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Israels SiedlerbewegungZurück in den Gazastreifen

Bei einem Kongress erneuern Israels Radikale Ansprüche auf den schmalen Gaza-Küstenstreifen. Mit dabei: mehrere Minister aus Netanjahus Kabinett.

Keine Berührungsängste: Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, bei der Konferenz in Jerusalem am Sonntag Foto: Ronen Zvulun/reuters

Sie tanzen, eingehakt im Kreis, und singen, als hätten sie schon gewonnen, als wären die Siedlungen in Gaza schon errichtet: Finanzminister Bezalel Smotrich, Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir und einige andere rechte Siedleraktivist*innen. Gemeinsam mit Tausenden von rechten Ak­ti­vis­t*in­nen versammelten sie sich zu einer Konferenz im Jerusalemer Kongresszentrum unter dem Motto: „Nur Siedlungen bringen Sicherheit.“

Organisiert wurde sie von der radikalen Siedlerorganisation Nahala. Insgesamt nahmen an ihr elf Minister der extrem rechten Regierungskoalition teil. Verschiedene Ak­teu­r*in­nen ringen derzeit um eine Antwort auf die Frage, wie die Zukunft des Gazastreifens aussehen soll. Die radikalideologischen Siedler*innen, die mit ihrer Regierungsbeteiligung enorm an Einfluss gewonnen haben, haben mit der Konferenz ihre Antwort darauf in den Ring geworfen: eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens.

Einige der Redner*innen, unter ihnen Kommunikationsminister Schlomo Karhi von der Partei Likud, gingen noch einen Schritt weiter und forderten die „Förderung der freiwilligen Auswanderung“. Die Zivilbevölkerung des Gazastreifens könne angesichts des Israel aufgezwungenen Krieges nun gezwungen sein, zu sagen, dass sie das Gebiet verlassen wolle. Passend dazu flatterte ein Transparent in der Kongresshalle mit der Aufschrift „Nur Transfer bringt Sicherheit“ von einer Balustrade.

„Es ist Zeit, nach Gusch Katif zurückzukehren“, verkündete Minister Itamar Ben Gvir, der auch Vorsitzender der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit ist. Gusch Katif – das war der Siedlungsblock im Gazastreifen, der im Jahr 2005 einseitig geräumt wurde.

Bulldozer und Tränen

Die Bilder von den Soldat*innen, die ihre Landsleute aus ihren Häusern trugen und in Tränen ausbrachen, von Bulldozern, die Häuser zerstörten, gingen um die Welt. Für die radikalideologische Siedlerbewegung blieb es ein Traum, Gusch Katif wiederaufzubauen, doch der Traum blieb eine Randerscheinung – bis zum 7. Oktober. Mit dem Krieg in Gaza ist er eine ernsthafte Option geworden.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu selbst nahm nicht an der Konferenz teil. Er erklärte am Samstagabend, dass er gegen die Umsiedlung des Gazastreifens sei und dass dies keine akzeptierte Regierungspolitik sei – seine Ablehnung einer Wiederbelebung der jüdischen Siedlungen im Gaza­streifen habe sich nicht geändert, erklärte er auf einer Pressekonferenz am Samstagabend. Viele stellen sich jedoch die Frage, was Netanjahu dafür tun wird, dies zu verhindern.

Oppositionsführer Yair Lapid kritisierte die Veranstaltung heftig und erklärte, die Regierung habe damit „einen neuen Tiefpunkt erreicht“. Die Konferenz sei „eine Schande für Netanjahu und die Partei, die einst im Zentrum des nationalen Lagers stand, jetzt aber ziellos hinter Extremisten hergezogen wird“.

In den sozialen Medien hagelte es wütende Kommentare. „136 von der Hamas in Gaza gefangen gehaltene Geiseln, und die Regierung tanzt“, schrieb der Sprecher der Friedensorganisation Peace Now auf X. Vor dem Konferenzgebäude hatten sich am Samstagabend einige Dutzend Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen versammelt: „Die Initiatoren dieser Konferenz wollen damit die israelische Gesellschaft, die Regierung und die Staatengemeinschaft vor vollendete Tatsachen stellen“, sagte einer.

Der palästinensische Menschenrechtsaktivist Issa Amro aus Hebron betont gegenüber der taz, dass die Sied­le­r*in­nen mit einer Besiedlung im Gazastreifen durchaus erfolgreich sein könnten: „Die Siedler haben bei uns im Westjordanland gelernt, dass die Staatengemeinschaft sowieso wegschaut.“

136 von der Hamas in Gaza gefangen gehaltene Geiseln, und die Regierung tanzt

Sprecher der Friedensorganisa­tion Peace Now

Doch ob die Staatengemeinschaft, allen voran die USA, wirklich tatenlos zusehen würde, ist fraglich. Die Regierung von Joe Biden macht sich seit Monaten verstärkt für eine Zweistaatenlösung stark. Ein Angebot Mitte Januar hätte einen Durchbruch bringen können, nicht jedoch mit der derzeitigen israelischen Regierung unter Netanjahu. Hochrangigen US-Beamten zufolge hatte Saudi-Arabien Israel Mitte Januar eine Normalisierung der Beziehungen angeboten, wenn Israel im Gegenzug den Weg für einen palästinensischen Staat freimachen würde.

Netanjahu hatte dieses Angebot Medienberichten zufolge abgelehnt, dabei versucht er seit Langem, diesen diplomatischen Sieg zu erringen. Doch seinen Wahlkampf, den er in Erwartung von Neuwahlen bereits inoffiziell eingeläutet hat, führt er vor allem mit einer klaren Absage an einen palästinensischen Staat.

Doch das Weiße Haus versucht, die Pläne für die Zukunft – in der Israel möglicherweise unter einer anderen Führung stehen wird – warmzuhalten. Netanjahu werde „nicht für immer da sein“, wurden die US-Beamten weiter zitiert. Allerdings ist auch nicht klar, wie lange Biden noch im Amt sein wird. Sollte Joe Biden bei den nahenden Präsidentschaftswahlen von Donald Trump abgelöst werden, so würde der Weg zu einem palästinensischen Staat wohl vorerst noch einmal steiniger, als er ohnehin schon ist.

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17 Kommentare

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  • "Feiwillige Umsiedlung" hatten 7 Millionen Deutsche 1945. Ein brutales Trauma, aber die Kinder der "Umsiedler" leben heute im Wohlstand. Heimat ist, wo man geboren wird, nicht wo die Grosseltern herkommen.



    Sorry. Brutal, aber wahr. Lieber dem Hass und der Gewalt weglaufen, als seine Kinder abschlachten lassen.



    Übrigens, ich lebe in Brasilien, hier arbeiten Araber und Juden friedlich zusammen.

    • @Friedrich Helmke:

      Was Sie hier vorschlagen nennt sich ethnische Säuberung. Diesen Plan verfolgt der ultrarechte Teil der israelischen Regierung und versucht ihn der Weltöffentlichkeit unter dem Deckmantel des Humanitarismus zu verkaufen. Ähnlich wie Sie es hier tun.

      www.timesofisrael....ry-migration-plan/

  • Eine Einstaatenlösung muss mit dauerhaften Erleichterungen für die in Gaza jetzt lebenden PalestinenserInnen verbunden sein. D.h. sie müssen das Recht bekommen, außerhalb des Karrées namens "Gaza" auf der israelischen Landkarte auf anderem israelischen, vielleicht sogar teils ägyptischen Boden zu siedeln. So würde eine gemischt besiedelte Zone um den Gaza-Streifen entstehen der auf beide Seiten positiv ausstrahlt, v.a. in Richtung aller möglicher Radikaler entradikalisierend, und seine Überbevölkerung vermindert.

    Für die Westbank braucht es eine entkuddelmuddellisierende Lösung:

    Die ganzen Mauern müssen weg!

    In Gedenken an Begin, israelischer Hardliner, und Arafat, einst PLO-Chef, sollten israelische Führung und PLO ein Abkommen schließen, aber diesmal mehr darauf achten, dass es eingehalten wird.

    Für eine Zweistaatenlösung hat offenbar David Cameron eine Lösung in Petto. Die USA könnten die Vermittlerrolle übernehmen, statt den Ton anzugeben, denn schon G.W. Bush's "Roadmap" wies schon keinen Weg zum Ziel und die US-Politik ist im Trump-Zeitalter im permanenten Wahlkampf - der kann keine sinnvolle Lösung hervorbringen!

  • "Zurück in den Gazastreifen



    Bei einem Kongress erneuern Israels Radikale Ansprüche auf den schmalen Gaza-Küstenstreifen."



    Hat ne gewisse Logik, muss man zugeben. Die Aufgabe des Gaza-Streifens 2005 erfolgte unter der Hoffnung 'Land gegen Frieden'.



    Frieden hat's nicht gegeben, ergo...



    Dass das Ganze allerdings mehr dazu dient, noch ein wenig Öl ins Feuer zu kippen, spielt offenbar keine Rolle.

  • @ABDURCHDIEMITTE

    Es ist immer und immer wieder dasselbe Drehbuch. Leider.

    @AL DENTE

    Hoffen wir das beste. Das Drehbuch hat aber leider allzu oft auch funktioniert. Ich nenne das das "Golem der Rechten".

  • Wegen der Kämpfe in Gaza ist der Begriff "Freiwillige Migration", den diese Politiker benutzen äußerst unangebracht.



    Diese zu "motivieren" sich ein neues Heimatland zu suchen, ist nichts weiter als eine ethnische Säuberung und entsprechend zu verurteilen.

  • "... ob solche Absichten in der israelischen Bevölkerung letztlich überhaupt mehrheitsfähig sind."

    Gute Frage. War die PiS in Polen, ist Fidesz in Ungarn, Rassemblement National in Frankreich oder die AfD in Deutschland, FdI in Italien mehrheitsfähig? Sind die MAGA-Republikaner in den USA mehrheitsfähig?

    Nie ohne eine kollaborierende bürgerliche, sich selbst nennende "Mitte". Aber die finden die immer wieder.

    Es ist dasselbe Schema, das wir in Israel beobachten können: Netanjahu braucht diese extreme Rechte, um an der Macht zu bleiben. An die er sich verzweifelt klammert, ungeachtet aller Konsequenzen.

    • @tomás zerolo:

      "Netanjahu braucht diese extreme Rechte, um an der Macht zu bleiben. An die er sich verzweifelt klammert, ungeachtet aller Konsequenzen."

      Vollkommen richtig! Aber wie sieht das die israelische Bevölkerung aktuell? Immerhin sind (vor dem 07.10.23) schon Zehntausende auf die Straßen gegangen, um gegen genau diese Regierung zu demonstrieren. Die wollten eine Entdemokratisierung, wie in Polen oder Ungarn, nicht mitmachen. Bei Neuwahlen hätte Netanjahu bereits zu diesem Zeitpunkt keine große Chance mehr gehabt. Die wirkliche derzeitige Stimmung im Land ist von außen schwer zu beurteilen, außer dass sich eine sehr deutliche Mehrheit ziemlich sicher wünscht, diesen Krieg nicht zu verlieren.

    • @tomás zerolo:

      Warum bloß muss ich bei Netanyahu, dem Likud und der von Rechrsextremisten durchsetzten israelischen Regierung immer an die CDU hierzulande denken?😉

      • @Abdurchdiemitte:

        Ja warum eigentlich? Die CDU wird den Weg der Christdemokraten Frankreichs und Italiens gehen.

        • @Chris McZott:

          Das sieht jetzt aber nicht danach aus, eher verschwindet die SPD von der Bildfläche. Ich fürchte, prognostisch werden sich hierzulande CDU und AfD die politische Hegemonie teilen, wir haben dann nur die Wahl zwischen einem gemäßigteren und einem radikalen Übel. So wie jetzt schon bei den Landratswahlen im Saale-Orla-Kreis.



          Mein Post bezog sich auf die Aussage @Tomas Zerolos, dass Netanyahu die extreme Rechte brauche, um sich an der Macht zu halten. Das werden wir hierzulande möglicherweise auch noch erleben, im Verhältnis CDU/CSU zur AfD - ob der Akteur im Kanzleramt dann Merz heißt oder anders.

  • Smotrich und Ben Gvir sind brandgefährlich, und Netanjahu spielt ein gefährliches Spiel, wenn er sich weiter auf sie stützt. Israel hat aus meiner Sicht weder rechtlich noch moralisch das Recht auf neue Siedlungen im Gazastreifen, und diese würden eine Zweistaatenlösung in noch weitere Ferne treiben.

  • Diese Leute, die sich da in Jerusalem zum Siedlerkongress getroffen haben, sollten scharf im Auge behalten werden. Sie werden alles unternehmen, um eine politische Lösung des Konflikts zu verhindern, zumindest solche Lösungen, die nicht in ihrem Interesse sind. Es sind Rechtsextremisten - oder welche, die es an Abgrenzung zu denen fehlen lassen (Likud). Woher kennen wir bloß dieses Phänomen aus unserer innenpolitischen deutschen Debatte? Ach ja, die CDU.



    Dass etliche Minister der Regierungspartei Likud dort anwesend waren, zeigt, dass Netanyahu seinen eigenen Laden offensichtlich nicht im Griff hat - oder dass er gegenüber der internationalen Öffentlichkeit eine andere Maske aufsetzt, insgeheim aber die Okkupationspläne seiner Gesinnungsgenossen teilt. Auch das dürfte einem aus der Debatte um Remigration hierzulande allzu bekannt vorkommen.



    Auf jeden Fall ist der israelische Ministerpräsident ein ausgewiesener Lügner und Trickser vor dem Herrn - ganz schlecht für ein Land, das sich derzeit im Kriegszustand befindet

  • Ich stehe voll und ganz zum Existenzrecht des Staates Israel innerhalb seiner völkerrechtlich anerkannten Grenzen. Die israelische Bevölkerung muss zudem in Sicherheit leben können.

    Aber die Israelis müssen(!) mit dem Territorium auskommen, das ihnen zusteht. Gleiches gilt für die Palästinenser.

    Der "Westen" wird Israel sicher nicht "fallen" lassen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine westliche Demokratie diese absurden Besiedlungspläne unterstützt. Auch wegschauen wird in Gaza diesmal nicht gehen. Allerdings bin ich mir auch nicht sicher, ob solche Absichten in der israelischen Bevölkerung letztlich überhaupt mehrheitsfähig sind.

    • @Al Dente:

      Es reicht ja, wenn es wie bisher keinerlei Konsequenzen gibt. Da bedarf es keiner Unterstützung, wobei die Übernahme der Kosten für die Versorgung der Palästinenser durch andere Länder eine Unterstützung ist. Rechtlich gesehen müsste Israel dafür aufkommen.

    • @Al Dente:

      Wieso koennen sie sich das nicht vorstellen? Der Westen unterstuetzt es doch, zwar nicht aktiv, aber er laesst die Israelis gewaehren! Mit dem Aussetzen der Zahlungen an die UNRAW, ohne dass es fuer die Anschuldigungen Israels gegen die 12 Mitarbeiter bisher Beweise gibt, beteiligen sich jetzt die USA, Kanada, Australien, GB und Italien am Aushungern der Bevoelkerung in Gaza. Es gibt und gab nicht den geringsten Wiederstand im Westen gegen den vermutlichen Genozid und die anhaltende Vertreibung der Palaestinenser durch die Israelis.

      • @Erni:

        Es gibt natürlich eindeutige Beweise für die Beteiligung der UNWRA-Mitarbeiter. Warum glauben Sie hat die UNWRA sie entlassen?