Indexmietverträge in Deutschland: Steigt Inflation, steigt Miete
Indexmietverträge sind an die Inflation geknüpft. Die Linkspartei will die Verträge deshalb verbieten, Wohneigentümer wollen das verhindern.
Ende Juni erhält Verena König einen Brief von ihrer Hausverwaltung. Im Betreff steht: Indexmieterhöhung. Für König heißt das, ab August muss sie monatlich 94,66 Euro mehr Miete zahlen, 7,9 Prozent mehr als davor. „Es ist eine Katastrophe, alles wird mit der Inflation teurer und dann kommt die Mieterhöhung obendrauf“, klagt König am Telefon. Schon jetzt graut es ihr angesichts der steigenden Energiepreise vor der nächsten Heizkostenabrechnung. „Wenn das so weitergeht, kann ich diese Wohnung nicht mehr halten“, sagt sie.
Das Problem, das König hat, betrifft derzeit Mieter*innen, die einen Indexmietvertrag haben. Bei diesen Verträgen wird die Miete nach dem Verbraucherpreisindex berechnet, der jährlich vom Statistischen Bundesamt erhoben wird – die Miete ist direkt an die Inflation gekoppelt. Steigt die Inflation, steigt die Miete.
Der Index orientiert sich an der durchschnittlichen Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte kaufen. Lebensmittelpreise werden etwa berücksichtigt, Kleidung, Versicherungen – aber auch Energie- und Strompreise. Menschen, die einen Indexmietvertrag haben, sind somit doppelt mit den steigenden Energiepreisen konfrontiert. Steigende Energiepreise treiben die Indexmiete hoch, die jährliche Heizkostenabrechnung kommt aber noch obendrauf. Im Mai erreichte die Inflation mit 7,9 Prozent den Höchstwert seit der Wiedervereinigung. Eine jährliche Mieterhöhung in dieser Größenordnung wird wohl kaum ein Haushalt stemmen können.
Eine Indexmiete kann vonseiten der Vermieter*innen einmal im Jahr gemäß der Inflation erhöht werden, eine Zustimmung ist nicht erforderlich. Die Erhöhung muss nur schriftlich angekündigt und transparent dargelegt werden. Mieter*innen haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Verena König will keinen Konflikt mit ihren Vermietern, deshalb wurde ihr Name von der Redaktion geändert. Die taz durfte aber ihre Unterlagen sichten.
Der Mietmarkt ist viel zu angespannt
König wohnt gemeinsam mit ihren zwei Kindern in Berlin. Vier Zimmer, 103 qm, östlicher Randbezirk, die Kinder gehen hier zur Schule, haben Freunde, ihre Hobbys. Alles perfekt – außer dem Mietpreis. Ab August werden es 1.530 warm sein. Bei Vertragsabschluss vor sechs Jahren kostete die Warmmiete noch fast 200 Euro weniger. Zudem teilte König sich damals noch die Miete mit ihrem damaligen Partner. Nach Trennung behielt sie die Wohnung, zwei Drittel der Zeit seien die Kinder nun bei ihr.
König ist Akademikerin und arbeitet in Teilzeit im Bereich Finanzverwaltung. Nebenbei studiert sie, um sich weiterzubilden. Sie hat ein sehr gutes Haushaltseinkommen. Mit ihrem Gehalt, einer privat vereinbarten Unterhaltszahlung und dem Kindergeld stehen ihr nach eigenen Angaben im Monat 3.100 Euro netto zur Verfügung. Das Problem ist: König gibt nahezu die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Zum Leben bleiben dann 1.500 Euro für drei Personen. „Ich bezahle alles: die Miete, Kleidung, Klassenfahrten“, sagt sie.
Als König Ende 2015 den Vertrag unterschrieb, wusste sie nicht, was ein Indexmietvertrag ist. Sie war froh, eine Wohnung bekommen zu haben. Im Vertrag, der auch der taz vorliegt, stand die Indexklausel unter „sonstige Vereinbarungen“: Eine Indexmiete wurde dort ab dem 3. Mietjahr vereinbart. „Indexmiete habe ich erst gegoogelt, als die erste Mieterhöhung kam“ erzählt sie. Indexmieten werden vermehrt erst seit der rasant steigenden Inflation diskutiert und problematisiert. Wie viele Mieter*innen tatsächlich Indexmietverträge haben, ist unklar – statistisch wird das nirgends erfasst.
Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Vereins Haus und Grund München, schätzt den Anteil der Indexmieten bei den Münchener Mietwohnungen auf 40 Prozent, das beträfe etwa 240.000 Haushalte in der Stadt. „Bei neuen Mietverträgen sind inzwischen etwa 65 Prozent indexiert“ sagte Stürzer der taz. Volker Rastätter vom Mieterverein München geht davon aus, dass Indexmietverträge in München eher „eine Nische sind“. Nur „3 bis 5 Prozent der Mitglieder“ hätten schätzungsweise einen Indexmietvertrag. Die Vorstellungen liegen also weit auseinander.
Indexmieten haben eine hohe Akzeptanz
Doch in einer Sache sind sich beide fast einig. „Die Indexmiete hat in der Stadt eine hohe Akzeptanz, weil es viel weniger Rechtsstreitigkeiten als bei Mieterhöhungen nach dem Mietspiegel gibt“, meint Stürzer am Telefon. In den letzten zehn Jahren seien die Mieten nach dem Mietspiegel in München sehr viel stärker gestiegen als die Indexmieten: „Für Mieter war das ein Vorteil.“
Erst seit dem russischen Angriffskrieg habe sich „das Blatt gewendet.“ Volker Rastätter vom Mieterverein München stimmt zu, in der Vergangenheit habe man sogar zu solchen Verträgen geraten. „In den letzten zehn Jahren war eine Indexmiete oft günstiger als Mieten, die nach dem Mietspiegel berechnet werden, weil die Inflation niedrig war“, erklärt Rastätter.
Stürzer und Rastätter ziehen daraus unterschiedliche Konsequenzen. Während Haus und Grund München zuversichtlich ist, dass Mieter*innen und Vermieter*innen gemeinsam gute Regelungen finden können, fordert der Mieterverein München eine Kappungsgrenze für Indexmietverträge, so wie sie bei anderen Mietverträgen auch gilt. „Vermieter, die lange gar nicht erhöht haben, holen das jetzt nach. Teilweise müssen Mieter nun Erhöhungen von 30 Prozent auf einmal stemmen“, sagt Rastätter.
Zum Vergleich: Bei Mieten, die sich nach der üblichen Vergleichsmiete richten, darf eine Miete maximal um 20 Prozent in drei Jahren steigen. In Lagen, wo der Wohnungsmarkt als angespannt gilt, sind es 15 Prozent in drei Jahren. Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diese sogenannte Kappungsgrenze von 15 Prozent auf 11 Prozent zu senken. Umgesetzt ist das allerdings noch nicht.
„Nicht per se schlecht“
Ein Indexmietvertrag hat noch eine Besonderheit. Die Anfangsmiete muss sich zwar nach dem örtlichen Mietspiegel richten – darf also mit der Mietpreisbremse maximal 10 Prozent über der Vergleichsmiete liegen. Danach gilt für die Indexmiete anders als bei Standardverträgen jedoch keine Grenze mehr nach oben. Anders ausgedrückt: Indexmietverträge sind eine Möglichkeit, trotz Mietpreisbremse unbegrenzt Erhöhungen durchzusetzen.
Eine Indexmiete sei „nicht per se schlecht“, erklärt Rolf Bosse, Chef des Hamburger Mietervereins, der taz. „Miete ich zum Beispiel eine unsanierte Wohnung an, dann kann eine Indexmiete von Vorteil sein, wenn Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden und die Kosten nicht auf die Miete umgelegt werden können.“ Doch Vermieter*innen würden die Indexmietverträge taktisch klug nutzen: „Indexverträge sind für Vermietende rentabel, wenn keine Modernisierungsmaßnahmen geplant sind und die Ausgangsmiete bereits die ortsübliche Miete übersteigt. Dann kann man davon ausgehen, dass der Verbraucherpreisindex schneller steigt als der Mietenspiegel und Erhöhungen eher verlangt werden können“, so Bosse. Bei Neuvermietungen geht Bosse davon aus, dass mittlerweile die Hälfte der Verträge indexiert ist.
Auch politisch gehen die Vorstellungen weit auseinander. Während der Deutsche Mieterverein akuten Handlungsbedarf sieht und eine Kappungsgrenze für Indexmietverträge fordert, hält der Eigentümerverein Haus und Grund Indexmietverträge immer noch für eine „faire Sache“. Schließlich seien Eigentümer*innen auch mit steigenden Kosten belastet. Vonovia, der größte Immobilienkonzern Deutschlands, hat bereits angekündigt, in Zukunft vermehrt auf Indexmietverträge zu setzen. Die Linkspartei fordert, Indexmietverträge abzuschaffen.
Im Mai sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz der Funke-Mediengruppe, sie sei „kein Fan von Indexmieten“. Ihr Bauministerium prüft derzeit, wie Mieter*innen von Indexmietverträgen vor übermäßigen Belastungen geschützt werden können. Einen genauen Zeitplan gibt es auf Nachfrage noch nicht. Für Mietrecht ist derzeit ohnehin das FDP-geführte Justizministerium zuständig. Es teilte der taz schriftlich mit, dass es sich „der Diskussion um das Thema Indexmieten bewusst“ sei. Allerdings müsse geprüft werden, „ob hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.“
Verena König hat das Gespräch mit ihren Vermietern nicht gesucht – das Verhältnis sei angespannt. „Vielleicht sagen manche, ich muss einfach in eine kleinere Wohnung ziehen. Ich suche, aber einfach ist das nicht in Berlin“, sagt sie. Was sie nun macht? Sie hofft, dass die Inflation wieder abflaut und sie ihre Wohnung halten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen