Humanitäre Krise in Syrien: Moskaus Veto beendet Syrien­hilfe

Bisher überlebten Millionen Menschen in Syrien nur dank Hilfsgütern, die die UN aus der Türkei brachten. Damit könnte nun Schluss sein.

Kinder auf einem sandigen Platz zwischen Zelten

Erst ein Sandsturm, dann der Hunger? Kinder in einem Flüchtlingslager in Idlib am 2. Juni Foto: Anas Alkharboutli/dpa

BERLIN taz | Mit dem Krieg in der Ukraine und dem weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise verschärft sich auch die Lage in Syrien: Die Menschen haben Mühe, ihre Familien zu ernähren, und im nicht von der Regierung kontrollierten Nordwesten des Landes kann mehr als die Hälfte ihren täglichen Bedarf an Brot nicht decken. Und ausgerechnet nun läuft eine UN-Resolution aus, die humanitäre Hilfe für Millionen Sy­re­r*in­nen in Nordwestsyrien sichert.

Die Regelung erlaubte es bisher UN-Hilfswerken, Medizin, Decken und andere Hilfsgüter auch in Gebiete Syriens zu bringen,die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Doch Russland blockierte am Freitag mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat die Verlängerung der entsprechenden Beschlüsse. Als Hauptunterstützer des syrischen Machthabers Baschar al-Assad bemüht sich Russland seit Längerem um eine Schließung der Hilfsroute über die Türkei und verlangt, dass Transporte ausschließlich über Damaskus und andere syrische Regierungsgebiete erfolgen.

Der Vorschlag zur einjährigen Verlängerung der Syrienhilfe außerhalb des Regierungsgebiets, den Irland und Norwegen ausgearbeitet hatten, bekam zwar 13 Ja-Stimmen, China enthielt sich, doch Russland stimmte dagegen. Russlands stellvertretender UN-Vertreter Dmitry Polyanskiy sagte, Russland werde gegen jeden Entwurf ein Veto einlegen – außer gegen den eigenen.

Der russische Vorschlag sah eine sechsmonatige Verlängerung und dann eine neue Abstimmung vor, es wurde auch stärker betont, die Rückkehr des Regimes in die nicht von ihm kontrollierten Gebiete zu unterstützen. Doch dieser Resolutionsentwurf scheiterte am Freitag ebenfalls, da nur Russland und China dafür stimmten. Die Vetomächte USA, Großbritannien und Frankreich stimmten dagegen, während sich die restlichen zehn Ratsmitglieder der Stimme enthielten.

„Ein dunkler Tag für den Sicherheitsrat“

Polyanskiy schlug vor, dass ein anderes Mitglied den russischen Entwurf erneut zur Abstimmung bringt. Er kritisierte seine westlichen Kol­le­g*in­nen und sagte, es stimme nicht, dass Russland gegen die Grenzhilfe sei. Anders sah das die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield. „Dies ist ein dunkler Tag für den Sicherheitsrat“, sagte sie bei der anschließenden Pressekonferenz.

Karte von Syrien

„Heute hat ein Mitglied des Sicherheitsrates sich aktiv dafür entschieden, [Syrer*innen] von der Lieferung von Windeln, Essen, Medizin und anderen wichtigen Hilfsgütern abzuschneiden.“ Der Vorschlag der Verlängerung um ein Jahr sei schon ein Kompromiss gewesen. „Es tut mir leid. Wir werden weiter mit der humanitären Gemeinschaft zusammenarbeiten, um weiterhin humanitäre Hilfe an das syrische Volk zu leisten“ sagte sie. Die Grenze mache nicht zu, sondern es ende der effektive UN-Mechanismus, über den Hilfe käme.

Fast 10.000 mit humanitärer Hilfe beladene UN-Lastwagen passierten letztes Jahr den Grenzübergang Bab al-Hawa aus der Türkei in Richtung der Region Idlib, dieses Jahr waren es bisher 4.600. Es ist der einzige Übergang, über den Hilfe nach Idlib gebracht werden kann, ohne durch Gebiete zu navigieren, die von syrischen Regierungstruppen kontrolliert werden und damit von deren Wohlwollen abhängig zu sein. 2,4 Millionen Menschen wurden nach UN-Angaben auf diesem Weg mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern versorgt.

Die Hilfsoperation ins syrische Rebellengebiet ist schon länger umstritten, dieses Jahr gerät sie in die Spannungen zwischen Russland und dem Westen aufgrund des Krieges in der Ukraine. Ursprünglich lief diese Hilfe über drei Grenzübergänge. Im Juli 2020 legten China und Russland ihr Veto gegen eine UN-Resolution ein, die noch zwei Grenzübergänge von der Türkei für humanitäre Hilfe nach Idlib aufrechterhalten hätte. Tage später genehmigte der Rat die Lieferung von Hilfsgütern dann nur noch über einen Übergang: Bab al-Hawa.

Letzter Lastwagen passiert die Grenze

In einem Kompromiss mit Russland wurde das einjährige Mandat am 9. Juli 2021 um ein Jahr verlängert. In Ermangelung einer neuen Verlängerung endet dieses Mandat jetzt in der Nacht von Sonntag auf Montag. Nach UN-Angaben passierte der letzte Lastwagen am Freitagmittag die Grenze, die am Samstag aufgrund des Eid-Festes geschlossen wurde. Für den Fall, dass der Sicherheitsrat nicht handelt, haben Hilfsorganisationen etwa drei Monate Vorräte vorpositioniert.

Russland argumentiert, dass die UN-Hilfsoperation die Souveränität Syriens verletze. Mehr Hilfe solle aus dem Inneren des Landes geliefert werden. Doch dadurch würden die Lieferungen unter die Kontrolle der Regierung fallen – alle Hilfsgüter auch für Menschen im Rebellengebiet müssten erst einmal von Regierungsbehörden genehmigt werden. Und bei einer sechsmonatigen Verlängerung, wie von Russland vorgeschlagen, würde die Hilfe im Januar 2023 auslaufen, mitten im tiefsten Winter.

Wird die Hilfe nicht verlängert, wäre das eine „Katastrophe“, sagte der stellvertretende UN-Regional­koordinator für humanitäre Hilfe, Mark Cutts, der taz. Derzeit seien kleinere Hilfswerke nicht in der Lage, mit der grenzüberschreitenden UN-Operation mitzuhalten. Seit der ersten Resolution im Jahr 2014 hätten die Vereinten Nationen über 50.000 Lastwagen mit humanitärer Hilfe über die türkische Grenze geschickt. „Mit mehr Mitteln können wir in Zukunft noch mehr für die Regenerierung grundlegender Dienste wie Gesundheit und Bildung tun. Vor allem müssen wir helfen, dass wieder mehr Kinder zur Schule gehen.“

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