Kampf um die „Fusion“: Feiern für alle
Auch das Fusion-Festival leidet unter der Polarisierung durch den Gaza-Konflikt. Wer das Event boykottiert, stellt sich aber selbst ins Abseits.
W er schon einmal auf der Fusion war, weiß: Hier wird vor allem getrunken, konsumiert, getanzt und gefeiert. Aber das mecklenburgische Festival will mehr sein, eine Art Parallelgesellschaft, die für ein paar Tage im Ferienkommunismus lebt. Sie will zeigen, dass ein besseres Leben möglich ist.
Die Frage, welchen Stellenwert dieser politische Anspruch neben all dem Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern hat, ist so alt wie das Festival selbst und hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Streit geführt – beispielsweise über den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit und wer auf dem Festival eigentlich sicher feiern kann.
Die Konfliktlinien verliefen, wie sie innerhalb der Linken eben verlaufen. Doch es gab immer das Gefühl eines unausgesprochenen linksalternativen Grundkonsenses. Gemeinsames Feiern ging irgendwie. Doch seit dem 7. Oktober stellt sich die Frage, wie so eine linke Parallelgesellschaft – und sei es auch nur für ein paar Tage – möglich sein soll.
Der Kulturkosmos, der Verein, der hinter dem Festival steht, hat sich diese Frage auch gestellt und versuchte in einem ausführlichen Newsletter im Februar eine Antwort darauf zu finden. Neben einer Analyse der politischen Lage formulierten sie eigene Ansprüche: Die Fusion solle ein geschützter Raum für alle sein – mit einem breiten und vielstimmigen Meinungskorridor. Ohne Zensur und Boykott, aber mit Regeln. Es heißt: „Wir erwarten aber, bei aller Solidarität für die palästinensische Sache, dass das Existenzrecht Israels unstreitbar ist.“ Wer das leugne, habe auf der Fusion nichts zu suchen. Die Parole „From the River to the Sea“ solle nicht auf Plakaten auftauchen, Hamas-Verherrlichung sei ein No-Go. Zum Schluss forderten sie einen sofortigen Waffenstillstand von allen Beteiligten inklusive eines Waffenlieferungsstopps und der Freilassung aller von der Hamas gefangenen Geiseln.
Der Newsletter rief nur wenige Reaktionen hervor – bis jetzt. Vor einigen Tagen veröffentlichte „Palästina Spricht“ einen offenen Brief. Die vor allem bei jungen Menschen beliebte Gruppe, die propalästinensische Demos organisiert, bei denen es regelmäßig zu antisemitischen Äußerungen kommt, schrieb: „Wir, Künstler:innen aus Palästina, dem Globalen Süden und unsere Verbündeten, haben beschlossen, unsere Teilnahme am Fusion Festival zurückzuziehen.“
Sie begründen ihre Absage damit, dass der Kulturkosmos „ein Apartheid-Regime“ legitimiere. Und weiter: „Trotz des Ziels des Fusion Festivals, Frieden und Einheit zu fördern, unterstützt ihr Ansatz das anhaltende Leid des palästinensischen Volkes.“ In den vergangenen Jahren hatte die Gruppe die Fusion beispielsweise mit Veranstaltungen und Workshops aktiv mitgestaltet. Doch jetzt möchte „Palästina Spricht“ nicht mehr sprechen, jetzt wollen sie boykottieren. Und klar ist, dass diesem Aufruf einige folgen werden.
Keine klaren Fronten
Dass es im Streit um den Nahostkonflikt innerhalb der Linken keine Einigkeit gibt, ist ein Zustand, den wir vielleicht aushalten müssen. Dass in den letzten Monaten aber keine ordentliche Debatte mehr möglich ist, nicht. Statt miteinander ins Gespräch zu gehen, werden Veranstaltungen gekapert oder boykottiert, Personen ausgeladen, wird mit harten Vorwürfen um sich geworfen. Räume werden unsicher, Freund_innenschaften und politische Allianzen zerbrechen.
Wie bei einem Fußballspiel geht es nur noch um die Frage, für welches Team man ist: Pro Palästina oder Pro Israel. Dieses Narrativ wird medial gepusht und ist auch innerhalb einiger Linker verbreitet. Doch in echt verläuft der Konflikt nicht an zwei klaren Fronten. Die Stimmen sind vielfältiger, die Fragen komplizierter als ein einfach dafür oder dagegen sein.
Und während auf der Berliner Sonnenallee und in den Universitäten dieses Landes zur Intifada aufgerufen wird und antisemitische Parolen propagiert werden, fragen sich immer mehr Linke in diesem Land: Wo ist eigentlich unser Ort? Wo können wir noch streiten und diskutieren? Wo können wir uns gegen das Elend in Gaza stellen, ohne uns bei Antisemit_innen einzureihen?
Es gibt diese linken Orte – verschiedene Clubs, Akteur_innen und Bewegungen bemühen sich um Austausch und Solidarisierung mit einer klaren Kante gegen Antisemitismus – doch sie sind rar. Ein beständiges Beklagen, dass die Orte nicht ausreichen, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig hilfreich. Denn wer Orte will, der muss sie sich nehmen.
Dass das nicht einfach ist, steht außer Frage. Doch zu resignieren und im Lamentieren zu verharren, kann nicht die Antwort sein. Genauso wenig, wie linke Orte kampflos aufzugeben. Denn die Größe des Gejammers lässt vermuten, dass eigentlich genügend Menschen da sind, um Räume zu schaffen.
Konkret kann das heißen: Linke Demos, Partys und Fundraiser besuchen und organisieren und sich dort Antisemitismus und Rassismus konsequent in den Weg stellen. Mit Kommiliton_innen, Arbeitskolleg_innen und Freund_innen ins Gespräch gehen, wo es noch möglich ist. So lange streiten, bis rote Linien nicht überschritten werden. Rote Linien wie: Das Existenzrecht Israels ist unbestreitbar, Antisemitismus gilt es entschieden entgegenzutreten, die humanitäre Katastrophe in Gaza gehört sofort beendet.
Was das für wen konkret bedeutet, gehört ausgehandelt – dieser Prozess kann schmerzhaft und kräftezehrend sein. Und wie weit man dabei über seine eigene Schmerzgrenze gehen möchte, kann nur eine individuelle Entscheidung sein.
Vielleicht gelingt es der Fusion dieses Jahr ja doch, dass Linke neben all dem Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern miteinander ins Gespräch kommen. Aber auch die Universitäten, die Bars, die Clubs und die Straße können solche Orte sein. Ob das gelingt, entscheidet sich an der Frage, wer sich den Ort nimmt.
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