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Hitzewellen sind das neue „Normal“Werde cooler, Deutschland

Bis zu 40 Grad in Deutschland, doch noch immer ist das Land schlecht auf solche Temperaturen vorbereitet. Schon jetzt gibt es mehr Hitze- als Verkehrstote.

Deutschland ist eine Baustelle, gerne auch im Sommer. Doch auch für Straßen­arbeiter ist die Hitze eine große Tortur Foto: Stelios Misinas/reuters

Berlin taz | Die Hitzewelle in Deutschland erreicht am Mittwoch ihren Höhepunkt. Laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) hat sich eine sehr heiße Luftmasse aus Südwesteuropa über Deutschland breit gemacht und heizt sich vor Ort weiter auf. „Am Mittwoch erreicht die Hitze ihre maximale Ausprägung mit verbreitet Höchstwerten von 33 bis 40 Grad“, sagt der Meteorologe Marco Manitta.

Die Klimaerhitzung hat Hitzewellen in Europa in den letzten Jahrzehnten bereits verstärkt. Auch die weitere Entwicklung ist gut belegt: Klimamodelle sagen voraus, dass Hitzewellen wie dieser Tage in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts das neue „Normal“ in Deutschland werden. Und damit auch die bei diesen Temperaturen einhergehenden Gesundheitsgefahren.

„27 Wege, auf denen dich eine Hitzewelle töten kann“, titelte ein vielbeachteter Aufsatz, den US-Mediziner 2017 veröffentlichten. Darin beschreiben sie jene physiologischen Mechanismen auf, durch die hohe Temperaturen zur tödlichen Falle werden. „Der Mensch ist anfälliger für Hitze, als die meisten Leute denken“, erklärte Hauptautor Camilo Mora von der University of Hawaii.

Besonders gefährdet seien Kranke, Alte und Kinder – doch auch junge, gesunde Menschen könnten bei extremer Hitze in Lebensgefahr geraten. Angesichts dessen, so Mora, „ist es bemerkenswert, welche Gleichgültigkeit die Menschheit gegenüber den Gefahren eines fortschreitenden Klimawandels an den Tag legt“.

Bei Luftfeuchtigkeit hilft selbst trinken nicht

Tatsächlich gibt es in Deutschland bereits heute mehr Hitzetote als Opfer im Straßenverkehr: Das Robert-Koch-Institut schätzte ihre Zahl in den vergangenen zwei Jahren auf jeweils etwa 3.000, während Verkehrsunfälle im letzten Jahr 2.780 Menschen das Leben kosteten.

Ob Laufen, Nachdenken oder Schlafen: Wir Menschen sind Wärmemaschinen, unser Stoffwechsel erzeugt Energie, die wir ab 30 Grad Außentemperatur nur durch Schwitzen abführen können: Dafür braucht es ein funktionierendes Herz-Kreislauf-System, gesunde Nieren, eine intakte Lunge und viel Wasser.

Ein gesunder Mensch kann bis zu einem Liter Flüssigkeit pro Stunde verlieren. Ohne Nachschub verdickt das Blut, das Gehirn wird schlechter durchblutet, Schwindel, Sprachstörungen und unsicherer Gang folgen. Bleibt der Wassermangel bestehen, versagen die Nieren, der Körper vergiftet sich – der Tod ist unausweichlich.

Doch selbst Trinken hilft nicht, wenn die Luft feucht ist: Bei hoher Luftfeuchte ist unsere Umgebung bereits mit Wasser gesättigt, sie kann kaum noch weiteres aufnehmen. Der Schweiß auf der Körperoberfläche verdunstet nicht mehr, die Notkühlung versagt. Hitzekrämpfe, Hitzeerschöpfung, Hitzekollaps, Hitzschlag drohen. „Gegen Hitze bin ich machtlos“, sagt Andreas Matzarakis, der bis März 2024 das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdiensts in Freiburg leitete.

Seit 1951 hat sich die Zahl der Tage mit über 30 Grad in Deutschland um 170 Prozent erhöht. Auch tropische Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, nehmen zu. Laut Deutschem Wetterdienst ist Deutschland heute 2,5 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Selbst bei einem sofortigen Stopp aller Treibhausgasemissionen werden Hitzewellen in Europa häufiger, wie eine Studie der Universität Hamburg gerade ergab.

In Frankreich können sich Bedürftige registrieren lassen

„Es fehlt das Problembewusstsein“, urteilt Henny Annette Grewe vom Public Health Zentrum Fulda. 2003 starben in Mittel- und Westeuropa etwa 70.000 Menschen durch eine Hitzewelle. Doch Deutschland habe daraus kaum Konsequenzen gezogen. „Im Prinzip ist bekannt, was zu tun ist“, sagt Grewe.

Gebrechliche, orientierungslose oder demente Menschen bräuchten Betreuung und ausreichend Flüssigkeit. Bettlägerige können – ganz profan – über jenen Teil der Körperfläche, der auf der Matratze liegt, keine Hitze abführen. Auch leben alte Menschen nicht selten allein, und soziale Isolation hat sich in vielen Studien als besonderer Risikofaktor bei Hitze herausgestellt.

In Frankreich können sich Alte und Kranke registrieren lassen, damit man sie während Hitzewellen betreut. In Deutschland gibt es solche Angebote nur vereinzelt, etwa Telefonservices in Kassel und Köln. „Menschen, die in überhitzten Wohnungen leben müssen, sollten zumindest stundenweise an kühlen Orten Erholung finden können“, sagt Grewe. Doch das erfordert Personal und Geld. „Zwar gibt es mittlerweile in vielen Kommunen Hitzenotfallpläne, oft fehlt es aber im Ernstfall am Geld.“

Langfristig müsse man Städte umbauen, erklärt Grewe. Immer noch würden riesige Glasfassaden gebaut, die dafür sorgen, dass sich Gebäude besonders stark aufheizen können. „Wir brauchen mehr Grün, vor allem in dicht versiegelten Gebieten. Wir brauchen Frischluftschneisen, die die Städte mit kühlerer Luft von außen versorgen. Wir brauchen eine andere Architektur, es wird noch viel zu oft mit den Erfahrungen der kalten Winter gebaut.“

Doch nicht nur Alte und Kranke sind betroffen. Bei der Leichtathletik-WM 2019 in Katar brachen 28 Marathonläuferinnen zusammen – ein Drittel des Starterfelds. Es herrschten 32,7 Grad bei 73,3 Prozent Luftfeuchtigkeit. Eine Studie aus Frankfurt/Main zeigte, dass Rettungseinsätze in heißen Sommern um bis zu 17 Prozent steigen.

Für ganze Berufsgruppen wird die Hitze zur Tortur. „Es ist leichter, sich vor Kälte zu schützen als vor Hitze“, sagt der Kölner Dachdeckermeister Martin Weihsweiler. In den Hitzesommern 2018 und 2019 musste er seine Mitarbeiter mittags nach Hause schicken – die schwarzen Bitumendächer hatten sich auf 70 Grad aufgeheizt. Unter solchen Bedingungen leidet nicht nur die Gesundheit, auch Baumaterialien lassen sich kaum noch verarbeiten.

Früher waren Winter die schwierigste Zeit für das Bauhandwerk, heute fordert die Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg, das Saison-Kurzarbeitergeld auf die Sommermonate auszuweiten. Auch Kranführer, Straßenarbeiter, Polizisten oder Feuerwehrleute werden die kommenden Tage leiden: Letztere können ihre isolierende Schutzkleidung ja schlecht ablegen, wenn sie im Einsatz sind. (mit dpa)

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1 Kommentar

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  • Und weiterhin denken zu viele, man müsse der Klimakrise nicht entgegentreten.



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    Und werden in Städten Plätze einfach zubetoniert, ohne Schatten, ohne Grün.