Maja Eisner in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Energetische Sanierung:Warme Wohnung, heiße Miete

Viele Wohnhäuser müssen dringend energetisch saniert werden. Was das für die Mie­te­r*in­nen bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus Berlin.

17.9.2022, 17:42  Uhr

Der Zitronenbaum steht auf einem Baugerüst weit oben im fünften Stock zwischen drei kleineren Grünpflanzen. Das Gerüst umrahmt Maja Eisners Balkon, darum herum ist ein dünnes Netz gespannt. Jugendliche und Tou­ris­t*in­nen klettern gerne mal hoch, nachts lässt Eisner die Balkontür deswegen nicht mehr auf. Doch damit hat sie sich abgefunden. Das Gerüst steht seit über einem Jahr. Jetzt nutzt sie es als sonnigen Platz für ihre Pflanzen. „Meine größte Sorge ist, dass sie nicht genug Licht bekommen“, sagt Eisner leicht im Scherz.

Eisner wohnt in der Winsstraße in Berlin-Prenzlauer Berg. Die meisten Häuser hier stammen aus der Gründerzeit, ihre Fronten sind meist verziert. Von der Fassade an Eisners Haus sieht man derzeit wenig, es ist komplett eingerüstet. Das Gebäude wird saniert, die Be­woh­ne­r*in­nen haben eine lange Liste mit Modernisierungen zugesandt bekommen. Im Hinterhaus sollen Balkone angebracht, außerdem Fassade und Dach gedämmt werden. Obendrauf soll ein neues Stockwerk entstehen. Nachverdichtung im eng besiedelten Prenzlauer Berg und vor allem: energetische Sanierung. Wenn es denn eine ist.

Als Maja Eisner 2009 mit ihrem Ehemann einzog, waren die 1.250 Euro Kaltmiete für rund 125 Quadratmeter schon nicht gerade günstig. Mittlerweile zahlt man in Prenzlauer Berg eher das Doppelte. Auch Eisner soll wegen der Sanierung künftig etwa ein Drittel mehr zahlen und käme dann auf 1.625 Euro kalt. Leisten könnte sich das Paar das: Sie ist Psychotherapeutin, er Architekt. Schmerzen würde es trotzdem. Eisner heißt eigentlich anders, doch sie will nicht, dass ihre Pa­ti­en­t*in­nen zu viel Privates über sie erfahren. „Die googeln alles.“

Eisner hält viele der Maßnahmen für sinnlos, bei anderen bezweifelt sie, dass sie sie als Mieterin bezahlen muss. Deshalb wehrt sie sich.

Etwa 16 Prozent der Treibhausgas­emissionen in Deutschland gehen auf Gebäude zurück. Bis 2030 sollen die Emissionen um 68 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. So steht es im Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung. Mit der richtigen Sanierung – Wärmedämmung, neue Heizung, neue Fenster – ließe sich viel Energie sparen. Sie kostet aber auch. Und in der Regel müssen nicht die Hausbesitzer*innen, sondern die Mie­te­r*in­nen zahlen.

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Wohnen ist in den vergangenen Jahren sowieso schon teuer geworden, in letzter Zeit auch wegen stark ansteigender Energiepreise. Die treffen vor allem ärmere Haushalte, da diese einen hohen Anteil ihres Einkommens für Energiekosten aufbringen müssen. Machen energetische Sanierungen arme Mie­te­r:in­nen noch ärmer? Oder sind sie in Zeiten steigender Energiepreise ihre Rettung?

Doppelte Miete durch Modernisierung

38 Grad im Schatten, es ist der heißeste Tag des Jahres. Im gleichen Haus, ein paar Stockwerke tiefer, kocht Marita Schütz Espresso. Hier in ihrer Dreiraumwohnung in der Winsstraße hat sie Jahrzehnte verbracht und drei Kinder großgezogen. Dank ihres alten Vertrags zahlt sie eine günstige Miete. Erst im vergangenen Jahr wurde sie erhöht, doch wegen der Modernisierung hatte sie nun erneut eine Mieterhöhung im Briefkasten – und soll bald fast doppelt so viel zahlen wie bisher. „Das war erst einmal ein Schock.“

Klar könnte sie eine kleinere Wohnung suchen – aber selbst wenn sie auf Berlins überlastetem Wohnungsmarkt eine fände, würde sie vermutlich mehr zahlen als jetzt. Eine ehemalige Kollegin sei gerade nach Brandenburg umgezogen, hier habe sie sich nichts mehr leisten können. Alleine neu anfangen, weit weg von Freund*innen, ihrer Familie – das droht Schütz, wenn sie die Mieterhöhung tatsächlich zahlen müsste.

Auch sie heißt eigentlich anders. Sie hofft, sich mit der Hausverwaltung einigen zu können, und will die Gespräche nicht gefährden. Deshalb will sie auch nicht allzu viele Details preisgeben. Ihre genaue Miethöhe, wo sich die Wohnung im Haus befindet – all das würde sie identifizierbar machen.

Maja Eisner

„Die Hausverwaltung bombardiert uns mit Papier. Wir bombardieren zurück“

Einen Teil der Geschichte, die sie mit ihrer Wohnung verbindet, können wir dennoch erzählen: In den 80er Jahren lag Prenzlauer Berg noch in der DDR, Schütz bekam eine Wohnung in der Winsstraße zugeteilt. Wie üblich im Altbau wurde mit Kohle geheizt. Im Kiez gab es ein dichtes Netz an Kohlenhandlungen, erzählt Schütz. Gegen ein Trinkgeld schleppte der Lieferant die Pakete in den Keller. Jeden Morgen brachte die damals junge Mutter die Asche nach unten, holte neue Briketts und entfachte die Öfen. Eine Stunde dauerte es, bis die Wohnung warm war. Dann weckte sie die Kinder, machte Frühstück, brachte sie in Krippe und Schule und ging zur Arbeit. „Heute frage ich mich, wie ich das als Alleinerziehende damals geschafft habe.“

In „ordentlichen Wintern“, wenn es richtig kalt war, etwa zum Jahreswechsel 1986/87, erinnert sich Schütz, musste sie nachts noch mal nachheizen. Immerhin, in jenem Winter bekam die Familie einen sogenannten Außenwandheizer. Einen. Er kam ins Wohnzimmer, wo sich alle tagsüber versammelten. „Der war für uns so wertvoll wie Goldstaub“, sagt sie. Er lief mit Gas und leitete die Abgase nach draußen ab. Das war praktisch. „Aber auch ganz schön laut.“ Für den Außenwandheizer wurde ein Wanddurchbruch gemacht, und der Straßenlärm landete mitten in der Wohnung.

In der Küche konnte man gar nicht heizen. Noch dazu gab es einen sogenannten Berliner Kühlschrank unter dem Fenster: einen Einbauschrank aus Holz, wo man Lebensmittel kühlhalten konnte – weil er kaum Abdichtung nach außen hatte. Was die Küche im Winter noch kälter machte.

In den 80er Jahren wurde das Haus dann saniert. Neue Elektrik und Gasrohre wurden verlegt, nicht für die Heizungen, sondern zum Kochen. Energetische Sanierungen waren damals kein Thema. Kurz vor der Wende bekam Schütz das Angebot, in einen Neubau zu ziehen. Sie lehnte ab. Krippe, Schule, Arbeit waren in der Nähe, auch mit den Nach­ba­r*in­nen verstand sie sich gut.

Auch selbst sanieren ist möglich

Henning Ellermann ist Gebäudeexperte bei der Deutschen Un­ter­neh­mens­ini­tia­ti­ve Energieeffizienz (Deneff). In diesem Jahr wird er von Anfragen zu explodierenden Energiekosten geradezu überrollt. „Die eigentliche soziale Frage ist die jahrelange Nichtsanierung“, sagt er. „Denn wer jetzt in einem Gebäude der schlechtesten Effizienzklassen wohnt, hat dieses Jahr ein richtiges Problem.“

Gebäude werden in die Kategorien A (gut) bis H (schlecht) eingeteilt, je nachdem, wie viel Energie sie verbrauchen. Neubauten fallen in die Ener­gie­ef­fi­zienz­klas­sen A und B. Ältere Gebäude schneiden deutlich schlechter ab. Doch seit etwa einem Jahrzehnt stagniert die Sanierungsrate bei rund 1 Prozent. Das größte Problem sind die Bauten der Nachkriegsjahre. „Erst in den 70ern wurden Energiestandards eingeführt“, sagt Ellermann. Die ungedämmten Beton- oder Ziegelbauten machten heute etwa 40 Prozent der Wohnungen in Deutschland aus. „Häufig sind das Wohnungen mit relativ niedrigen Mieten, in denen Menschen wohnen, die nicht so viel Geld haben, aber jetzt auf ihre Kaltmiete von etwa 5 Euro pro Quadratmeter noch mal 5 Euro Heizkosten draufzahlen müssen.“

Das Haus in der Winsstraße ist ein Altbau, doch zum Teil trifft das, was Ellermann sagt, auch hier zu. Viele Be­woh­ne­r*in­nen leben seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen und zahlen eine günstige Miete. Als sie noch jung waren und Kinder hatten, trafen sie sich oft im Hof. „Das war so ein Zille-Hof: ein paar Bäume, die sich selbst ausgesät hatten, Mülltonnen, sonst nichts“, erzählt Marita Schütz. Um es schöner zu haben, bewarben sie sich nach der Wende um Senatsgelder für Mie­te­r*in­nen und begrünten gemeinsam den Innenhof. Und wenn man gemeinsam etwas mache, dann rede man auch miteinander, sagt Schütz.

Manchmal klettern Tou­ris­t*in­nen auf das Gerüst. Deshalb schließt Maja Eisner nachts die Balkontür Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

In den 90er Jahren erfuhr sie von Nachbar*innen, dass es auch Senatsförderungen für Mie­te­r*in­nen gebe, um Kohleöfen gegen Gasetagenheizungen auszutauschen. Schütz stellte einen Antrag und bekam, so erinnert sie sich, 5.000 Mark. 7.000 musste sie selbst auftreiben. „Das habe ich mir von meinen Eltern geborgt. Ich hatte kein Geld übrig.“ Mit den 12.000 Mark ließ sie Rohre verlegen und Heizkörper installieren – auch in der Küche. Der Außenwandheizer kam weg, das Loch in der Wand wurde geschlossen.

Die sogenannte Mietermodernisierung der 90er Jahre war Teil des Programms „Soziale Stadterneuerung“. Heute werden Fördergelder vornehmlich an Ver­mie­te­r*in­nen vergeben. Die rufen sie aber nur selten ab. Der Grund: Der damit verbundene Aufwand rentiert sich für sie nicht, weil die späteren Einsparungen hauptsächlich den Mie­te­r*in­nen zugutekommen. Das bestätigte kürzlich eine Studie des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Freiburger Öko-Instituts.

Marita Schütz mistet aus, geht Papiere durch, häuft sie zu Stapeln, wirft andere weg. Die Unterlagen zur Modernisierung hat sie auf den „Schlimm-Stapel“ gelegt. „Ich habe mich gezwungen, alles Zeile für Zeile zu lesen.“ Teil der Ankündigung ist eine Tabelle, aus der hervorgeht, welche „umlagefähigen“ Modernisierungen wie viel kosten und was davon auf die einzelnen Mietparteien entfällt. Ein staatlicher Zuschuss wird dort nicht erwähnt.

Schütz geht die Mappe durch, versucht sich zu erinnern. Im Juni 2021 erhielt sie die Ankündigung, dass ein Gerüst gebaut werden sollte. Es dauerte Wochen, bis die ersten Arbeiter kamen und Schilder aufstellten, dann wieder Wochen, bis sie das Gerüst zu bauen anfingen. Irgendwann wurden nach und nach die undichten Böden der Balkone erneuert. Dann ging es ans Dach. Wieder stockte es.

Es gibt drei Arten von Sanierungen: Instandsetzungen wie Fassadenanstriche, deren Kosten Ver­mie­te­r*in­nen zahlen müssen; Modernisierungen, die der Verbesserung der Wohnverhältnisse dienen, etwa das Anbringen von Balkonen oder der Einbau von Fahrstühlen; und schließlich energetische Modernisierungen, die Energie einzusparen helfen, zum Beispiel Fassaden- und Dachdämmung. Dämmen kann die Nebenkosten senken, wenn die Mie­te­r*in­nen die In­ves­ti­tio­nen nicht selbst stemmen müssen. Bei Modernisierungen und energetischen Sanierungen dürfen Haus­ei­gen­tü­me­r*in­nen 8 Prozent der Kosten dauerhaft auf die Jahresmiete umlegen. Allerdings darf dadurch die monatliche Miete um lediglich 2 oder 3 Euro – je nach bisheriger Miethöhe – pro Quadratmeter steigen. Die Sanierung in der Winsstraße reizt diese Obergrenze wohl gerade so aus.

Im Eingangsbereich des Hauses ist der Boden gefliest, die Decke mit Stuck verziert. Die Holztreppe ist mit Teppich ausgelegt. Oben im fünften Stock bittet Maja Eisner ins Arbeitszimmer. Ein großer Arbeitstisch steht in der Mitte des Raums, zwei menschenhohe Palmen recken sich neben der Balkontür in die Höhe, ein paar Regalbretter mit Büchern, viel mehr gibt es nicht zu sehen. Außer zwei Rissen an der Decke.

Darüber liegt der Dachboden. Er soll zu einem Dachgeschoss ausgebaut werden. Arbeiter haben Metallträger in die Decke eingesetzt. Seitdem sei nichts passiert. Abgesehen davon, dass in Eisners Wohnung Risse entstanden seien und im Flur sogar ein tellergroßes Loch. „Wir waren arbeiten, beim Heimkommen habe ich den unten liegenden Putz und dann das Loch gesehen. Man konnte in den Dachstuhl blicken“, erzählt Eisner und zeigt Fotos. Geschlossen wurde alles bisher nicht, nur eine Plane über das Loch geklebt.

Maja Eisner

„Die wissen einfach nicht, wie die Wohnungen hier aussehen“

Die Modernisierungsankündigung hat Eisner in einen Ordner abgeheftet. Sie blättert, findet den Brief, es sind 13 Seiten. Nicht alles, was als energetische Sanierung angekündigt worden sei, sei eine, sagt Eisner. Zum Beispiel die Fenster. „Das ist Quatsch. Als wir einzogen, waren gerade doppelt verglaste Fenster eingebaut worden. Sie jetzt noch einmal auszutauschen, wäre energetischer Unsinn.“ Andere Modernisierungen soll sie bezahlen, obwohl sie sie nicht betreffen. „Jede Wohnung hier ist anders. Unsere wurde umfassend saniert, bevor wir eingezogen sind. Die wissen einfach nicht, wie die Wohnungen hier aussehen.“

Eisner will das alles nicht einfach so hinnehmen. Die Fassade im Hof sei seit Jahrzehnten nicht gestrichen worden, wenn jetzt gemalert und gedämmt werde, sei die Farbe eine „normale Instandsetzung“. Da wolle sie auch nichts für das Gerüst zahlen. Und das Dach? „Natürlich dämmt das. Aber das Ziel ist der Ausbau, um mehr Wohnungen einbauen zu können.“

Eisner hatte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Die bezahlt ihr einen Anwalt. „Die Hausverwaltung bombardiert uns mit Papier. Wir bombardieren zurück“, sagt sie bestimmt.

Nach­ba­r*in­nen ziehen aus

Viele Mie­te­r*in­nen schüchtern seitenlange Modernisierungsankündigungen und die Aussicht auf steigende Mieten ein. Sie kündigen und suchen sich eine neue Wohnung, sagt Carola Handwerg. Sie war bereits Mietrechtsanwältin in Prenzlauer Berg, als es hier noch vorwiegend Kohleofenheizungen gab. Dann erlebte sie die „zweite oder dritte Sanierungswelle“: Balkone anbringen, Fahrstühle einbauen – alles, was noch nicht gemacht war und womit sich die Miete erhöhen ließ. Die dreisteste Mieterhöhung, die sie zu Gesicht bekam, betrug 12 Euro mehr pro Quadratmeter, eine Verdreifachung der Gesamtmiete.

Mit der Gesetzesänderung von 2019 hörte das erst einmal auf. Dass nur noch 2 oder 3 Euro Mieterhöhung pro Quadratmeter erlaubt wurden, war vielen Haus­ei­gen­tü­me­r*in­nen offenbar zu wenig. Handwerg bekam kaum noch Anfragen zur anwaltlichen Beratung wegen Sanierungsvorhaben. Das Gesetz hatte seinen Zweck erfüllt. „Man konnte Mie­te­r*in­nen nicht mehr mit Forderungen von 10 Euro mehr pro Quadratmeter verschrecken“, sagt Handwerg.

Bei denen weckten Modernisierungen oft die Hoffnung auf sinkende Heizkosten. „Wenn dann nach einer energetischen Sanierung die Heizkostenabrechnung kommt, sind die meisten Mie­te­r*in­nen enttäuscht.“ Denn oft sei die neue Heizung teurer als die alte. Die Anwältin erklärt: Wer eine Gas­etagenheizung in der Wohnung hat und den Zähler vor der Nase, achtet eher auf den eigenen Verbrauch. Wenn man nach der Sanierung an die zentrale Fernwärme angeschlossen werde, erhöhe sich der Verbrauch oft. Noch dazu ist der Bezug von Fernwärme – obwohl sie ebenfalls überwiegend durch Gas erzeugt wird – doppelt so teuer wie Gas aus der Therme in der eigenen Wohnung.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Hinzu kommt: Die meisten Mietshäuser werden laut Deneff-Gebäudeexperte Henning Ellermann „wahnsinnig schlecht betrieben“. Die Heizungen verbrauchten 5 bis 20 Prozent zu viel Energie, weil sie falsch eingestellt seien. Der Gesetzgeber habe nun endlich gegengesteuert. Nach der neuen Energieverordnung müssten alle Ver­mie­te­r*in­nen in den nächsten zwei Jahren ihre Heizungen optimieren. „Auch das werden die Mieter im Geldbeutel merken.“

Trotz Coronapandemie, Ukraine­krieg und Materialmangel werde seit etwa einem halben Jahr wieder mehr saniert, auch energetisch, beobachtet Carola Handwerg. Zum Nachteil der Mie­ter*in­nen. „Es ist die einzige Möglichkeit, die Miete außerhalb der eigentlich erlaubten Dreijahresfrist zu erhöhen.“ Klimaschutz sei selten der tatsächliche Grund. Wenn die Mie­te­r*in­nen können, ziehen sie immer noch aus. „Oder fangen zumindest an, sich umzusehen.“

Corinna Kodim vertritt bei diesem Thema die andere Seite. Sie ist Energieexpertin bei Haus und Grund. Dem Verband gehören private Klein­ver­mie­te­r*in­nen an, die zwei Drittel aller Mietwohnungen in Deutschland besitzen. „Mieter*innen wünschen sich, dass warmmietenneutral energetisch saniert wird. Das ist nicht möglich. Die Investitionskosten sind zu hoch“, sagt Kodim. „Vermieter*innen werden nur sanieren, wenn sie am Ende nicht draufzahlen.“ Daher könne zumeist nur das gemacht werden, was gesetzlich vorgegeben sei.

Das Baugerüst steht schon seit einem Jahr vor dem Haus Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Als Maja Eisner im vergangenen Jahr die Ankündigung für den Dachausbau bekam, zogen sie und ihr Mann aus. Allerdings nur temporär. Sie einigten sich mit der Hausverwaltung auf eine Mietminderung um 90 Prozent. Vom Ersparten kamen sie wochen- oder monatsweise in kleineren Wohnungen unter, die fast so viel wie ihre eigene kosteten. Im April reichte es Eisner mit dem Hin und Her. Nun wohnen sie wieder in der Winsstraße. Mit der Hausverwaltung haben sie sich geeinigt, bis auf Weiteres 50 Prozent der Miete zu zahlen und erst wieder auszuziehen, sobald tatsächlich weitergebaut wird.

Einigen Nach­ba­r*in­nen war schon die Ankündigung einer Mieterhöhung genug: Marita Schütz weiß von allein fünf Mietparteien, die deshalb ausgezogen sind. Die Wohnungen ständen nun leer und würden saniert. „Damit hat die Verwaltung erreicht, was sie wollte“, sagt Schütz. Sie glaubt, die Wohnungen sollten nun fit gemacht werden, um sie als Eigentumswohnungen verkaufen zu können.

Seit 2014 ist das Winsviertel als soziales Erhaltungsgebiet ausgewiesen, auch Milieuschutzgebiet genannt. Ziel ist es, die Be­woh­ne­r*in­nen­struk­tur im Kiez zu erhalten, Mietsteigerungen und Umwandlung in Wohneigentum einzuschränken. In Milieuschutzgebieten gelten etwas strengere Regeln für Modernisierungen. Ei­gen­tü­me­r*in­nen müssen diese beim Bezirksamt beantragen. Das informiert dann wiederum die Mie­te­r*in­nen und bietet kostenfreie Rechtsberatung an. Die meisten Modernisierungen kann der Milieuschutz allerdings nicht verhindern. So werde die Verdrängung nur verzögert, meint Schütz.

Etwa Anfang 2020 erhielten die Mie­te­r*in­nen ihres Hauses einen Brief vom Bezirksamt, das sie zu einer Informationsveranstaltung einlud. Der Eigentümer hatte Sanierungen angemeldet: Fahrstühle einbauen, Dachgeschoss ausbauen und Balkone im Hof anbringen. Auf den Fahrstuhl hatte sich Schütz erst gefreut: „Ich dachte, wenn ich meinen Lebensabend hier verbringen will, dann ist es praktisch, mit dem Fahrstuhl zur Wohnung fahren zu können.“ Doch der Aufzug soll auf halber Treppe halten. „Das nutzt mir doch nichts, wenn ich dann immer noch Treppen steigen muss.“ Im Juni kam dann ein Brief, dass das Haus wieder verkauft worden war. Der neue Vermieter aus München übernahm die Genehmigungen für die Sanierung. Doch in der Modernisierungsankündigung wurden nicht nur Balkone, Dach und Fahrstühle aufgelistet, sondern noch eine Reihe anderer Maßnahmen. Unter anderem soll Schütz’ Gasetagenheizung raus – ihr Eigentum. Sie soll an die Zentralheizung im Keller angeschlossen werden. Ihr Gas- soll durch einen Elektroherd ersetzt werden. Dafür stellt die Hausverwaltung rund 1.000 Euro in Rechnung. „1.000 Euro für einen Herd? Ich kann mir einen für 300 kaufen.“

Kein Theater, kein Konzert, kein Kino

Im Durchschnitt geben Berliner Haushalte etwa ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus. Und: Wer weniger hat, zahlt anteilig mehr. Bei Haushalten mit unter 1.500 Euro Einkommen sind es über 40 Prozent, bei 900 Euro sogar 53 Prozent.

„Die Sanierungsrate muss deutlich steigen, und gleichzeitig soll Wohnen bezahlbar bleiben. Daraus ergeben sich Zielkonflikte“, schreiben For­sche­r*in­nen des IÖW und des Öko-Instituts. Sie haben sich angeschaut, wie eine „sozialverträgliche Wärmewende“ in Berlin gelingen könnte und welche Kosten auf arme Haushalte in Mietshäusern zukommen oder was sie sogar einsparen könnten.

Corinna Kodim, Haus und Grund

„Vermieter*innen werden nur sanieren, wenn sie am Ende nicht draufzahlen“

Als Worst Case bezeichnen sie es, wenn Ver­mie­te­r*in­nen die Kosten in größtmöglichem Umfang auf die Mie­te­r*in­nen umlegen und keinerlei Förderungen in Anspruch nehmen. Den Berechnungen zufolge stiegen die Ausgaben von armen Haushalten für Wohnen und Energie auf 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens. Im sogenannten Best Case, wenn Ver­mie­te­r*in­nen nur einen Teil der Kosten auf die Mie­te­r*in­nen umlegen und umfangreiche Fördermittel in Anspruch nehmen, könnten die Wohnkosten für Ge­ring­ver­die­ne­r*in­nen sogar leicht sinken. Sie betrügen dann aber immer noch über 40 Prozent ihres Einkommens. Mehr ist offenbar nicht drin – im besten Fall werden die Wohnkosten nicht wesentlich gesenkt, aber immerhin auch nicht erhöht.

Solange man Ver­mie­te­r*in­nen nicht noch stärker verpflichtet, energetisch zu sanieren, müssen Anreize helfen. ­Sibylle Braungardt, Energieexpertin des Öko-Instituts, unterstützt einen politisch diskutierten Vorschlag dazu. Bisher können Ver­mie­te­r*in­nen 8 Prozent der Modernisierungskosten dauerhaft auf die Mie­te­r*in­nen umlegen. Diese Modernisierungsumlage, fordert Braungardt, könnte gesenkt und befristet werden. Dadurch würde die Sanierung für Ver­mie­te­r*in­nen teurer und könnte ihr Interesse an einem staatlichen Zuschuss wecken. „Aktuell ist es für Ver­mie­te­r*in­nen oft unattraktiv, eine Förderung zu beantragen, weil sie dadurch keine Einsparungen haben“, sagt Braungardt. Würden die Gelder ganz oder teilweise bei den Ver­mie­te­r*in­nen verbleiben, wäre das anders. Dann hätten sowohl sie als auch die Mie­te­r*in­nen weniger Kosten. Zusätzlich könnte ein sogenanntes Teilwarmmietenmodell helfen, wobei sich beide Parteien die Heizkosten teilten. Auch so würden beide von Einsparungen profitieren. Die Bundesregierung will das Modell laut Koalitionsvertrag prüfen. Braungardt ist jedoch skeptisch, dass es in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. „Sie schreiben nichts vom Umsetzen, sondern vom Prüfen – das ist schon ein Indiz.“

Corinna Kodim von Haus und Grund hält wenig vom Teilwarmmietenmodell. Die Kosten für Ver­mie­te­r*in­nen würden steigen. „Ohne Förderung rechnet sich das nicht.“ Diese müsse daher gesetzlich verankert werden.

Während die Preise an den Energiebörsen explodieren, senden viele Versorger ihren Kun­d*in­nen dieser Tage Briefe, in denen sie höhere Abschläge ankündigen. Je höher die Energiepreise, desto wichtiger werden energetische Sanierungen. Und desto mehr rechnen sie sich auch für Mieter*innen. Die Ergebnisse von IÖW und Öko-Institut zeigen: Ob Mie­te­r*in­nen von energetischen Sanierungen profitieren oder darunter leiden, kommt ganz erheblich darauf an, wie die Kosten verteilt werden. Und das ist vor allem eine Frage politischer Steuerung.

Auch Maja Eisner aus der Winsstraße hält energetische Sanierungen für wünschenswert – „wenn sie nicht nur so deklariert werden, um uns die Miete zu erhöhen“. Sie geht davon aus, die meisten Maßnahmen abwenden zu können,weil ihre Wohnung längst modernisiert ist. Auch hinsichtlich Dach und Fassade setzt sie auf ihren Anwalt, damit letztlich nur ein geringerer Anteil der Kosten auf ihre Miete umgelegt wird. Eisners Vorauszahlungen für die Heizkosten dagegen sind von 100 auf 180 Euro monatlich gestiegen. Um die Jahresabrechnung muss sie sich dennoch wenig Sorgen machen: Bisher haben sie und ihr Ehemann jedes Jahr etwa 300 Euro zurückbekommen. Sicherlich auch, weil sie zum Jahreswechsel immer für etwa vier Wochen nach Südostasien fahren. „Mein Mann würde sofort den ganzen Winter bleiben, aber ich muss ja in Berlin arbeiten“, sagt Eisner.

Bei ihrer Nachbarin Marita Schütz sieht das anders aus. Sie hofft, dass die Hausverwaltung nachgibt und sie wenigstens keinen teuren Herd zahlen muss. Ihre monatlichen Vorauszahlungen für Gas haben sich verdreifacht. „Da ich Rentnerin bin, ist das nicht einfach. Vermutlich werde ich auf Kultur verzichten müssen. Kein Theater, kein Konzert, kein Kino.“ Sie überlege auch, weniger zu heizen, sich wärmer anzuziehen, vielleicht im Winter den Balkon als eine Art Außenkühlschrank zu nutzen. Schütz findet energetische Sanierungen trotz allem richtig. „Aber wenn die Wohnung dadurch so teuer wird, dass ich sie mir nicht mehr leisten kann, dann nützen sie mir nichts.“

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