Herausforderungen für die Grünen: Der Lieblingsfeind
Wir sind im Krieg. Und im Klimawandel. In der Kritik sind als Verbots- und Kriegstreiber-Partei in beiden Fällen die Grünen. Zu Unrecht natürlich.
D ass sich Europa im Krieg mit Putin befindet, wird von vorsichtigen Staatsmännern immer wieder verneint. Die Lieferung des „Taurus“ wird aus diesem Grund abgelehnt. Dass sich Putin im Krieg mit Europa befindet, hat sich allerdings herumgesprochen. Bis ins lächerlichste Detail hinein kämpften sich Russlands Trolle vor: So war die angebliche Bettwanzenplage in Frankreich das Fantasieprodukt russischer Desinformationstrolle, das in den sozialen Netzwerken Klickrekorde erzielte und zu inoffiziellen Reisewarnungen führte.
So lächerlich, wie es klingt, ist das Beispiel gar nicht, denn es zeigt, wie ein Angriff auch ohne Panzerkolonnen Richtung Berlin funktioniert.
Solche Informationsangriffe machen eine ohnehin nervöse und verwirrte Bevölkerung noch unruhiger, sorgen für das Schwenken weißer Fahnen und begünstigen Rechtsradikale, die Missstimmung und Verunsicherung ausschlachten. Hunderttausende lügentriefender Kurznachrichten werden täglich aus Russland und von seinen Kollaborateuren gestreut, und noch weit gefährlichere Cyberangriffe können jederzeit die kritische Infrastruktur treffen und Katastrophen auslösen.
Putins Angriff gilt also nicht allein der „Rückeroberung“ (wie er es sieht) der Ukraine, er gilt auch den westlichen Demokratien als freiheitliche Lebensform. Sehr wirksam hat Russland den Spaltpilz in die Europäische Union gepflanzt, die Erosion der Nato betrieben und nicht zuletzt gemeinsam mit China eine Allianz des Globalen Südens gezimmert. Das sind keine Vorbereitungen für einen Krieg, das ist er bereits, noch angeheizt durch nukleare Vernichtungsdrohungen.
Sozialdemokraten profilieren sich als Friedenspartei
Die angrenzenden Staaten haben die russische Konfusionsstrategie längst verstanden, in Deutschland profilieren sich vor allem Sozialdemokraten aber weiter als Friedenspartei, in der Illusion, Putin an den Verhandlungstisch zu bitten.
Deren Attacke richtet sich weniger gegen russische Kriegsverbrechen als gegen die grüne Konkurrenz, die implizit als Kriegspartei denunziert wird. So geht Defätismus: Für ein paar Punkte in den nächsten Kommunalwahlen nordet der Bundeskanzler seinen Kompass „Zeitenwende“ in Richtung „München“ ein.
1938 konnten sich der britische Premier Neville Chamberlain und sein französischer Kollege Edouard Daladier ein paar Monate als Friedensstifter feiern lassen, bevor das angeblich „beruhigte“ Hitlerdeutschland, ganz nach Plan, den schrecklichsten Krieg der Geschichte auslöste.
Die Grünen haben Ähnliches schon einmal durchgemacht, als sie angesichts des serbischen Vernichtungsangriffs auf Sarajevo und des Völkermords in Srebrenica erkennen mussten, dass auch damals „Nie wieder!“ jetzt war, und eine verantwortungsbewusste Reaktion auf eine Aggression forderten, die vieles vorwegnahm, was Putin in der Ukraine schon vor 2022 betrieb.
Den Grünen schlägt aber das geballte Ressentiment entgegen, seitens einer ehern pazifistischen Basis genauso wie seitens AfD und BSW, die sich als Putins Pudel demaskieren. Sie suggerieren, die Grünen trieben Deutschland in einen Krieg, förderten Massenimmigration und opferten die „kleinen Leute“ auf dem Altar einer ideologiegetriebenen Umweltpolitik.
Wir stecken mitten in einem gefährlichen Klimawandel
In dieser Situation, da alle Vernunft auszusetzen scheint, erweisen sich die Grünen, im Verhältnis zu den anderen Ampelparteien, als standhaft und erstaunlich stabil. Es kommt nun ihnen zu, bei unzweifelhaft ansteigenden Verteidigungsausgaben, an der immer dringender werdenden Transformation der Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik festzuhalten und diese zugleich auf eine sozial gerechte Weise zu gestalten. Denn wir sind nicht nur im Krieg, wir stecken auch mitten in einem gefährlichen Klimawandel, der noch größere Anstrengungen der Prävention und Anpassung als bisher erfordert.
Anpassung erhöht die Sicherheit aller vor katastrophalen Extremwetterfolgen, Prävention erlaubt eine beschleunigte Umstellung von Lebensstilen – und birgt wirtschaftliche Chancen für eine Exportnation, der Globalisierung as usual nicht mehr entgegenkommt. Eine sozial-ökologische Transformation besteht nicht nur aus im Sinne künftiger Generationen einsehbaren Verzichtsleistungen, sie eröffnet auch arbeits- und sozialpolitische Gewinne, die sich nicht nur in Euro und Cent ausdrücken lassen, sondern Freiheitschancen eröffnen. Das Szenario ergibt eine ganz andere Erzählung der Klimawende, als sie den Grünen als vermeintlicher „Verzichts- und Verbotspartei“ von rechts unterstellt wird. Doch es kommt der Quadratur des Kreises nahe, eine Bevölkerung gleichzeitig herausfordern und beruhigen zu wollen.
Eine wesentliche Weichenstellung (neben den überaus bedeutsamen Europawahlen) sind die Haushaltsverhandlungen. Während das Sondervermögen Bundeswehrertüchtigung aus nachvollziehbaren Sicherheitsgründen von der Schuldenbremse ausgenommen worden ist, wurden Investitionen in den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt geopfert. Dabei bilden diese weit mehr und sicherer Realvermögen als Lindners wiederum von der Schuldenbremse ausgenommene kapitalgedeckte Rente. Klimapolitik darf nicht der Kriegstauglichkeit geopfert und ebenso wenig auf Kosten des Sozialstaates finanziert werden.
Ein wichtiger Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation ist mithin die Fiskalpolitik; sie fängt bei gezielten Senkungen der Mehrwertsteuer an, geht bei der Kürzung unsinniger Subventionen weiter und hört bei einer höheren Besteuerung großer Einkommen, Vermögen und Erbschaften auf, deren Nutznießer bekanntlich den größten ökologischen Fußabdruck aufweisen und überproportional Treibhausgase ausstoßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“