Herkunftsnennung bei Straftaten: Er ist „ein Syrer“
Die „Sächsische Zeitung“ nennt seit Juli immer die Nationalität von StraftäterInnen. Damit verstößt sie gegen den Pressekodex – ganz bewusst.
Tunesier prügeln sich, Deutsche schmuggeln eher Drogen. Das scheint zumindest für Sachsen zu gelten. Und auch nur, wenn man die Berichterstattung der Sächsischen Zeitung der letzten sechs Wochen verfolgt und zugegebenermaßen etwas davon abstrahiert hat. Seit dem 1. Juli nämlich nennt die Tageszeitung bei Straftaten grundsätzlich die Nationalität der Täterin oder des Täters. Was das bewirkt? Nach sechs Wochen Lektüre hat man so ein Gefühl, dass man jetzt Bescheid weiß, wie sie ticken, die verschiedenen Nationalitäten.
Beispiel gefällig? Nehmen wir einen Bericht über eine notorische Schminkdiebin aus Dresden vom 13. Juli: „Die Russin wurde zweimal beim Diebstahl von Kosmetik und Parfüm in der Douglas-Filiale in der Seestraße erwischt.“ Ach so, eine Russin! Aber warum noch mal ist das relevant? Ist es überhaupt nicht.
Mit dem, was sie da tut, verstößt die Zeitung gegen Artikel 12.1 des deutschen Pressekodex, des ethischen Regelwerks des Journalismus. Dort steht, dass die Zugehörigkeit zu religiösen, ethnischen oder anderen Gruppen nur dann erwähnt gehört, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“.
Das Gebot soll verhindern, dass Vorurteile bedient werden: Die 630.000 LeserInnen der Sächsischen Zeitung sollen nicht glauben, dass Russinnen so sind, diebisch und von Schminke besessen. Und während es im Fall des „56 Jahre alten Niederländers“ (Meldung vom 16. Juli), der mehrere Tankstellen überfallen haben soll, eher unterhaltsam ist, wird es ernst bei der Nennung von Nationalitäten, gegen die aktuell rassistisch Stimmung gemacht wird.
Gezielte Desinformation?
Am 9. Juli etwa hieß es in der Sächsischen: „Ehefrau erschlagen – Syrer muss 13 Jahre in Haft“. Alles daran ist richtig: Ein Mann hat in Trier seine Frau erschlagen, er ist Syrer und muss 13 Jahre in Haft. Welche Auswirkungen aber hat die Hervorhebung der Nationalität? Ist es diskriminierend, die Tat in Zusammenhang mit der Herkunft des Täters zu bringen?
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Ist es, sagt der Pressekodex. In Artikel 12.1 steht, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“. Bei der konkreten Meldung sind das gängige Vorurteile über arabische Männer. Darum galt bisher: Wenn die Gefahr, zu diskriminieren, größer ist als der Informationsgehalt, gehört die Nationalität verschwiegen.
Nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht ist diese Praxis in die Kritik geraten. Nachdem Polizei und Medien tagelang gar nicht berichtet und sich auch später mit Angaben über die mutmaßlichen Täter zurückgehalten hatten, unterstellten einige Stimmen gezielte Desinformation – man wolle Angela Merkels „Willkommenskultur“ nicht gefährden. Dennoch entschied der Presserat im März, dass der Wortlaut von Artikel 12.1 unverändert bleiben soll.
Bei der Sächsischen Zeitung sieht man das anders. „Den Gedanken hinter Artikel 12.1 teilen wir, nämlich Minderheiten vor Stigmatisierung zu schützen“, so Chefredakteur Uwe Vetterick. „Der empfohlene Weg bewirkt unserer Ansicht nach jedoch häufig das Gegenteil. Das Nicht-Nennen der Nationalität schafft Raum für Gerüchte, und die schaden letztlich denen, die man eigentlich schützen möchte.“
Auch wenn die Nationalität „deutsch“ ist
Unterfüttert hat die Zeitung ihren Schritt mit einer Befragung der AbonnentInnen durch die Technische Universität Dresden. Etwa ein Drittel beantwortete die Frage: „Sind Ausländer häufiger kriminell als Deutsche?“, mit „Nein“ oder „Eher nicht“.
Gleichzeitig schätzten sie den Täteranteil von AsylbewerberInnen bei konkreten Delikten jedoch viel zu hoch ein. In der Kategorie Drogendelikte ist das besonders eindrücklich: Der Anteil von AsylbewerberInnen an den Tätern wird im Schnitt auf 30 Prozent geschätzt – laut Kriminalstatistik sind es 8 Prozent.
„Sächsische Zeitung“ vom 25. 7. 16
Während die grundsätzliche Einschätzung der LeserInnen realistisch ist, sind sie im konkreten Fall nicht ausreichend informiert, schloss man daraus bei der Sächsischen – und entschied, künftig bei allen Straftaten die Nationalität der Verdächtigen und Täter zu nennen. Auch wenn sie „deutsch“ ist. Und tatsächlich wurden alle vier Drogendelikte, die die Sächsische im Juli vermeldet hat, von Deutschen begangen – Chance für einen Lerneffekt?
Dennoch: Verstoß bleibt Verstoß. „Uns ist bewusst, dass wir gegen den Pressekodex verstoßen“, sagt Chefredakteur Vetterick. „Wir verstehen unser Verhalten als zivilen Ungehorsam.“ Dennoch würde sich die Zeitung an eine Entscheidung des Presserats halten. Der nämlich kann eine öffentliche Rüge für einzelne Medienhäuser aussprechen, die dann von diesen abgedruckt werden muss. Bisher ist man jedoch nicht gegen die Sächsische Zeitung tätig geworden. Auf Nachfrage sagt Geschäftsführer Lutz Tillmanns, man sei mit dem Vorgehen der Zeitung nicht einverstanden, sehe sich aber nicht genötigt, aktiv zu werden, „solange keine Beschwerden eingegangen sind“.
Die Sache hat einen Haken
Vetterick ist überzeugt, dass der Lerneffekt etwaige Nebenwirkungen überwiegt. Die Gefahr, dass Leser durch die Nennung der Nationalität einen diskriminierenden Zusammenhang zwischen Herkunft und Verhalten herstellen würden, sieht er nicht: „Dass die Nationalität eines Menschen in vielen Fällen nicht relevant für die Straftat ist, darüber besteht Konsens, auch bei den Lesern.“
Und doch: Journalistische Texte setzen immer Schwerpunkte und stellen nie ein Gesamtbild dar. Sie sind eine Auswahl der wichtigsten Aspekte. Wegen des begrenzten Platzes müssen RedakteurInnen oft radikal kürzen. Der fertige Text – ob Bericht, Meldung oder eine bloße Überschrift – vermittelt dann: Dies ist die Essenz des Geschehenen, wir haben uns nicht für jene, sondern für diese Informationen entschieden. Also muss die Nationalität, wenn sie genannt wird, wichtig sein, oder? Körpergröße und Monatseinkommen werden ja auch nicht erwähnt.
„Sächsische Zeitung“ vom 19. 7. 16
Der Pressekodex ist letztlich nicht dazu gedacht, Informationen zu unterschlagen, sondern soll verhindern, solche mit falscher Gewichtung in Umlauf zu bringen. Uwe Vetterick meint hingegen, es lasse sich eben nicht verhindern, dass die Öffentlichkeit von der Herkunft erfahre: „Die Gatekeeperfunktion, was Informationen angeht, haben wir längst an soziale Netzwerke verloren.“ Auch Polizeiberichte könne jeder online abrufen. „Wir haben fraglos die Möglichkeit, Stimmungen abzuschwächen oder zu verstärken, aber die Hoheit über lokale Informationsflüsse haben wir heute als Zeitung nicht mehr.“ Dann lohne es sich eben eher, die Herkunft von Tätern konsequent zu nennen.
Allerdings hat die Sache einen Haken. Auch in der Sächsischen nämlich wird immer häufiger die Herkunft „deutsch“ nicht explizit genannt, sondern über Angaben wie „aus Nossen“ oder „ein Dresdner“ verklausuliert. „Zu Beginn waren wir sehr pingelig“, sagt Vetterick „Da haben wir immer explizit ‚Deutscher‘ geschrieben. Wenn es aber um jemanden ‚aus Dresden‘ mit dem Vornamen ‚Klaus‘ geht: Schreibt man dann noch extra ‚Deutscher‘ oder macht man sich da lächerlich?“
Etwa zwei Jahre soll das Experiment bei der Sächsischen Zeitung dauern. Danach werden die LeserInnen erneut befragt, um zu evaluieren, ob diese den Ausländeranteil an Straftätern dann realistischer einschätzen. Eines ist aber jetzt schon klar: Viele Straftaten kennen keine Nationalität. Exhibitionismus zum Beispiel: Zwischen dem 21. und dem 23. Juli haben in Sachsen je ein Deutscher, ein Algerier und ein Iraker in der Öffentlichkeit blankgezogen.
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