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Kämpfe an ukrainischem AKWDen Super-GAU verhindern

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk in Europa. Umso bedrohlicher sind die gegenwärtigen Kampfhandlungen dort. Nun ist die IAEO in der Pflicht.

Russland beschuldigt die Ukraine und umgekehrt: Atomkraftwerk Saporischschja Foto: Alexander Ermochenko/reuters

F ast zehn mal mehr atomare Brennstäbe befinden sich derzeit in Europas größtem Atomkraftwerk, dem ukrainischen AKW Saporischschja in dem Städtchen Enerhodar, als 1986 im Unglücksreaktor von Tschernobyl. Bewaffnete Kämpfe, wie sie sich derzeit am AKW Saporischschja abspielen, hat es in der Geschichte der Atomenergie noch nie gegeben.

Die Russen beschuldigen die Ukrainer, das von russischen Truppen besetzte AKW zu beschießen. Die Ukrainer machen den Russen umgekehrt den Beschuss zum Vorwurf. Dass die Russen militärische Gewalt im AKW anwenden, ist allein durch die Besetzung und der Stationierung von Waffen erkennbar. Aber auch die Ukrainer haben zugegeben, mindestens einmal auf das AKW geschossen zu haben.

Verhandlungen sind der einzige Ausweg aus dieser gefährlichen Situation. Schwierig, aber nicht aussichtslos. Beim Getreide hat man sich schließlich einigen können. Russland und die ­Ukraine sind bei der Getreidefrage sogar bereit, miteinander in einer gemeinsamen Kommission zu arbeiten.

Können diese Verhandlungen Vorbild für eine Entspannung der Situation um das AKW Saporischschja sein? Nun, beim Getreide geht es um Geld, um viel Geld. Ginge es „nur“ um humanitäre und ökologische Belange, würde sich, so traurig und zynisch das klingen mag, eine dringende Lösung für das AKW Saporischschja wohl kaum finden lassen.

Geld und Macht

Aber auch beim AKW Saporischschja geht es um Geld und Macht. Die Ukraine will den lukrativen Atomstrom ins Ausland verkaufen, Russland will mit diesem die besetzten Gebiete mit Strom versorgen. Und der russische Atomkonzern Rosatom will keine Partner im ­internationalen Atomgeschäft verlieren.

Die Hoffnung richtet sich auf die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), in dieser Gemengelage einen Ausweg zu finden. Ziel ist, zumindest die Atomanlage von den Kampfhandlungen zu verschonen. Endlich hat auch die ukrainische Seite Bereitschaft signalisiert, einer IAEO-Delegation den Zugang zum AKW zu ermöglichen. Jetzt ist Eile geboten.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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12 Kommentare

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  • Neben vielfältigen anderen Gefahren bedeuten AKWs auch immer einen strategischen Vorteil für potentielle Angreifer. Das russische Militär benutzt das AKW Saporischschja als Schutzschild und militärisches Depot, weil das ukrainische Militär dieses nicht angreifen kann, ohne einen atomaren GAU zu riskieren.

    Umgekehrt würde das nicht funktionieren. Im Gegenteil, die russische Armee würde eine atomare Verseuchung möglicherweise sogar als Teil ihrer Kriegsführung in Kauf nehmen, sozusagen als vom Gegner zur Verfügung gestellte schmutzige Bombe.

    Atomkraftwerke bringen also strategische Vorteile nur für angreifende Militärs, niemals für Verteidiger:innen. Das sollten wir bei Diskussionen um Laufzeitverlängerungen nicht außer Acht lassen.

  • Der Kraftwerkstyp von Saporischschja ist nicht vergleichbar mit dem von Tschernobyl.



    Tschernobyl: graphitmoderierter wassergekühlter Siedewasser-Druckröhrenreaktor



    Saporischschja: wassermoderierter wassergekühlter Druckwasserreaktoren

    Graphit in Verbindung mit Wasser hat damals zur Entstehung von Wasserstoff und damit zur Explosion geführt. Soll zwar nicht heißen, dass Saporischschja wesentlich sicherer ist, diese Art von GAU ist dort aber nicht möglich!

    • @Mopsfidel:

      Wasserstoff kann bei ausbleibender Kühlung auch in einem Druckwasserreaktor entstehen, weil dann die Zirkoniumhüllen der Brennstäbe als Katalysator wirken. In Fukushima ist genau das gleich drei Mal passiert.

      • @Ingo Bernable:

        Und genau in Fukushima hatces kein Graphitfeuer gebrannt, mit dem radioaktives Material über tausende Kilometer verbreitet wurde.



        Selbstverständlich ist die Sache alles andere als harmlos. Gerade darum sollte sich Panikmache von selbst verbieten.

        • @Carsten S.:

          Dort wurde der Fallout zum allergrößten Teil aufs Meer geweht, hätte bei anderen Windverhältnissen aber durchaus auch Tokio erreichen können, auch wenn das keine tausende sondern 'nur' gut 200 Kilometer entfernt ist.

  • Russland könnte somit einen alternativen Atomkrieg gegen die Ukraine führen. Das Land wäre unbrauchbar für lange Zeit. Sollte Ostwind herrschen trifft es natürlich auch die eigene Bevölerung, dürfte den Barbaren im Kreml jedoch wurscht sein.

  • Also ich sehe die Angelegenheit pragmatisch: Russland ist abhängiger von China als je zuvor.

    Diese führt auf dem Landweg auch massiv durch die Ukraine. Xi Jiping wird sicherlich, wenn der Krieg vorüber ist, dort nach wie vor Waren verschicken können.

    Sollte aber eines der Atomkraftwerke in der Ukraine wegen Russland PUFF machen, dann ist es gut möglich, dass es das mit der neuen Seidenstraße war.

    Und in Peking ein gewisser Xi Jiping auf Putin äußerst sauer ist... und ich denke, das will Putin nicht erleben.

  • "Was muss denn noch passieren?

    Wer in solch einer Gemengelage in Deutschland noch immer von der Wiedergeburt der Atomkraft träumt, sollte endlich aufwachen. Kernkraft bleibt eine Hochrisikotechnologie, deren Sicherheit nicht zu 100 Prozent garantiert werden kann - weder im Kriegsfall noch im Krisenfall. Was muss denn noch passieren, damit das endlich in allen Köpfen ankommt?!"



    www.n-tv.de/politi...ticle23513169.html



    Und was meinen die Grünen dazu - können sie angesichts dessen immer noch z.T. für AKW-Streckbetrieb sein?

    • @Brot&Rosen:

      Auch FFF verhält sich eher wortkarg angesichts der drohenden Atomkatastrophe in der Ukraine.



      Erwähnte lediglich (am 26.7.2022 auf twitter), daß die Bundesregierung Scheindebatten über Atomkraft führen würde.

      • @Brot&Rosen:

        FFF befindet sich in einer argumentativen Zwickmühle und mehr als nebulöse Kommentare sind nicht drin.

        Argumentiert FFF, dass das AKW verteidigt werden muss, dann fragen sich alle, warum FFF sich nicht mehr für die Umwelt schert und nun Panzer und Munition in ihrer Agenda sind.

        Will FFF, dass man das AKW samt Kernbrennstäben evakuiert, wäre das wie das Aufgeben der Ukraine, bzw. ein Zuspruch der Einnahme von Russland. Oder es kann als eine Provokation interpretiert werden, weil man Russland die Brennstäbe wegnehmen will.

        Man könnte letzteres bevorzugen und davon ausgehen, die Russen interessiert es nicht, was Umweltorganisationen denken. Aber in diesen Belangen sind die Mitglieder von FFF erstmal die Hände gebunden.

      • @Brot&Rosen:

        Ja was sollen FFF oder der Rest der Weltöffentlichkeit denn sagen?



        Die russische Armee hat durch die militärische Besetzung eines AKW mit schweren Waffen, und Benutzung derselben aus dem AKW heraus, einen gemeingefährlichen Zustand erzeugt. Dieser gemeingefährliche Zustand ist sehr leicht zu beheben, indem die russische Armee aus dem AKW wieder abzieht. Das wird sie aber nicht freiwillig tun, solange aus ihrer Sicht die Vorteile die Nachteile überwiegen, also nützen keine Appelle. Man kann nur (diplomtisch und militärisch) daran arbeiten, dass die Nachteile für die russische Seite überhand nehmen, dann werden sie abziehen. Das haben sie in Tschernobyl Ende März ja auch getan.

        • @Barbara Falk:

          Eines ist sicher:



          Putins Schergen werden nach der Zerstörung eines Teils der Kraftwerksblöcke abziehen. Möglicherweise wird das auch das Ende dieses Krieges sein, da ein großer Teil der Ukraine dann nicht mehr bewohnbar sein wird und die Stromversorgung für die besetzten Gebiete nicht mehr ausreichend funktioniert.



          Zumindest kann ein Großteil des verstrahlten Getreides noch als Biobrennstoff genutzt werden. Das wird die Spritpreise etwas senken, zur Freude der Verbrennerfreunde.

          Wieder einmal eine Warnung an uns alle diese lebensbedrohliche Energiegewinnung endlich abzuschalten. Bei uns mindestens am 31.12.2022 und keinen Tag später.



          Es reicht allein schon die auf uns zukommende Erhöhung der Grundstrahlung wegen der teilweise Zerstörung der Ukrainischen Kraftwerksblöcke.



          Aber vermutlich muss erst in Frankreich, Belgien oder bei München ein atomarer Unfall erfolgen, bis auch Söder, Merz und alle anderen Populisten um ihr eigenes Leben fürchten und endlich verstehen um was es hier eigentlich geht.

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