Israel schließt Büros von Al Jazeera: Regierung in „zweifelhaftem Club“
Wegen „staatsgefährdender Aktivitäten“ wurde das Büro des TV-Senders in Ost-Jerusalem geräumt, Equipment beschlagnahmt. Kritik folgte prompt.
Das israelische Kommunikationsministerium bestätigte die Räumung. Man habe außerdem Equipment beschlagnahmt, und der Sender wurde aus dem Kabel- und Satellitennetz des Landes entfernt. Auch der Zugriff auf seine Internetseiten soll laut Nachrichtenagenturen gesperrt worden sein, am Sonntagabend ließen sich aber sowohl die englische als auch die arabische Website aus Israel problemlos abrufen.
Dass Israel gegen den Sender vorgeht, rief Kritik des Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen auf den Plan: Man bedauere die Entscheidung Israels und rufe die Regierung auf, ihre Entscheidung zu überdenken. Auch der Verband der Auslandspresse (FPA) in Israel hat das Sendeverbot kritisiert. „Mit dieser Entscheidung reiht sich Israel in den zweifelhaften Club der autoritären Regierungen ein, die den Sender verbieten“, teilte der Verband mit. „Dies ist ein dunkler Tag für die Medien.“
Ähnlich äußerte sich das in New York ansässige Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ), das von einem „äußerst alarmierenden Präzedenzfall für die Einschränkung der Arbeit internationaler Medien in Israel“ sprach. Omar Shakir, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch für Israel und Palästina, kritisierte die Anordnung als „Angriff auf die Pressefreiheit“.
Der Räumung voran ging ein längerer Konflikt zwischen der israelischen Regierung und dem im Golfemirat Katar ansässigen TV-Sender. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu warf ihm vor, „ein Sprachrohr der Hamas“ zu sein und äußerst voreingenommen zu berichten. Vor rund einem Monat hatte das israelische Parlament schließlich ein Gesetz angenommen, dass es der Regierung erlaubt, Büros des Senders für 45 Tage dicht zu machen – Verlängerung möglich. Am Sonntag gab die Regierung ihr finales Okay, Kommunikationsminister Schlomo Karhi ordnete sogleich die Schließung an.
Der Sender protestiere, und kündigte an, dagegen vorzugehen, „das grundlegende Recht auf Zugang zu Informationen“ habe Israel mit seiner Entscheidung verletzt. Netanjahu erklärte hingegen: Al Jazeera habe mit seiner Berichterstattung „die Sicherheit Israels gefährdet und Hass gegen das israelische Militär beschworen“.
Könnte die Entscheidung Katars Vermittlerrolle gefährden?
Dass Al Jazeera eine klare Schlagseite in der Berichterstattung hat, ist – vor allem wenn man sich die arabischsprachigen Beiträge des Senders ansieht – kaum von der Hand zu weisen. Viele Medien haben eine Blattlinie, die Al Jazeeras ist recht deutlich zu erkennen. Auch dass es Verflechtungen des Gaza-Büros des Senders zu militanten Gruppen dort geben soll, legten immer wieder Berichte israelischer Medien nahe. Kritik an Al Jazeera kam daher nicht nur aus Israel, sondern auch von Kommentatoren aus den Israel freundlich gesinnten Golfstaaten Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Dass Israel aber so weit geht, den Sender zu schließen, ruft auch innerhalb des Kriegskabinetts Protest hervor. Der ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz spricht von einem „fürchterlichen Timing“. Denn Al Jazeera, 1996 in Katar gegründet, ist eines der wichtigsten Medienhäuser des Nahen Ostens, mit seinem englischen Outlet Al Jazeera English auch international erfolgreich und damit ein Aushängeschild Katars.
Das Emirat ist der wichtigste Vermittler zwischen Israel und der Hamas in einem noch immer auf dem Tisch liegenden Geiseldeal, der die Freilassung von Geiseln in Gaza gegen die palästinensischen Häftlinge aus israelischen Gefängnissen sowie einen Waffenstillstand erreichen soll. Gantz und seine Partei sind besorgt, dass das Vorgehen gegen Al Jazeera die sowieso schleppend laufenden Gespräche weiter torpediert.
Al Jazeera kommt in Gaza außerdem eine besondere Rolle zu: Es ist eines der wenigen Medienhäuser, das derzeit in dem Küstenstreifen überhaupt noch mit einem Büro vertreten ist. Seit dem Angriff auf Israel am 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg in Gaza ist der Zugang für ausländische Journalisten gekappt, nur Pressetouren mit dem israelischen Militär sind noch möglich.
Für viele arabischsprachige Menschen, im Nahen Osten wie in Europa und den USA, ist der Sender die Hauptinformationsquelle. Im Westjordanland läuft sein Programm auf den Bildschirmen in Restaurants oder Läden quasi durch, wie auch in den Häusern der Menschen. Allein der X-Account des englischen Kanals hat 8,8 Millionen Follower und wirbt gleich in der Selbstbeschreibung mit seiner „Live-Berichterstattung zu Gaza“. (mit ap)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist