Jobcenter sanktioniert Bettler: Hauptsache Schikane

Einem Hartz-IV-Empfänger wurden die Leistungen gekürzt – weil seine Bettelei als „Nebeneinkunft“ zählt. Das ist nicht nur rechtlich fragwürdig.

Jemand hält eine Hand auf und in der anderen ein Schild mit der Aufschrift "Ich habe Hunger"

Das Dortmunder Jobcenter hält das für ein anrechnungsfähiges Einkommen (Symbolbild) Foto: dpa

Man stellt sich das so vor: Dortmund, Einkaufszentrum in der Fußgängerzone. Vor einem Modehaus sitzt Michael Hansen, 50, Hartz-IV-Empfänger, neben sich sein kleiner Hund, vor sich die Bettelschale. Es kommen nicht viel, aber doch ein paar Euro pro Tag zusammen. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters, von dem Hansen seine Leistung bezieht, beobachtet den Klienten und wird sauer: Hansen wird zum Gespräch gebeten. Am Ende werden Hansen pro Monat 90 Euro an „Nebeneinkünften“ von seiner Hartz-Leistung abgezogen.

Alles sei rechtens, sagt der Sprecher des Dortmunder Jobcenters, Michael Schneider zu dem Fall, über den zuerst die Ruhr Nachrichten berichteten. Es gebe ein Sozialgerichtsurteil in Dortmund, wonach Bettler, die Hartz-IV beziehen, aufgefordert werden könnten, ein Einnahme- und Ausgabebuch über ihre Betteleinkünfte zu führen. Die Zuwendungen werden „ab einer gewissen Dauer und Höhe“ relevant für den Leistungsbezug.

Es ist schon bemerkenswert. Hansen und seine Frau Christa bekommen zusammen rund 760 Euro im Monat vom Jobcenter, dazu die Miete für eine 60-Quadratmeter-Wohnung am Nordmarkt. Ab dem 1. August wurden ihnen wegen Hansens Bettelei 300 Euro von der Sozialleistung abgezogen. Hansen legte Widerspruch ein, der Abzugsbetrag sank dadurch auf 120 Euro. Weil 30 Euro Freibetrag gelten, werden am Ende nur 90 Euro verrechnet.

„Rechtswidrig“ sei die Minderung, sagt der Wuppertaler Sozialrechtsexperte Harald Thomé. Der entscheidende Paragraf 11 a, Absatz 5 im Sozialgesetzbuch II, lautet: „Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit 1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder 2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch (also Hartz IV, BD) nicht gerechtfertigt wären.“

Alles sei rechtens, sagt der Sprecher des Dortmunder Jobcenters

Sind 120 Euro Spendengelder im Monat also eine „günstige Beeinflussung“ der Lage von Hartz-IV-Empfängern, sodass die Sozialleistung daneben „nicht gerechtfertigt“ ist? Oder müsste man hier nicht eher den ersten Satz heranziehen, nach dem eine Anrechnung „grob unbillig“ wäre?

Thomé verweist darauf, dass zum Beispiel der Erlös aus dem Sammeln von Pfandflaschen nicht auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet wird. Auch gab es einen Fall in Göttingen im Jahr 2009, wo einem Sozialhilfeempfänger, der bettelte, die Leistung gekürzt wurde. Nach großer öffentlicher Empörung ordnete der SPD-Bürgermeister Wolfgang Meyer damals an, die Anrechnung zu beenden.

Jobcenter verrechnete Weihnachtsgeschenke

Die Abzüge erinnern an unselige Fälle, in denen das Jobcenter Hartz-IV-Empfängern das Geburtstags- oder Weihnachtsgeld von der Verwandtschaft vom Jobcenter mit der Leistung verrechnete. Das Essen in den Suppenküchen, die Lebensmittel von den Tafeln – diese Dinge werden zu Recht nicht mit der Sozialleistung verrechnet.

Statt Bettler zu schikanieren und sich den Ruf zu versauen, könnte das Jobcenter Michael Hansen einen Freiwilligendienst anbieten; jede Woche ein paar Stunden Sortieren in der Kleiderkammer etwa. Hansen dürfte nicht dazu gezwungen werden. Aber eine „Aufwandsentschädigung“ für solche Dienste ist bis zu einer Höhe von 200 Euro im Monat anrechnungsfrei.

Er müsste bei diesem Dienst nicht mehr stundenlang in der Kälte auf dem Bürgersteig sitzen und sich den mitleidigen, skeptischen Blicken der Passanten aussetzen.

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