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Juristin über Bahnstreik„Streiks müssen wehtun“

Die Lokführergewerkschaft GDL will wieder streiken. Streikrecht habe Vorrang vor Reiseplänen der Bahnkunden, sagt Rechtsprofessorin Lena Rudkowski.

Während des Streiks sicher einfacher zu fotografieren: Ein fahrender ICE auf der Strecke Hildesheim-Berlin Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau Rudkowski, die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) will in dieser Woche streiken, um eine 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Welche rechtlichen Vorgaben muss die GDL beachten?

Lena Rudkowski: Das Streikrecht ist nicht gesetzlich geregelt. Es gibt nur Vorgaben der Gerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts. Im Kern verlangt dieses, dass ein Streik verhältnismäßig ist. Das heißt: der Streik muss erforderlich und angemessen sein.

Bild: R.K.Wegst/JLU Gießen
Im Interview: Lena Rudkowski

37, ist Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Uni Gießen. Sie promovierte zu „Streik in der Daseinsvorsorge“.

Was ist besonders, wenn die Deutsche Bahn bestreikt wird?

Der Bahnverkehr gehört wie Krankenhäuser und Kitas zur sogenannten Daseinsfürsorge. Es wird also nicht die Produktion eines Industrieunternehmens bestreikt, sondern ein Dienst für die Allgemeinheit.

Wie wird dort die Verhältnismäßigkeit geprüft?

Bei einem Bahnstreik wird das Streikrecht, das im Grundgesetz ja vorbehaltlos gewährleistet ist, mit verfassungsrechtlichen Positionen der Bahnkunden abgewogen. Dass Bahnkunden nicht zum eigentlich gewünschten Zeitpunkt fahren können, ist ein Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit. Das hat aber keinen Vorrang vor dem Streikrecht, denn Streiks müssen ja wehtun, sonst wären sie irrelevant.

Bestreikt wird wahrscheinlich auch der Güterverkehr. Wie sieht es hier aus?

Wenn der Güterverkehr zu lange ausfällt und wichtige Rohstoffe oder Bauteile fehlen, können ganze Branchen lahmgelegt werden. Hier kommt es sehr auf die Dauer des Streiks an, ob er noch verhältnismäßig ist. Vermutlich deshalb hat die GDL angekündigt, dass der kommende Streik maximal fünf Tage dauern soll.

Welche Bedeutung haben Notdienste?

In der Daseinsfürsorge sind Notdienste erforderlich, um ein Mindestmaß an Leistungen zu gewährleisten. Meist einigen sich Arbeitgeber und Gewerkschaft geräuschlos auf solche Notdienste oder die Gewerkschaft richtet sie von sich aus ein. Ob auch im kommenden Bahnstreik der eine oder andere Zug fahren wird, ist noch offen.

Kann die Bahn vor Gericht klagen, um einen Streik als unverhältnismäßig verbieten zu lassen?

Grundsätzlich kann sie das. Allerdings ist die Rechtsprechung seit den nuller Jahren eher gewerkschaftsfreundlich. Früher galt ein Streik als Ultima Ratio, als letztes Mittel. Heute wird den Gewerkschaften ein Beurteilungsspielraum zugestanden, wann ein Streik erforderlich und angemessen ist.

Haben entsprechende Eilanträge der Arbeitgeber also gar keine Chance mehr?

Solche Anträge haben sehr selten Erfolg. Aber es gibt Ausnahmen. 2021 beanstandete das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einen Warnstreik in zwei Kliniken, weil kein Notdienst vorgesehen war. Den hat dann das Gericht angeordnet.

Von konservativer Seite wird oft gefordert, das Streikrecht zumindest im Bereich der Daseinsfürsorge gesetzlich zu regeln. Wäre das sinnvoll?

Gesetzliche Regelungen haben den Vorteil, dass sie transparenter sind als reines Richterrecht. Allerdings sind die Interessenunterschiede zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften im Streikrecht so groß, dass es für den Gesetzgeber bequemer ist, die Vorgaben auch künftig den Gerichten zu überlassen. Manche Forderungen, etwa eine Vorwarnpflicht für Streiks in der Daseinsfürsorge, erfüllen die Gewerkschaften inzwischen meist freiwillig. Auch die GDL hat den kommenden Streik vorher angekündigt, damit sich Bahnkunden darauf einstellen können.

Vorige Woche hat die Deutsche Bahn beim Landesarbeitsgericht Hessen eine Feststellungsklage erhoben, weil die GDL nicht mehr tariffähig sei. Worum geht es da?

Die GDL hat voriges Jahr eine Leiharbeitsgenossenschaft namens Fair Train gegründet, die der Bahn Beschäftigte abwirbt, um sie ihr dann zu besseren Konditionen auszuleihen. Die Bahn argumentiert nun, dass die GDL damit selbst Arbeitgeberin sei, daher ein Interessenkonflikt vorliege und sie deshalb als Gewerkschaft keine Tarifverträge mehr erstreiten könne.

Welche Auswirkungen hat dieser Rechtsstreit auf den kommenden Bahnstreik?

Voraussichtlich hat das keine Auswirkungen. Die Bahn hat keinen Eilantrag gestellt. Das Verfahren wirft auch viele neue Rechtsfragen auf. Bis über die Klage der Bahn entschieden ist, kann es noch einige Zeit dauern.

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7 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Die GDL hat voriges Jahr eine Leiharbeitsgenossenschaft namens Fair Train gegründet, die der Bahn Beschäftigte abwirbt, um sie ihr dann zu besseren Konditionen auszuleihen.""

    ===

    Das Problem ist das GDL und Fair Train in einer Personalunion funktionieren. Gewerkschaft oder Leiharbeiterfirma - das ist die Frage - beides zusammen in Personalunion ist eine seltsame Konstruktion.

    Beispiel:



    Eine Gewerkschaft könnte dann zum Beispiel Mitarbeiter von VW vertreten - und diese VW Mitarbeiter im gleichen Atemzug an Opel oder BMW verkaufen.

    Darüber hinaus wirbt die GDL dafür, angesichts des Facharbeitermangels, durch bessere TarifVerträge mit der DB den Beruf des Lokführers durch soziale & finanzielle Besserstellung aufzuwerten.

    Was die GDL in Personalunion mit Fair Train aber defakto betreibt ist ein Abwerben von DB Angestellten in die Leiharbeitsfirma Fair Train - wobei der angestrebte Arbeitgeberwechsel nur möglich ist wenn der Arbeitnehmer auch Mitglied der GDL ist.

  • Ich selbst bin ja nicht auf die Bahn angewiesen (5 Minuten Fußweg zur Arbeitsstelle). Allerdings wird es wieder einen Kollegen treffen, der weiter weg wohnt und eigentlich Nicht-Autofahrer aus Überzeugung ist. Seine Bahnverbindung ist grundsätzlich ideal – wenn die Bahn fährt! Wie wird es bei ihm ankommen, wenn er liest, was Frau RUDKOWSKI sagt:



    „Dass Bahnkunden nicht zum eigentlich gewünschten Zeitpunkt fahren können, ist ein Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit. Das hat aber keinen Vorrang vor dem Streikrecht, denn Streiks müssen ja wehtun, sonst wären sie irrelevant“



    Es wäre hilfreich gewesen, wenn Herr Rath nach einer praktikablen Empfehlung für Leute wie meinen Kollegen gefragt hätte. Da es für ihn keine andere Verbindung gibt, wird er mit schlechtem Gewissen ins Auto steigen müssen und unverschuldet die Luft verschmutzen. Weil anscheinend das Streikrecht Vorrang hat vor der Vermeidung von Lufttverschmutzung!

  • Streiks müssen wehtun - aber nicht zwangsläufig den Kunden.

    Man könnte auch einfach fahren aber keine Tickets mehr kontrollieren, um der Bahn so finanziell zu schaden.

  • 6G
    697175 (Profil gelöscht)

    "Streiks müssenn weh tun" : ok, aber wem ? Es sollte doch die schmerzen, von denen man etwas will, diese Geiselhaft-Methode der GdL ist einfach eine Sauerei gegenüber denen, die wirklich darunter leiden und ziemlich unwirksam dazu, weil ja die "zu erpressenden" nicht wirklich "alles für die Opfer" tun.

    • @697175 (Profil gelöscht):

      Mit Ihrem Argument würden viele Berufsgruppen nicht mehr streiken können: Erzieher, Pfleger, Angestellte des öffentlichen Dienstes im Bürgerkontakt,...



      alles Berufe, wo der Arbeitgeber nur indirekt betroffen ist.



      Vielleicht sollten Sie einfach ihren Unmut an die Geschäftsführung der DB richten und nicht an die GDL.

  • 'Streiks müssen weh tun" sonst bringen sie ja nix lese ich. Schon klar, aber während bei Industriestreiks primär der Arbeitgeber gezielt getroffen wird und nachfolgend erst deren Kunden ist es bei Bahnstreiks genau andersrum. Der Kunde, die Öffentlichkeit wird genervt, damit diese Druck aufbaut. Damit wird gezielt operiert seitens der GDL: Die Alleinerziehende ohne Autooption muss Urlaub nehmen, weil die Bahn nicht fährt. Es trifft letztlich die falschen, denn andere können auf das Auto ausweichen.



    Ganz provokativ: Die Bahn ist insbesondere seitens der Managementebene ein maroder Saftladen, der von den eigenen dreisten Mitarbeitern erpresst wird. Und der Alleingesellschafter deutscher Staat schaut dem Treiben ideenlos zu. Bezahlen tut den ganzen Schlamassel der Kunde und Steuerzahler. Egal wie das ausgeht. Per miesem Service oder/und steigenden Preisen.

    • @Tom Farmer:

      So ist das eben, wenn man den alten Beamtenladen (ohne Steikrecht) Deutsche Bundesbahn auf einen privatwirtschaftlich organisierten Konzern umstrickt.



      Die Lokführer und ihr Dienst sind Daseinsfürsorge (sollen möglichst nicht streiken), und der Vorstand kassiert ab wie in der Privatwirtschaft. Das passt einfach nicht zusammen.