Israelische Offensive in Gaza: Das Wieder-Wiederauferstehen der Hamas
Israels Armee rückt erneut in Gebiete vor, in denen sie die Hamas schon vor Monaten für besiegt erklärt hatte. Es fehlt weiterhin ein Plan für Gaza post-Hamas.
Mitte Januar erklärte Verteidigungsminister Yoav Gallant sogar: Die Phase intensiver Kämpfe in ganz Nordgaza sei nun vorbei, die Hamas-Bataillone besiegt. Etwa fünf Monate später ist das israelische Militär erneut in Jabaliya im Einsatz – zum zweiten Mal seit Beginn des Krieges gegen die Hamas, nach deren Angriff auf Israel am 7. Oktober.
Vor dem Beginn der Offensive am späteren Samstag in Jabaliya hatte das israelische Militär die etwa 100.000 bis 150.000 dort ausharrenden Palästinenserinnen und Palästinenser zur Evakuierung aufgefordert. Videos in den sozialen Medien zeigen Rauch über Jabaliya, ein Zeuge berichtet der Nachrichtenagentur AFP, seit Samstag seien vermehrt Luftschläge zu hören. Man habe in den vergangenen Wochen festgestellt, dass die Hamas versuche, ihre militärischen Strukturen in Jabaliya wiederaufzubauen. Dagegen gehe man nun vor, erklärte Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee.
Jabaliya ist nicht der einzige Ort in Gaza, in den die israelischen Streitkräfte derzeit erneut vorrücken. Auch in Beit Lahija und Beit Hanun ganz im Norden Gazas ist das Militär wieder aktiv, ebenso in der südlicheren Großstadt Khan Younis. In einer großen Offensive seit Dezember hatte das israelische Militär in Khan Younis gegen die Hamas gekämpft und sich schließlich Anfang April – nach verkündetem Sieg – ebenfalls aus der nach Berichten zurückkehrender Palästinenser vollkommen zerstörten Stadt zurückgezogen.
Unentschlossenheit der Regierung verschaffe Hamas Zeit
Die Kriegsstrategie Israels bedeute eine „Sisyphusarbeit“ für das Militär, das immer wieder in den gleichen Orten erneut gegen die Hamas kämpft, sagte Militär-Stabschef Herzi Halevi am Wochenende, laut Berichten des israelischen TV-Senders Channel 13. So soll er sich hart gegen Premierminister Benjamin Netanjahu ausgesprochen haben, der es versäumt habe, eine Strategie für den „Tag danach“ in Gaza zu entwickeln. Wer das Gebiet kontrollieren solle, sei weiterhin unklar. Nach Angaben von Channel 13 erklärte er: Solange es keinen diplomatischen Prozess gebe, eine Regierung ohne die Hamas in Gaza in die Wege zu leiten, werde man immer wieder von Neuem die Infrastruktur der Hamas zerstören müssen.
Naftali Bennet, Ex-Verteidigungs- und Premierminister Israels, analysiert auf der Plattform X: „Das Planen für ein Gaza Post-Hamas ist ein Tabu in unserer Regierung geworden. Selbst die Diskussion darüber wird als ‚schwaches, linkes und eine Niederlage hinnehmendes Ding‘ dargestellt. Das ist es nicht.“ Die Unentschlossenheit der Regierung gebe der Hamas ausreichend Zeit, sich immer wieder zu regruppieren. Wenn eine Stadt eingenommen würde, müsse man wissen, an wen man sie übergeben wolle und wer sie kontrollieren solle.
Während Israels Regierung weiterhin keine solche Strategie in petto zu haben scheint, rückt das Militär weiter in Rafah vor. Bereits vergangene Woche wurden die Bewohner des Ostens der Stadt, in die über eine Million Menschen aus ganz Gaza geflüchtet waren, zur Evakuierung aufgefordert. Israelische Bodentruppen nahmen den Grenzübergang Rafah ein, am Samstag folgte dann die Evakuierungsaufforderung für weitere Teile der Stadt. Über 300.000 Menschen sollen den Anweisungen Israels Folge geleistet haben und nach Westrafah oder weiter nördlich geflohen sein.
Der Grenzübergang Rafah bleibt derweil weiter geschlossen. Nach Angaben des staatsnahen ägyptischen TV-Senders Alqahera News verweigert Ägypten die Koordination neuer Lieferungen mit Israel über den nun von dessen Militär kontrollierten Übergang. Die Kontrolle über den Übergang in Rafah ist für Israel auch deshalb strategisch relevant, weil – nach Angaben des Militärs – von dort immer wieder Nachschübe an Waffen und Munition an die Hamas geliefert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen