Juristin über die Klimakrise: „Gerichte für Klimaschutz anrufen“
Illegale Aktionen der Klimabewegung können juristisch gerechtfertigt sein, meint Anwältin Roda Verheyen. Sie bekämpft die Klimakrise im Gerichtssaal.
taz: Frau Verheyen, neulich verlieh ein Ökostrom-Unternehmen Ihnen einen Preis als „Stromrebellin“, eine außergewöhnliche Bezeichnung für eine Anwältin. Sehen Sie sich selbst auch als Rebellin?
Roda Verheyen: Nein, so würde ich mich nicht beschreiben. Ich bin Juristin und arbeite mit dem Recht, nicht gegen das Recht.
Eine typische Juristin sind Sie aber nicht …
Das stimmt. Bereits im Studium habe ich fast nie die sogenannte „herrschende Meinung“ vertreten, sondern in der Regel die „Mindermeinung“.
Teile der Klimaschutzbewegung setzen auf zivilen Ungehorsam, brechen also bewusst Gesetze, um auf ein höher stehendes Unrecht hinzuweisen. Was halten Sie davon?
ist Rechtsanwältin in Hamburg. Die 49-Jährige Juristin ist auf Umweltrecht und Klimaschutz spezialisiert. Seit Mai 2021 ist sie auch ehrenamtliche Verfassungsrichterin im Stadtstaat Hamburg. Ihr wohl größter Erfolg war der wegweisende Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im April, bei der sie Teile der Kläger vertrat.
Ich selbst breche nicht das Recht, auch nicht demonstrativ. Als Anwältin und ehrenamtliche Richterin bin ich schließlich Organ der Rechtspflege. Aber ich kann gut nachvollziehen, wenn Menschen aus der Klimaschutzbewegung so verzweifelt sind, dass sie auch symbolische Rechtsbrüche begehen.
Um die Verteidigung solcher Aktivistinnen und Aktivisten besser zu finanzieren, gibt es jetzt den Umwelt-Treuhandfonds, an dessen Gründung ich beteiligt war.
Der Klima-Aktivist Tadzio Müller hat neulich im Spiegel prophezeit, es werde bald eine „grüne RAF“ geben, wenn sich Politik und Gesellschaft weiterhin so ignorant verhalten …
Gewalt gegen Personen ist in den Kriterien des Umwelt-Treuhandfonds ausgeschlossen. Allerdings wird oft übersehen, dass Blockaden oder Schornsteinbesetzungen auch juristisch gerechtfertigt sein können, weil der Einsatz für Klimaschutz notwendig ist.
Gibt es bereits entsprechende Gerichtsurteile?
Nicht in Deutschland, aber zum Beispiel in Großbritannien und der Schweiz. So wurden schon 2008 in England Greenpeace-Aktivisten freigesprochen, die den Schornstein des Kohlekraftwerks Kingsnorth besetzt hatten.
Waren Sie zuerst Juristin oder Umweltschützerin?
Letzteres. Ich habe mich schon als 13-Jährige in der Schule für Umweltschutz eingesetzt, damals für den Verkauf von Getränken in Pfandflaschen. Jura habe ich dann nur aus Interesse am Umweltrecht studiert.
Haben Sie schon als Studentin erste Klimaklagen vorbereitet?
Nein, daran dachte in den 1990er Jahren noch niemand. Auch als wir 2002 das Climate Justice Program [Programm für Klimagerechtigkeit, d. Red.] gründeten, ging es noch nicht um Verfassungsbeschwerden in Deutschland. Aber es war der Beginn, das bestehende Recht argumentativ zu nutzen, um Klimaschutz voranzubringen.
Ist es richtig, wenn Gerichte Klimapolitik betreiben und dem demokratisch gewählten Gesetzgeber Vorgaben machen?
Natürlich soll die Politik die konkreten Maßnahmen bestimmen. Aber die Staaten haben sich im Pariser Klima-Abkommen verpflichtet, die Erderwärmung wirkungsvoll zu begrenzen, und das ist auch zum Schutz von Menschenrechten erforderlich. Deshalb ist es legitim, wenn Gerichte angerufen werden, um dafür zu sorgen, dass die Staaten dieses Ziel umsetzen und einhalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gedanken, dass jedem Staat nur ein bestimmtes CO2-Budget zum Ausstoßen zur Verfügung steht, in den Verfassungsrang erhoben – ein großer Erfolg der Klimabewegung?
Ja, aber das Bundesverfassungsgericht hat nicht als erstes Gericht so argumentiert. Das Verwaltungsgericht Berlin, wo ich 2019 mehrere Familien und Greenpeace vertreten habe, ist bereits von nationalen Klimabudgets ausgegangen.
Auch die niederländischen Urgenda-Urteile, die ich für das Bundesverfassungsgericht übersetzen ließ, argumentierten, dass jeder Staat seinen Anteil an der großen Aufgabe Klimaschutz erfüllen muss. Es sei nicht zulässig, zu behaupten, der eigene Anteil sei nur „ein Tropfen im Ozean“ und daher rechtlich irrelevant.
Als Klima-Anwältin wurden Sie zunächst vor allem mit Klagen gegen Unternehmen bekannt …
Die Klage des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya gegen den Stromkonzern RWE wird derzeit am Oberlandesgericht Hamm verhandelt. Mein Mandant will sein Haus in Peru gegen das klimabedingt drohende Überlaufen einer Gletscherlagune schützen und macht RWE als einen der größten CO2-Emittenten der Welt dafür mitverantwortlich.
Im Mai wird es einen gerichtlichen Ortstermin in Peru geben. Vor Zivilgerichten sind jetzt auch die Klagen gegen die Automobilindustrie anhängig, etwa die von mir vertretene Klage gegen VW, gerichtet auf die Einhaltung des Treibhausgasbudgets.
Was wird das nächste große Klima-Urteil?
Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sind vier wichtige Klimaklagen anhängig. Die Verfahren der portugiesischen Kinder und der Schweizer Klima-Seniorinnen sind schon recht weit gediehen und sehr aussichtsreich. Hier rechne ich im kommenden Jahr mit dem nächsten großen Erfolg.
Leser*innenkommentare
Horstl Fambacher
"die Alternative wäre aber Anarchie"
Ja, wäre schön, nicht?
Gute Ordnung ohne Herrschaftsstrukturen.
Oder meinten Sie chaotische Zustände, dann wäre der Begriff falsch gewählt.
Im Übrigen ist imho ein menschenverachtendes "Gesetz" (da haben wir im deutschprachigen Raum ja hinreichend Erfahrung) ja auch "legal", diesem nicht Folge zu leisten dann ja auch "illegal" aber trotzdem "ethisch" richtig.
Womit wir bei der Frage wären ob im Klimakontext "Illegales" ob der drastischen Folgen des Kohleabbaus usw. nicht auch legitim ist und da wirds dann schon nicht so einfach.
Auch Sabotage wird, wenn die Sabotierenden nicht blindwütig, sondern gezielt und durchdacht zu Werke gehen und zudem keine Personenschäden in Kauf nehmen (also nicht wie die RAF) u.U. durchaus legitim. Mensch denke an die Sabotageakte im Hinterland der Wehrmacht. Wer möchte da rufen es sei illegal gewesen. Alles nicht so einfach.
knackwurst
Würde auch das Folgende gelten?
"Teile der Querdenkerbewegung setzen auf zivilen Ungehorsam, brechen also bewusst Gesetze, um auf ein höher stehendes Unrecht hinzuweisen. Was halten Sie davon?"
"Ich selbst breche nicht das Recht, auch nicht demonstrativ. Als Anwältin und ehrenamtliche Richterin bin ich schließlich Organ der Rechtspflege. Aber ich kann gut nachvollziehen, wenn Menschen aus der Querdenkerbewegung so verzweifelt sind, dass sie auch symbolische Rechtsbrüche begehen."
mensch meier
@knackwurst Wieso "würde"?
Das ist doch genau das tatsächliche Handeln dieser Szene.
Das kann man sehr kritisch sehen, aber es erscheint recht wahrscheinlich, dass ein Szene-Anwalt das so sagen würde.
Sie haben Recht - da würde abstrakt drauf rumgehakt, aber eigentlich wegen der inhaltlich anderen Meinung.
fvaderno
Illegal bleibt illegal! Ob dies von Politikern oder Aktivisten begangen wird ! Die Gesetzte eines demokratischen Staates sind zu respektieren. Dafür haben sich die organe des Staates einzusetzen.
Da klingt zwar nach dem glücklicherweise scheidenden 'Law-and-order-Innenminister', die Alternative wäre aber Anarchie. Denn jeder wird seine Vorstellungen für wichtig und gerechtfertigt halten. Und wenn andere sich nicht an Gesetze halten müssen - warum soll dann der Verrückteste das (mit seinen nach seiner Meinung berechtigten Forderungen) dann tun? Jeder rechtsradikale Freund der leider sogar im Bundestag vertretenen geistigen Nachfolger der Nazi-Verbrecher hätte damit seine Rechtfertigung.
maestroblanco
@fvaderno Dann könnte ich auch losziehen und Windkrafträder zerstören weil die mich nerven, laut sind und Vögel töten....
mensch meier
@maestroblanco ?
Der Bezugskommentar kritisiert den Rechtsbruch doch gerade.
Aber klar: Sie können das machen. Wäre halt illegal, und würde verfolgt, aber versuchen könnten Sie es.
Bei der Gelegenheit:
Unter ne Windkraftanlage finden Sie keine toten Vögel. Warum nur?
tomás zerolo
"Ist es richtig, wenn Gerichte [Klima]politik betreiben..."
Weil das ein Mem ist, das vor allem von Politiker*innen dann gerne ausgepackt wird, wenn ihnen ein Urteil nicht passt: in einem Rechtsstaat schon, nicht wahr? Immer nur, versteht sich, wen sich Politik nicht an Gesetze hält.
fly
"Im Mai wird es einen gerichtlichen Ortstermin in Peru geben. "
Kann man wegen der CO2 Emissionen für den Ortstermin dann auch die Lufthansa und den Staat (Richter) verklagen? Oder wird das abgezogen von der potentiellen RWE Schuld?
Toto Barig
@fly Wieso? Die beim Ortstermin anwesenden Personen aus Deutschland rudern über den Atlantik und queren die Anden mit dem Fahrrad — mit den Gedanken ganz beim Befreiungshelden San Martín!
Lowandorder
Ach was! © Loriot
“ Eine typische Juristin sind Sie aber nicht …
Das stimmt. Bereits im Studium habe ich fast nie die sogenannte „herrschende Meinung“ vertreten, sondern in der Regel die „Mindermeinung“.“
kurz - Hier ist naturellement der el classico fällig. Gelle.
“Es ist das Privileg der h.M. - herrschende Meinung -
Regelmäßig einmal Mindermeinung gewesen zu sein!
Und es regelmäßig auch wieder zu werden!“
In dem Sinne - Chapeau & Viel 🍀 -
unterm——- ©
Sach ich nich - 🧑🎄🎅🏻 -