Kataloniens Ex-Präsident Puigdemont: Von Barcelona nach Europa

Der abgesetzte Präsident Kataloniens soll mit fünf seiner Minister nach Brüssel gereist sein. Gründe für die Wahl der europäischen Hauptstadt gäbe es mehrere.

zwei Polizisten zwischen zwei Fahrzeugen

An seinem alten Arbeitsplatz, der Generalitat, war Kataloniens Oberseparatist Puigdemont am Montag nicht mehr willkommen Foto: dpa

BARCELONA taz | Die spanische Generalstaatsanwaltschaft hat am Montagmorgen ein Verfahren eröffnet gegen den abgesetzten Chef der katalanischen Regierung „Generalitat“, Carles Puigdemont, sein gesamtes Kabinett sowie gegen die Mitglieder des Präsidiums des Autonomieparlamentes. Ihnen wird „Rebellion, Aufstand und Veruntreuung“ vorgeworfen.

Später wurde bekannt, dass Puigdemont und fünf seiner Minister – Regierungsangelegenheiten, Arbeit und Soziales, Inneres, Gesundheit, Landwirtschaft – auf dem Weg nach Belgien sind. Puigdemont und zwei Minister gehören zu der eher konservativen Demokratisch-Europäischen Partei Kataloniens (PDeCat), die anderen drei zur Republikanischen Linken Kataloniens (ERC).

Puigdemont sei „an einem sicheren Ort“ und werde am Dienstag eine Erklärung abgeben, hieß es später im katalanischen Fernsehen. Ein Sprecher der Partido Popular (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy bestätigte die Brüsselreise der sechs. Laut der Zeitung El Periódico sollen sie mit dem Auto nach Marseille gereist sein und dort einen Flieger in die europäische Hauptstadt genommen haben.

Nun fragt sich die Presse in Spanien, ob der Regierungschef und seine Minister in Belgien Asyl beantragen wollen. Der bekannte Liedermacher und Parlamentarier im aufgelösten Autonomieparlament Lluis Llach ist sich sicher, das dem so ist: „Ein exilierter Präsident einer Republik ist eine schwere Anklage gegen Spanien“, erklärte er auf Twitter.

Gründe zur Flucht haben sie jedenfalls. Den Beschuldigten drohen allein wegen „Rebellion“ bis zu 30 Jahre Haft. Hinzu kommen bis zu 15 Jahre wegen „Aufstands“ und bis zu 10 Jahre wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. Die Staatsanwaltschaft beantragte bisher keine Haftbefehle, verlangt aber 300.000 Euro Kaution pro Angeklagten. Sollte einer der Betroffenen den anstehenden richterlichen Vorladungen nicht Folge leisten, wird sofort ein Haftbefehl erlassen, so der Schriftsatz der Staatsanwaltschaft.

„Absolute Verachtung gegenüber der Verfassung“

Laut Generalstaatsanwalt José Manuel Maza haben die Angeklagten mit der Durchführung des Referendums am 1. Oktober und der Ausrufung der Unabhängigkeit Kataloniens am vergangenen Freitag „mit absoluter Verachtung gegenüber der Verfassung gehandelt“. Puigdemont und seine Minister werden vor dem Madrider Sondergerichtshof für Terror, Banden- und Finanzkriminalität, der Audiencia Nacional, angeklagt. Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und ihre drei Kollegen müssen vor den Obersten Gerichtshof, da sie weiterhin parlamentarische Immunität genießen und somit nur dort abgeurteilt werden dürfen.

Puigdemont hatte sich am frühen Montagmorgen auf Instagram gemeldet. Er veröffentlichte ein Foto, aufgenommen aus einem der Fenster des Regierungspalastes der Generalitat. „Bon día“ und ein Smiley begleiteten es. Das Bild war wohl früher aufgenommen worden. Puigdemont war längst auf dem Weg nach Brüssel.

Für die Entscheidung für Belgien gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Zum einen ist Brüssel die europäische Hauptstadt. Die Flucht stößt damit auf viel politisches und mediales Interesse. Zudem prüfe Belgien Auslieferungsanträge genauer als andere EU-Staaten und lehne Auslieferungen regelmäßig ab, berichtet die spanische Presse. Außerdem hatte der belgische Staatssekretär für Einwanderungspolitik, der Flame Theo Francken, am Wochenende in einem Interview angedeutet, Puigdemont könnte Asyl in Belgien bekommen.

Proteste in Barcelona blieben aus

Montag war der erste Tag, an dem Kataloniens Verwaltung nach der Absetzung der Autonomieregierung mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 unter dem Kommando der Madrider Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stand. Alles verlaufe normal, hieß es aus Madrid.

Von den restlichen Mitgliedern der Regierung, gegen die ebenfalls Klage wegen Rebellion erhoben wurde, erschien nur einer kurz an seinem alten Arbeitsplatz und veröffentlichte das Foto in den sozialen Netzwerken. Die anderen blieben fern. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil Madrid angekündigt hatte, dass jeder, der seinen alten Platz einnehme, wegen „Amtsanmaßung“ belangt werden könne.

Größere Proteste gegen die neue Situation blieben am Montag aus. Nur vor dem Gebäude der Vertretung der Generalitat in Puigdemonts Heimatstadt Girona kam es zu einer Menschenkette, die von der Mitarbeiterversammlung beschlossen worden war. Rund 1.000 Menschen umkreisten den Komplex, um zu zeigen, dass sie „den Artikel 155 kategorisch ablehnen“. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift „SOS Demokratie“.

Von den angeklagten „Rebellen“ arbeitete nur die Präsidentin des katalanischen Parlaments Carme Forcadell normal weiter. Anders als die Regierung ist sie noch im Amt. Das Parlament wurde zwar von Rajoy aufgelöst und Neuwahlen wurden für den 21. Dezember angesetzt, doch Forcadell gehört der ständigen Vertretung an, die bis zum Wahltag regelmäßig tagt. Allerdings beugt sich auch Forcadell den Zwangsmaßnahmen aus Madrid. Sie sagte alle Sitzungen des Präsidiums und damit auch die regulären Plenarsitzungen ab.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.