Luxemburg oder des Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg anzuerkennen und umzusetzen. Folgen hatte dies bislang keine, bis auf den Fall des Naturschutzgebiets Rospuda-Tal, durch das die PiS-Regierung eine Schnellstraße auf Stelzen bauen wollte, und den Bialowieza-Nationalpark an der Grenze zu Belarus, in dessen Pufferzone der Staatsforst massive Holzeinschläge plante. In beiden Fällen sorgte die Androhung hoher Finanzstrafen für die Umsetzung der Urteile.
Doch seit auf Polen eine wahre Prozessflut zurollt, versuchen die PiS-Politiker die europäischen Gerichte als „inkompetent“, „unzuständig“ oder gar „parteiisch“ abzuqualifizieren. Damit versuchen sie gegenüber der eigenen Bevölkerung den permanenten Rechtsbruch und das Nichtbefolgen von Gerichtsurteilen als „Verteidigung der Souveränität Polens“ rechtfertigen.
Genau in diese Kerbe schlägt Premier Morawiecki auch im Fall des Turow-Tagebaus. Kurz nach dem Urteil sagte er: „Keine Entscheidung einer europäischen Institution kann die polnischen Bürger:innen einem Risiko aussetzen. Sie kann die Sicherheit der polnischen Bürger nicht gefährden. Aus diesem Grund will ich ganz entschieden betonen, dass wir mit Sicherheit nicht die Gesundheit, das Leben oder das normale Funktionieren der polnischen Familien riskieren werden, nur weil jemand im Europäischen Gerichtshof eine solche Entscheidung getroffen hat.“ Der Strom aus dem Turow-Kraftwerk mache fünf bis sieben Prozent der gesamten Energieversorgung Polens aus. Rund zwei bis drei Millionen Haushalte würden mit Turow-Strom versorgt.
Der von der PiS kontrollierte Staatssender TVP stellte das Urteil als Teil einer antipolnischen Verschwörung vor, in die Deutschland, die USA und Russland verstrickt seien. Bald würden die Deutschen und Russen unter Billigung des amerikanischen Präsidenten Biden die Gaspipeline Nordstream II fertigstellen und prächtige Gasgeschäfte machen, während das polnische Interesse, zur Flüssiggas-Drehscheibe Zentraleuropas aufzusteigen, missachtet werde. Jetzt wolle der Europäische Gerichtshof Polen auch noch dazu zwingen, seine Kohle-Verstromung einzustellen und stattdessen teuren Strom aus Tschechien und Deutschland zu importieren.
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