Kaputtgesparte Landkreise: Ein Landrat wehrt sich
Kommunen und Landkreise sind extrem verschuldet. Olaf Scholz hat angekündigt, schnell zu helfen. Kann das klappen? Ein Besuch in Mansfeld-Südharz.
Diese Summe fehlt dem Landrat, um 2025 das Deutschlandticket in den Bussen seines Verkehrsverbundes weiter anzubieten. Selbst wenn der Bundestag, auch mit den Stimmen der Union, vor Weihnachten die Fortführung des Tickets zu einem Preis von dann 58 Euro beschließen wird – auf diesem Fehlbetrag bleibt Schröder sitzen. Die 600.000 Euro einfach als Schulden zu verbuchen, geht nicht. Der Kreishaushalt steht unter Beobachtung des Landesverwaltungsamtes.
Beim Deutschlandticket müsste der Landkreis im neuen Jahr tiefer in die Tasche greifen, weil die bisherige Finanzierungsgarantie Ende Dezember endet. Ab Januar laufen die Zuschüsse dann in gleicher Höhe weiter, obwohl die Ausgaben weiter steigen – fürs Personal, für Energie, für Fahrzeuge. Einnahmen spült das Ticket hingegen kaum in die Kasse. Ein paar tausend Tickets hat die regionale Verkehrsgesellschaft verkauft. Das Gros wird in den Ballungsräumen abonniert. Eigentlich ist das Deutschlandticket ja eine gute Sache, sinniert André Schröder: „Immerhin lichtet es den Tarif-Dschungel.“ Aber die Zeche könne doch nicht an seinem Kreis hängen bleiben?
Deswegen kündigt Schröder an, das Ticket in seinem Landkreis im neuen Jahr abzuschaffen. Der Landrat zuckt mit den Schultern. Was bleibt ihm übrig? Um zu sparen, müsste er den Busverkehr weiter reduzieren, das dünne Angebot noch weiter ausdünnen, weil der Bundestag am Deutschlandticket festhält. Wem soll er das erklären?
Das Ende des Deutschlandtickets
Der Landkreistag Sachsen-Anhalts drohte bereits im August mit dem Ende des Deutschlandtickets bei den kommunalen Verkehrsbetrieben, sollte sich die Finanzierung von Bund und Land nicht erhöhen. Auch der Landkreis Stendal im Norden Sachsen-Anhalts – schon im vorigen Jahr wollte er aus dem Ticket aussteigen – berät derzeit erneut über das Ende, weil Finanzierungszusagen fehlen.
„Politische Zechprellerei ist das!“, platzt es aus Schröder heraus. Die Bundespolitik bestelle immer wieder Musik und die Kommunalpolitik müsse zahlen. Aufgaben über Aufgaben kämen von Bund und Land, klagt Schröder, ohne dass die Finanzierung gesichert sei. „Auskömmlich“ heiße das im Politikdeutsch. Und auskömmlich sei derzeit nichts. Ja, natürlich gebe es Geld von oben für die Vielzahl von Sachen, die die Landkreise erfüllen müssen – „aber nicht genug!“
Immerhin, die Botschaft von bettelarmen Kommunen und Kreisen hat Berlin erreicht. Erst am Montag waren wieder zwei Dutzend Oberbürgermeister bei Scholz eingeladen, um über die schwierige finanzielle Situation zu sprechen. Auf über 154 Milliarden Euro haben sich 2023 die Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbänden summiert, binnen eines Jahres um knapp 10 Prozent.
Olaf Scholz hat angekündigt, immerhin die am stärksten verschuldeten Kommunen noch in dieser Legislaturperiode von den Altschulden zu befreien. Bei der Fragestunde am vorvergangenen Mittwoch hat Scholz im Bundestag dieses Vorhaben bekräftigt, Finanzminister Kukies bereits mit einer Gesetzesvorlage beauftragt und Solidarität eingefordert. Die ist auch nötig: Weil die Entlastung der Kommunen Ländersache ist, braucht es, damit der Bund überhaupt einspringen kann, eine Änderung des Grundgesetzes, mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages, kurzum: Die Union muss mitmachen.
Theater Eisleben gerade so gerettet
Gesetze können Kommunen befreien, aber auch wie Fesseln wirken. CDU-Landrat Schröder spricht davon, dass die Landkreise per Gesetz verpflichtet sind, umzusetzen, was Länderparlamente und Bundestag beschließen. „Deutschlandticket, Wohngeld plus, steigende Anforderungen im Zivilschutz, Cannabisfreigabe“, zählt Schröder auf, „wer erteilt den Anbauvereinen die behördliche Erlaubnis?“ Er zuckt mit den Schultern. „Zum Schluss die Landkreise“, sagt Schröder und klingt dabei leicht frustriert.
Dabei kommt er jetzt erst auf die klassischen „Pflichtaufgaben“ zu sprechen, für die ein Landkreis zuständig ist, wie den Katastrophenschutz, das Rettungswesen, die Abfallwirtschaft und den Bereich Soziales, der inzwischen Unsummen verschlingt, etwa für Unterhalt, Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit. Um über 14 Millionen Euro steigen die kreislichen Kosten 2025 – ohne Deckung. „Sozialausgaben, Personalkosten und Zinslasten, das sind die Defizittreiber.“
Was bleibt da für Wirtschaftsförderung, Tourismus, Sport, Kultur? Die „freien Spitzen“, so heiße der Teil des Haushalts, der für freiwillige Leistungen übrig ist. In seinem Kreishaushalt ganze 2 Prozent, etwa 6 Millionen Euro. Das Theater der Lutherstadt Eisleben, bei dem der Kreis Hauptgesellschafter ist, hängt seit Jahren am seidenen Faden. Anfang 2024 stand die kleine Bühne vor der Insolvenz, der Kreis stoppte Zuzahlungen.
Der finanzielle Abgrund tat sich auf, weil das Oberverwaltungsgericht Magdeburg im Dezember 2023 als oberste Instanz feststellte, dass der von Schröders Kreisverwaltung mühselig zusammengezimmerte Haushalt gesetzeswidrig sei. Die Kommunen, die mit ihrer Kreisumlage etwa 40 Prozent zum Etat des Landkreises beitragen, hatten gegen die Erhöhung der Kreisumlage erfolgreich geklagt, Begründung des Gerichts: Den Städten und Gemeinden müsse eine finanzielle Mindestausstattung bleiben.
Zwischen den Eisbergen
„Und was ist mit unserer Mindestausstattung?“, fragte Schröder. Das, so beschied das Gericht, sei nicht Gegenstand der Verhandlung. Die Kreisverwaltung musste knapp 39 Millionen Euro an die Kommunen zurückzahlen. Für 2024 beläuft sich der Kreishaushalt auf knapp 254 Millionen Euro. Gleichzeitig schiebt der Landkreis einen Schuldenberg von 157 Millionen Euro vor sich her, was zu erheblichen Zinsen führt.
Wo kann er noch sparen? Schröder will die Außenstellen seiner Kreisverwaltung reduzieren. Das Theater Eisleben ist immerhin gerettet, bis 2028. Der Landkreis hat ein zinsloses Darlehen gewährt, und das Land schießt in den nächsten vier Jahren zusätzlich 6,5 Millionen Euro zu. Der Kreis aber versinkt immer tiefer in einem Mahlstrom aus Schulden.
Schröder hat eine bläuliche Grafik hervorgeholt. Das Bild zeigt eine Gletscherlandschaft, zwei Eisberge mit einer Spalte voller Wasser dazwischen. Der eine Eisrücken sei das Bundesland Sachsen-Anhalt, erläutert Schröder. Der andere seien die Städte und Gemeinden. Beide seien stabil und gesichert. Das Land durch die Schuldenbremse: Sachsen-Anhalt könne nicht endlos Millionen von Euro, die es selbst nicht hat, in die Kreise pumpen. Schröder hat dafür Verständnis.
Der andere Gletscher, das seien die Städte und Gemeinden, denen ein Mindestmaß an Finanzkraft zuerkannt wurde, quasi eine Schuldenbremse. Bleibe die Spalte dazwischen – die Landkreise. „Alle rauschen in die Gletscherspalte, nur in unterschiedlichem Tempo.“ Die Kreise saufen ab, keine Schuldenbremse, kein Richterspruch. Schröder, der in Leipzig neben Politik auch Philosophie studiert hat, beendet seine unwirtliche Allegorie.
Verfassungsbeschwerde für Mindesthaushalt
Kein Richterspruch? Das will Schröder nicht länger akzeptieren. Sein Landkreis reicht jetzt gemeinsam mit dem benachbarten Salzlandkreis Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Schröders Forderung, die er am Freitag noch einmal in Magdeburg auf einer Pressekonferenz bekräftigen will: Karlsruhe soll klären, ob es nicht auch für Landkreise eine finanzielle Mindestausstattung geben müsse. Grundlage ist Grundgesetz, Artikel 28 Absatz 2: Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht auf Selbstverwaltung. Dafür bedürfe es Grundlagen für die finanzielle Eigenverantwortung. Schröder will Klarheit. „Wir suchen keinen Schuldigen, wir wollen einen Schiedsrichter.“ Was ist die Selbstverwaltung noch wert, wenn Bund, Länder und Gemeinden immer neue Kosten auf die Kreise abwälzen?
Es geht nicht allein um Mansfeld-Südharz und den Salzlandkreis. Die Kreistage aller anderen Landkreise Sachsen-Anhalts unterstützen diesen ultimativen Gang nach Karlsruhe. Und es geht auch nicht um Sachsen-Anhalt. Es geht bundesweit um die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und kommunaler Ebene bei weiter ausufernden Ausgaben. Der deutsche Landkreistag erwartet 2024 ein Rekorddefizit aller Kreise von 2,6 Milliarden Euro. Über 80 Prozent von ihnen können keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen.
Auch andere Kreise ächzen längst unter den Schulden, am heftigsten der Landkreis Kaiserslautern und die Stadt Pirmasens. Der Kreis und die kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz haben bereits 2019 eine ähnliche Verfassungsbeschwerde eingereicht. Entschieden wurde noch nichts. Die Beschwerde von Mansfeld-Südharz soll demnächst in Karlsruhe eintreffen. Die Verfassungsrichter könnten sie dann in dasselbe Fach legen.
Nichts werde damit besser, hatte André Schröder gesagt, nachdem Olaf Scholz den Stecker der „Ampel“ gezogen hat. Das Deutschlandticket etwa könne nur noch Sachsen-Anhalt retten, wenn es das nötige Geld zuschieße. „Wir sind von der Rechtsprechung eingemauert“, sagt Schröder. Sein Landratsamt sei nichts als ein Schuldgefängnis. „Den Ausbruch kann noch das Verfassungsrecht erzwingen.“
Oder eben eine Verfassungsänderung, mit tatkräftiger Unterstützung von CDU/CSU.
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