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Impfpflichtdebatte im ParlamentEin Gewinn für die Meinungsbildung

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Die Ampelkoalition tut sich schwer mit der Impfpflicht. Die angekündigte „Orientierungsdebatte“ im Bundestag ist daher der richtige Schritt.

Beim Thema Impfpflicht gehen die Meinungen weit auseinander: Graffiti in Dortmund Foto: Marco Stepniak/imago

E igentlich sollte ab März eine allgemeine Impfpflicht gelten – so hatte sich das Kanzler Olaf Scholz zunächst recht zuversichtlich vorgestellt. Daraus wird nichts mehr, eine Entscheidung darüber ist erst im März zu erwarten. Wann eine Impfpflicht dann eventuell in Kraft träte, ist derzeit noch völlig unklar.

Verkraftbar ist das, es ist ja nicht die erste verschobene Frist in dieser Pandemie. Wobei schon fraglich ist, warum sich Po­li­ti­ke­r:in­nen überhaupt noch trauen, so vollmundige Ankündigungen inklusive Nennung konkreter Zeitpunkte zu machen. Vertrauensfördernd ist das nicht.

Dass bei der Frage um eine allgemeine Impfpflicht der Frak­tions­zwang aufgehoben wurde und Gruppenanträge aus dem Parlament heraus erarbeitet werden sollen, kann ein Stück weit als Geschenk an die FDP verstanden werden. Dass sich die Liberalen grundsätzlich ein wenig schwerer tun mit einer Impfpflicht, ist hinreichend bekannt. Und ein Gesetzentwurf der Ampelregierung, der keine eigene Mehrheit gefunden hätte, das konnte nicht im Interesse von Olaf Scholz sein.

Wenn es dem Kanzler wirklich nur um die Gewissensfrage ginge, warum war dann ein solches Verfahren bei der bereits beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht notwendig? Doch selbst wenn die Motivation dieser Vorgehensweise fragwürdig erscheint, richtig ist sie dennoch. Bei der allgemeinen Impfpflicht handelt es sich um einen schweren Grundrechtseingriff, der die körperliche Selbstbestimmung berührt.

Eine medizinethische Frage

Ein solcher Schritt, auch wenn es gute Argumente dafür gibt, sollte gut ausgearbeitet und rechtssicher sein. Es ist zweifelsohne eine medizinethische Frage, die unabhängig von der Parteizugehörigkeit debattiert werden sollte, um der Ernsthaftigkeit gerecht zu werden. Bei der Sterbehilfe etwa wurde der Fraktionszwang zu Recht auch aufgehoben.

Beim Thema Impfpflicht gehen in Familien oder Freundeskreisen die Meinungen mitunter weit auseinander. Eine Orientierungsdebatte im Plenum ist in diesem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima deshalb ein echter Gewinn im Meinungsbildungsprozess, für die Bevölkerung, aber auch für die Abgeordneten selbst.

Es gibt bei dieser Frage keine einfache Antwort, auch im Ethikrat gibt es dazu kontroverse Auffassungen. Überraschend ist, dass konkrete Vorschläge, wie eine altersbezogene Impfpflicht für über 50-Jährige bislang nur aus der FDP heraus bekannt geworden sind.

Was aber auf jeden Fall sicher gestellt werden sollte: Falls sich die Abgeordneten für eine wie auch immer geartete Impfpflicht entscheiden, dann sollte der ganze Umsetzungsprozess vor dem nächsten Herbst abgeschlossen sein. Sonst stehen wir im nächsten Winter wieder vor dem gleichen Pro­blem.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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15 Kommentare

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  • der gaul ist jetzt schon totgeritten.



    auffällig ist, das in diesem land immer das problematische thematisiert und in den vordergrund geschoben wird, mit dieser betonung ist keine debatte möglich und schon gar kein konsenz erzielbar.



    wenn sich ärzte vor kinder hinstellen und (zugegeben in kindergerechter sprache) erzählen, was die nebenwirkungen der impfung sein können, was kann man erwarten, was bei kindern dann hängenbleibt...?



    wird immerzu die nebenwirkung hervorgehoben und sein es auch mit dem zusatz "in ganz seltenen fällen" ist die unbewußte botschaft bereits gesetzt.



    das ist bei der impfpflicht genau das selbe, als ob durch eine parlamentsdebatte ein konsenz zwischen 80 mio bewohnern dieses landes erzielt werden würde... im gegenteil, das, was beim ab-und-zu-zeitungsleser ankommt, ist das gegenteil des beabsichtigten.

  • Ich bin gespannt darauf, was die Debattierer hinterher alles schon vorher gewußt haben.

  • Den jetzt angestrebten Weg halte ich angesichts der Tragweite der Entscheidung für richtig und angemessen.

    Ist nur für jene ungünstig, die im Fall einer krisenhaften Entwicklung gerne einer Partei die Schuld zuweisen würden. Das funktioniert bei einem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf nicht so einfach.

    Ich empfinde übrigens das allgemeine Genöle über so genannte Wortbrüche und nicht eingehaltene Termine inzwischen als fast so belastend wie die Pandemie selbst.

    Oft sind Politiker*innen und Journalist*innen die den dadurch entstehenden Vertrauensverlust beklagen die gleichen, die zuvor unsinnige Terminfestlegungen oder ja/nein-Antworten von den gerade verantwortlichen Politiker*innen eingefordert haben.

    Angesichts der vielen Toten, die die Pandemie inzwischen gefordert hat und weiter fordert sind parteitaktische Spielchen äußerst unangebracht.

    • @Bürger L.:

      Ja, und das kann man nur doppelt und dreifach unterstreichen.

      Endlich eine Regierung, die sich nicht als Schattenlegislative aufführt!

      Eine Impfpflicht ist (so sehr ich prinzipiell dafür bin) eine weitreichende Entscheidung, sie ist nicht automatisch "gut", sondern will auch handwerklich gut gemacht, rechtssicher, umsetzbar, und logistisch vorbereitet sein. Um das zu erreichen, ist eine öffentliche, transparente Debatte des zuständigen Verfassungsorgan essentiell!

      Und nein, zuständig ist nicht die Regierung. Die ist das ausführende Element. Wenn also die CDU/CSU den Bundesgesundheitsminister anpampt, dass er auf einen eigenen Gesetzesentwurf verzichtet, offenbaren sie dabei nur eine pathologische Vewrachtung der Gewaltenteilung, die ja in Deutschland an dieser Stelle (Trennung zwischen Legislativ- und Exekutivgewalt) ganz problematisch ist.

      Und außerdem: es wird ein Genuss sein, zu sehen, wie sich die üblichen Verdächtigen vo der Tribüne herab zum Obst machen.

  • Ergänzung:

    ...und auch wenn im Moment viele die Hoffnung hegen, die Pandemie sei nach Omikron vorbei...Natürlich wünschen wir uns das. Aber erstens ist dies zwar möglich aber vollkommen ungewiss.. denn niemand kann vorher sagen ob nicht doch noch deutlich gefährlichere Varianten von Covid entstehen..irgendwann und irgendwo auf diesem Planeten.



    Und zweitens macht die Erderwärmung das Geschehen auf allen Ebenen dynamischer, was bedeutet, daß auch andere Viren mit größerer Wahrscheinlichkeit gefährlich werden könnten.

    Es geht bei dieser Debatte also auch darum sich fit zu machen für die Zukunft.

  • Die bisherigen Diskussionen und Ereignisse haben ja bereits gezeigt, dass es in Deutschland nicht nur sehr viele verschiedene Auffassungen und Haltungen gibt (was ich als überzeugter Demokrat sehr begrüße), sondern auch eine Menge Misstrauen und Ängste..

    Ich finde es daher sehr!! gut, eine allgemeine Impfpflicht nicht einfach "von oben herab" zu beschließen, sondern vielmehr einen (Klärungs-) Prozess einzuleiten, der möglichst viele mit nimmt.

    Vielleicht hilft ein solcher Prozess ja sogar dabei zumindest einen Teil der Ängste und des Mißtrauens abzubauen und dadurch einen Teil unserer gesellschaftlichen Altlasten über Bord zu werfen...

    Ein Gewinn für die Demokratie ist diese Vorgehensweise jedenfalls allemal.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Top Taktik. Bis man fertig diskutiert hat, ist die Pandemie zuende.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    An das Städtische Gesundheitsamt



    Ich will meinen Georg niemals nicht impfen lassen. Ich glaube nicht an ihr. Meine Freundin Lotte hat ihr Kind auch impfen gelassen. Dann fiel es kurz danach zum Fenster raus und war sofort tot. Und deshalb nicht sagt und schreibt Frau Olga S.



    aus www.buecher.de/sho.../prod_id/07168694/

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Aus unserer Reihe "Wenn das Impflicht trübe funzelt". Ich lachte unangemessen viel.

  • Welche Debatte?

    AfD dagegen.



    Der Rest dafür.

    Was soll das für eine Debatte werden mit den Rechstshansels von der AfD.



    Es braucht keine Debatte, es braucht einen Beschluss!

    Lauterbach soll endlich seines Amtes walten und eine Gesetzesvorlage erarbeiten. Gerne auch in Zusammenarbeit mit der Opposition aus LP und CDU.



    Dann hat auch die Bevölkerung im Vorfeld etwas zum mitquatschen.



    Das muss alles schneller gehen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      „Es braucht keine Debatte, es braucht einen Beschluss!“



      Soso. Es geht aber nicht um einen Griff ins Portemonnaie – wie bei einer Finanzkrise, es geht um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Einfach nochmal lesen: „Es ist zweifelsohne eine medizinethische Frage, die unabhängig von der Parteizugehörigkeit debattiert werden sollte, um der Ernsthaftigkeit gerecht zu werden."

      • @95820 (Profil gelöscht):

        der eingriff in die körperliche unversehrtheit verschwindet aber nicht einfach, wenn man darüber alle bereits hervorgebrachten Argument noch einmal hervorholt und sie sich gegenseitig vorhält.



        auch bei einer debatte braucht es einen beschluß, an der ausgangslage ändert eine debatte nämlich auch nichts.



        und selbst ein beschluß im parlament ist kein beschluß der gesamtbevölkerung, man kann es drehen und wenden wie man will, letztlich ist es eine entscheidung und ein entschluß für eine variante und letztlich muß irgendjemand den kopf hinhalten und es auf seine kappe nehmen, es wird immer teile geben, die das nicht mittragen und wenns schief geht sind das im zweifel alle.

      • @95820 (Profil gelöscht):

        "Einfach nochmal lesen: „Es ist zweifelsohne eine medizinethische Frage, die unabhängig von der Parteizugehörigkeit debattiert werden sollte, um der Ernsthaftigkeit gerecht zu werden."

        Es geht mittlerweile um über 100.000 Coronatote und noch viel mehr Menschen mit Folgeschäden.



        Es geht um Zeit. Deshalb soll das federführende Gesundheitsministerium endlich mal in die Pötte kommen und einen Gesetzentwurf erarbeiten.

    • @Rudolf Fissner:

      Lauterbach ist als Bundesminister primär ein Mitglied der Exekutive. Einen Gesetzesentwurf vorzulegen, ist Job der Legislativgewalt. Auch und gerade wenn das in Deutschland nicht sauber getrennt ist.

      Wir haben viel zu lange viel zu viele schlechte und sogar grundgesetzwidrige Gesetzesentwürfe der CDU/CSU gehabt, die sie mit ihrer Regierungsmehrheit durchgedrückt hat. Dem Parlament endlich mal den Vortritt zu lassen,. ist vielleicht der Verlegenheit geschuldet oder der Faulheit oder was auch immer, aber es kann auch einfach ein Zeichen des Respekts des Ministers vor den checks and balances sein, die wir in 16 Jahren Hegemonie derselben Kleptokratenclique schon fast vergessen haben.

      Für Omikron kommts eh zu spät. Was wir brauchen, ist ein solides rechtskonformes Gesetz, ein funktionierendes und datensparsames Impfregister, und eine klare Kreuzimpfungsstrategie, insbesondere für Minderjährige die sich momentan für einen hochwirksamen Impfschutz die Hacken auf der Suche nach einer Off-Label-Arztpraxis krummlaufen müssen. Oh, und ein System um ablaufende Impfdosen rechtzeitig Bedürftigen zuzuführen wäre auch sehr nice, denn jede Impfung, egal wo sie stattfindet, verbessert den Schutz aller Menschen weltweit.



      Und wir brauchen das im August. Spätestens. Aber auch nicht wesentlich früher. Denn wie sich in Israel zeigt: Geschwindigkeit beim Impfen ist ein zweischneidiges Schwert. Sobald man sich in wissenschaftlich unkartierte Gewässer begibt, kann die Eile ganz schnell nach hinten losgehen: die homologe Vierfachimpfung mit Biontech schützt weder so gut vor Omikron, wie man es erhoffte, noch vor dem was danach kommt. Aber bereits eine Dreifach-Kreuzimpfung mit den höchstwirksamen Impfstoffen bietet einen recht anständigen Schutz vor allen aktuellen und sogar zukünftigen Virenstämmen - man kann das ja mit "fiktiven" im Labor modifizierten Spikes testen. Oder man nimmt einfach das von SARS-1, und siehe da, sogar dagegen kann man schon mit 2 Impfungen Antikörper induzieren!

      • @Ajuga:

        "Lauterbach ist als Bundesminister primär ein Mitglied der Exekutive. Einen Gesetzesentwurf vorzulegen, ist Job der Legislativgewalt."

        Es gibt viele Wege zu einem Gesetzentwurf und alle führen letztendlich zur Abstimmung im Parlament. "Gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) werden Gesetzesvorlagen beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht."

        Aber für die Regierung, die auch die meisten Gesetze mit ihrer Mehrheit durchbringen kann, sind die federführenden Ministerien für einen Gesetzentwurf zuständig:

        "Klar geregeltes Verfahren- Die Erarbeitung einer Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung erfolgt durch das zuständige Ressort und dort im Schwerpunkt im zuständigen Referat. [...] Das federführende Bundesministerium hat sodann, bevor der Entwurf einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung zum Beschluss vorgelegt wird, die von dem Gesetzesentwurf betroffenen Bundesministerien und den Nationalen Normenkontrollrat im Rahmen seiner Zuständigkeit frühzeitig bei den Vorarbeiten und der Ausarbeitung einzubeziehen. Das federführende Bundesministerium hat weiterhin den Gesetzesentwurf dem Bundesministerium der Justiz zur Rechtsprüfung zuzuleiten." ( www.bmvg.de/de/ser...sbeschluss-3713374 )