In-vitro-Fisch: Mit Stammzelle zum Fischstäbchen
Industrielle Fischerei heißt Tierleid und kaputte Meeresböden. In Lübeck wird an Alternativen geforscht. Etwa an Fischen, die nie geschwommen sind.
N och sind es Bällchen und Stäbchen. Sie sollen nichts weniger tun, als zu revolutionieren, wie wir Fisch essen. Gerade liegen sie, schön auf Schieferplatten angerichtet, im Laborlicht des Erdgeschosses vom Fraunhofer-Institut Lübeck. Ende des Jahres soll sie ein Sternekoch aus Singapur servieren. Nächstes Jahr einer aus den USA. Und wenn es nach der Branche geht und die Europäische Union mit den Gesetzen hinterherkommt, dann könnte man 2030 im Supermarkt einen Fisch kaufen, der noch nie geschwommen ist.
Beim In-vitro-Verfahren, auf Deutsch „im Glas“, wird einem echten Fisch eine einzige Stammzelle entnommen. Sie wird im Labor in einer Schale gezüchtet, bis daraus so viel Zellmasse entsteht, dass sie gegessen werden kann. In vitro könnte die Lösung für viele Probleme sein. Überfischung, Tierleid, die Zerstörung der Meeresböden durch Schleppnetze. Für andere ist es ein Traum, der real nicht umsetzbar ist. Skalierung, Behörden, Schranken im Kopf.
In Deutschland gibt es ein Unternehmen, das daran arbeitet, den kultivierten Traum wahr zu machen. Fisch im Kühlregal, für den kein Tier leiden musste. Bluu Seafood, gegründet 2020 in Lübeck. Ein Start-up eines Meeresbiologen, der am Fraunhofer-Institut an Zellen forschte. Bluu züchtet Fisch im Labor und kommt dabei schnell voran.
Gerade bewegt sich was in der Szene um kultivierte Lebensmittel. In den USA wurde das erste In-vitro-Fleisch für den Markt zugelassen. Es ist ein riesiger Meilenstein. Am 21. Juni 2023 erlaubte das US-Landwirtschaftsministerium das erste Produkt: ein kultiviertes Hähnchen. Hergestellt wird es in Kalifornien, von den Firmen Good Meat und Upside Foods.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Als sie das in Lübeck hörten, hätten eigentlich die Sektkorken geknallt. Aber die Belegschaft war noch feierverkatert, denn ein paar Tage zuvor sammelte das Unternehmen 16 Millionen Euro an Investment ein. So viel vorneweg, es läuft bei Bluu. Die Firma hat oft etwas zu feiern.
Es ist ein sonniger Tag in Lübeck, etwa drei Wochen nach genau diesen Feierlichkeiten. Der Pressesprecher der Firma, Cornelius Lahme, führt durch das Fischlabor. Braunes Haar, Start-uppiger Typ. „Kann man gar nicht hoch genug hängen, was da in den USA passiert“, sagt Cornelius Lahme, „das ist der Breakthrough. Das wird so viel Geld freisetzen.“
Schon die Öffnung des Marktes in Singapur hat viel Geld in die In-vitro-Branche gespült. Dort darf kultiviertes Fleisch und Fisch aus Stammzellen seit 2020 vermarktet werden. Es gibt Restaurants, in denen man bereits im Glas gezüchteten Fisch essen kann. Natürlich weil die Regierung möchte, dass es dort zum Big Business wird. Bluu wolle dort nächstes Jahr ein Produkt in einem gehobenen Restaurant anbieten, sagt Lahme. In Singapur kann man also bald Fisch aus einem Fermenter in Lübeck essen.
Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Braucht man das? Es gibt vegane Alternativen. Im Fleischbereich, aber auch beim Fisch muss schon lang nicht mehr im Tiefkühlregal nach echtem Lachs gegriffen werden. „Vegane Ernährung ist für die meisten Menschen ein Kompromiss. Wir wollen die Formen der Ernährung erweitern“, sagt Cornelius Lahme dazu. Fisch ohne Tierleid, das ist die Motivation hinter der Forschung am In-vitro-Verfahren. Ein Fisch, der geerntet werden kann.
Ricco Heinze ist der Mann für Bioprozesse bei Bluu Seafood. Ein Typ mit Pferdeschwanz und Dauergrinsen. Er kann das erklären, was viele nicht verstehen. Wie wächst eine Zelle so heran, dass man sie als Fisch essen kann? Die Herstellung des gezüchteten Fisches läuft in drei Schritten ab. Zellisolierung, Fermentierung, Zubereitung.
Ricco Heinze öffnet in Lübeck einen doppeltürigen Kühlschrank. Hier lagern einzelne Fischzellen von Lachs und Regenbogenforelle. Sie werden per Endoskopie entnommen, also aus dem Fischkörper abgesaugt. Dabei werden vor allem Fett und Muskelzellen verwendet. Denn die wachsen gut. Die entnommene Zelle kommt in eine flache Schale. Zellen lieben Oberflächen. Im Körper wachsen sie auf Strukturen, auf Gewebe, Bändern und Muskeln. Im Labor wird die Zelle deshalb auf eine große Oberfläche gelegt. Um die Zelle herum kommt etwas, an dem bei Bluu ein eigenes Team forscht: das Nährmedium.
Ein Knackpunkt sei, sagt Heinze, die Zellen immer schneller zum Wachsen zu bringen. Er zeigt auf die violett fluoreszierende Flüssigkeit, in der die Zellen im Kühlschrank schwimmen. Im „Nährmedium“ ist alles drin, was Lebewesen zum Wachsen brauchen. Kohlenstoffquellen. Zucker. Aminosäuren. Wachstumsfaktoren. Tiereigene Hormone. So soll ein genaues Abbild vom Fischkörper geschaffen werden.
An dieser Station kommen wir zum ersten Problem der In-vitro-Fischerei: In so eine Laborschale passt nicht viel. Bei der Kultivierung von Fisch geht es um Masse. Je größer die Gefäße, desto mehr Produkt. Zuerst arbeitete Bluu in 100-Milliliter-Schalen. Inzwischen sind sie bei Behältern angelangt, die 3 Liter fassen.
„Das sind die Bioreaktoren, in denen wir momentan züchten.“ Heinze zeigt auf Gefäße, in denen gerade Zellen vermehrt werden. „Wir sagen lieber Fermenter“, stoppt ihn Pressesprecher Lahme sanft. Heinze nickt schnell. „Genau, äh, Fermenter, mein ich doch.“
Die Bioreaktoren sprechen für ein weiteres Problem, mit dem Firmen im Cultivated-Food-Bereich zu tun haben, nämlich die öffentliche Wahrnehmung. Reaktor, so heißt das Ding nun mal im Laborsprech, aber da denken die Menschen eher an Atommüll anstatt an Essen. Alles, was irgendwie unnatürlich klingen könnte, haben Firmen wie Bluu deshalb aus ihrem Sprachgebrauch verbannt. Man will den Leuten den In-vitro-Prozess als das verkaufen, was er ja tatsächlich auch ist: vom Mensch herbeigeführt, aber in sich natürlich.
Der Prozess von kultiviertem Fisch ist im Prinzip der Gleiche wie bei Bier, Käse oder Sauerteig. Die Fischzellen werden im Nährmedium zur Gärung gebracht und vermehren sich so. Wenn man mit Menschen aus der Branche spricht, vergleichen die sich deshalb auch oft mit Brauereien. Menschen wie Ricco Heinze oder Cornelius Lahme träumen deshalb von einer lokalen Kultur um In-vitro-Fisch. Jedes Start-up arbeitet an eigenen Spezialitäten, die den Markt erweitern. Wie beim Craft Beer, aber als Fisch. In Lübeck gibts Lachs, in Kalifornien Forelle und in Israel Thunfisch. Jeder kultiviert selbst vor sich hin und schafft sein eigenes Produkt mit Charakter.
Weil der Prozess natürlich ist, läge das Problem zwischen den Ohren. „Leute finden es eklig, wenn etwas aus dem Labor kommt“, sagt Ricco Heinze. Er könne das sogar nachvollziehen. Natürliche Prozesse, wie die Fermentation von Zellen, sind schwer zu vermitteln, weil sie so kompliziert sind. „Aber wenn die Leute genau wüssten, was sie da im Supermarkt kaufen, was in diesem Fisch alles drin ist. Ich kann das nicht mehr anrühren. Alles, was wir ins Meer kippen, landet im Fisch. Mikroplastik, Öl, Chemieabfälle, Medikamente. Der Fermenterfisch, die kultivierte Zelle, hat dieses Problem nicht. Die ist komplett sauber.“
Bei Bluu liegen die Fischzellen in den 3 Litern Nährmedium. Das Ziel sind riesige Silos für die Massenproduktion. Nächster Schritt: 50 Liter. Übernächster Schritt: 100 Liter. Aber, sagt Heinze: „Wenn das hier wirtschaftlich sein soll, dann müssen wir mit mehreren tausend Litern arbeiten.“ Das wird noch Jahre dauern.
Nach der Fermentierung im Bioreaktor werden die Zellen abgeerntet und als Zutat für die Bällchen und Stäbchen verwendet. Das ist momentan das Produkt, das Bluu anbieten will. Frittierte Fischzellenmasse. Die sieht aber deutlich besser aus, als es klingt.
Aus dieser Masse werden dann zusammen mit pflanzlichen Rohstoffen Fischstäbchen hergestellt. 15 Prozent davon sind Fischzellen, 85 Prozent unter anderem pflanzliche Proteine. Ein Prototyp, denn noch sind die Fischzellen zu teuer in der Herstellung. „Natürlich wollen wir an die hundert Prozent“, sagt Ricco Heinze und schaut auf die goldgelb frittierten Stäbchen.
Und wie schmecken sie? Diese Frage kann hier leider nicht beantwortet werden. Denn Reporter dürfen keinen kultivierten Fisch probieren. In Deutschland ist der Konsum noch strengstens verboten. Ausnahme: zu Forschungszwecken. Es schmecke wirklich gut, sagen alle, die bei Bluu arbeiten. Hier muss man wohl der Quelle vertrauen.
Wenn man so ein Fischstäbchen aufschneidet, sieht man, dass die Textur der Fischmasse bis jetzt wenig an Sashimi oder Filet erinnert. Aber, um fair zu bleiben, das tun echte Fischstäbchen auch nicht. Deshalb sind Fischstäbchen im In-vitro-Bereich gerade realisierbar. Ein Filet ist noch Zukunftsmusik. Denn Zellen wachsen lassen und essen, das klappt. Aber etwas so wachsen lassen, dass es Textur hat? Anderer Schnack. Für Bluu ist aber genau das ein Vorteil.
Denn Fisch hat nicht die fasrig komplizierte Textur von Steak. Kultivierter Fisch lässt sich deshalb einfacher herstellen. Außerdem ist die Fermentierung von Fischzellen energiesparender als die von Rindfleisch. Bei Säugetieren müssten für das Zellwachstum genau 37 Grad im Bioreaktor herrschen – wie im menschlichen Körper eben. Da Fische wechselwarme Tiere sind, wachsen ihre Zellen bei Raumtemperatur.
Mit Fleisch fing die Reise von In-vitro an. Schon 2013 stellte der niederländische Zellforscher Mike Post auf einer Pressekonferenz den ersten kultivierten Burger vor. Post entnahm die Stammzellen einer Kuh und ließ sie mit natürlichen Prozessen zu einem Burgerpatty wachsen. Seine Firma nannte er Mosa Meat. Es ging schnell bergauf. Weltweite Berichterstattung. Sogar Leonardo DiCaprio investierte.
Das Problem ist auch hier noch die Skalierung. Der erste vorgestellte Burger soll 250.000 Euro gekostet haben. Aber der Preis sinkt exponentiell. Was steigt, ist die Größe der Bioreaktoren. Bei Mosa Meat sollen die Kuhburger schon in 200-Liter-Tanks wachsen.
Spaziergang auf dem Lübecker Campus mit Sebastian Rakers, dem CEO von Bluu. Die Medien nennen ihn den „Laborfischer“. Rakers trägt kurze Hosen und kneift seine Augen in der Sonne zusammen. Er hat die Firma 2020 gegründet, ist Meeresbiologe und forschte nach der Uni zehn Jahre lang am Fraunhofer-Institut. Rakers ist stolz auf das, was er geschafft hat: 30 Mitarbeitende, bald eine schicke Pilotfabrik in Hamburg und ein Stück vom Investorenkuchen im In-vitro-Game.
Im Jahr 2008 fing Rakers als junger Doktorand beim Fraunhofer-Institut in Lübeck an. Er wollte in die angewandte Forschung. Auf Schiffen über die Weltmeere fahren und forschen, ja, das sei schon geil gewesen, aber er habe immer irgendwie etwas Eigenes gründen wollen. Er forschte damals viel zu Biodiversität und Zelltheorie. In seiner Doktorarbeit ging es um Fischzellen. Die Zelle als kleinste Einheit des Lebens, das faszinierte ihn. Die Zellkulturen aus der Doktorarbeit, die seien so ein bisschen wie seine Babys gewesen.
Rakers sagt, schon 2008 habe man in Lübeck diskutiert, ob man Zellen dafür nutzen könnte, um Fischöl herzustellen. Mit Zellvermehrung, vielleicht sogar durch Fermentierung. Die Idee geisterte rum. Und dann kam Mike Post mit seinem kultivierten Burger.
„Die Niederländer machten genau das, worauf ich schon seit Jahren herumgedacht habe“, sagt Rakers. Er tat sich mit einem Bekannten zusammen, der schon mehrere Start-ups gegründet hatte. 2020 öffnete Bluu sein erstes Labor.
Sebastian Rakers, Meeresbiologe und Gründer von Bluu Seafood
„Wir blenden aus, wie wir mit Tieren umgehen. Wie lang soll das noch gut gehen?“, sagt Sebastian Rakers. „Es wird immer Landwirtschaft geben. Es wird immer Fischerei geben. Aber wir brauchen Alternativen für die Masse.“ Sechs Millionen Lachse in einem Netzgehege vor Norwegen, wo heute der meiste Lachs gezüchtet wird, das gehe nicht mehr. „Vier Jahre wird ein Tier gezüchtet, nur um es dann zu essen.“ Das Kultivieren von Fisch ist tierfreundlicher. „Ich muss keinen ganzen Fisch mehr produzieren, um am Ende ein bisschen Fischfilet zu essen.“
Die nächsten Schritte sind deshalb klar für Rakers. „Wir brauchen die Lebensmittelzulassung“, sagt er. „Wir können nicht mit Genehmigungslaufzeiten von sechs Jahren arbeiten.“ Neue Lebensmittelzulassungen in der EU, das dauert. Natürlich sei das frustrierend, man wolle schon in Deutschland produzieren. Aber wenn das Land da nicht mitspiele, würde er sich umschauen, in den USA oder in Asien. Dort sind Lebensmittelverordnungen deutlich laxer. Bluu könnte da jetzt schon mit seinen Fischstäbchen Tastings veranstalten.
Die passenden Argumente für sein Produkt hat Rakers parat. Weniger Tierleid. Gesünder ist es für den Menschen auch, wegen des kontrollierten Prozesses. „Wir können von vorne bis hinten kontrollieren, was in die Zelle reingeht.“ Kein Mikroplastik, keine Krankheiten, keine Antibiotika. Den Weltmeeren schadet es auch nicht. Keine durch Fischerei zerstörten Böden, kein Beifang, keine langen Transportwege.
Und die Nachteile? Das sind zunächst einmal die Herstellungskosten. Bei Bluu sagt niemand, wie hoch sie noch sind. Es ist kompliziert, da der Prozess und die Forschung auch noch eine Rolle spielen. Aber es gibt gute Zeichen, aus Singapur. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass es der Firma Shiok Meat bereits gelungen sei, den Preis für ein Kilo Garnelenfleisch innerhalb weniger Jahre von etwa 10.000 auf 50 Dollar zu senken.
Dann wäre da noch die Sache „zwischen den Ohren“. Menschen davon zu überzeugen, dass Fleisch, welches im Labor wächst, genauso gut ist wie das aus der Wildnis. Bluu arbeitet daran. Sie haben extra Menschen fürs Marketing eingestellt und führen Journalist:innen durch das Labor.
Wann können wir im Labor fermentiertes Essen im Supermarkt kaufen? 2030, schätzen sie bei Bluu. Die Unternehmensberatung Kearney gab 2019 eine Studie zum Fleischkonsum der Menschheit in Auftrag. Laut dieser könnte bis 2040 der Anteil an kultiviertem Fleisch sogar bei 35 Prozent liegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml