Haushaltsentwurf der Bundesregierung: Lindners Plan der Widersprüche
Der Entwurf des Finanzministers für den Haushalt 2024 ist realitätsfremd. Er bildet weder die ökologischen noch die ökonomischen Herausforderungen ab.
E s wird zu wenig über Geld geredet. Im privaten Bereich sowieso: Wer ist schon bereit, seinen Freund:innen ehrlich mitzuteilen, wie viel man verdient? Man möchte sich nicht schämen müssen, will Konventionen nicht verletzen oder hat Angst vor Neid. Ganz heikel kann es werden, wenn eine Erbschaft vom Himmel fällt – was hierzulande oft vorkommt, vor allem in Westdeutschland. Viele sind reich, ohne es sich einzugestehen.
Wer eine Eigentumswohnung im Wert von 600.000 Euro besitzt, gehört schon zu den reichsten 5 Prozent der Bevölkerung. Das ist politisch relevant. Nicht sprechen bedeutet nicht wissen. Und die eigenen materiellen Verhältnisse im Ungefähren zu lassen, korrespondiert mit der Unfähigkeit, die öffentlichen Finanzen zu verstehen. Wer kann schon zwei, drei Basisdaten des Bundeshaushalts nennen, der Anfang September im Bundestag diskutiert wurde?
Sein Volumen, den Anteil der Sozialausgaben, der Subventionen für Unternehmen, der Investitionen in öffentliche Infrastruktur? Dabei spiegeln sich die großen gesellschaftlichen Debatten in den tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben des Staates wider. Wofür geben wir gemeinsam Geld aus, welche Ziele wollen wir damit erreichen, wie soll unser Land in 20 Jahren aussehen? Zahlen können nerven, vor allem so große, schwer zu fassende wie Milliarden Euro. Dabei sagen sie so viel.
Zwei kleine Beispiele: Einerseits wollen die Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP 200 Millionen Euro im Haushalt 2024 kürzen. 200 Millionen Euro, die im laufenden Jahr noch für Programme ausgegeben werden, um Langzeitarbeitslose für neue Tätigkeiten zu befähigen. So dürfte es für viele Menschen noch schwerer werden, ins Berufsleben zurückzufinden, und das ausgerechnet in einer Zeit, da Mangel an Beschäftigten herrscht.
Steuerfreies Kerosin
Andererseits verzichtet die Bundesregierung komplett auf die Besteuerung von Kerosin, das Flugzeuge als Treibstoff tanken. Ausweislich einer Berechnung des Umweltbundesamts gehen dem Staat dadurch bis zu 8 Milliarden Euro pro Jahr verloren. Nebenbei verursacht das erhebliche Umweltschäden, weil die Flugunternehmen weniger Anreiz zum Spritsparen haben. Die Regierung leistet sich eine umweltschädliche Subvention der Fliegerei, während sie für 200 Millionen Euro Sozialausgaben zugunsten Langzeitarbeitsloser nicht genug Geld zu haben meint.
Dieser Widerspruch – einer von vielen – findet sich im Haushaltsplan 2024, den Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kürzlich mit der Ansage vorstellte, die Zeit des großzügigen Geldausgebens müsse nun vorbei sein. Nach der hohen Verschuldung der Jahre 2020 bis 2022, ausgelöst durch die Coronapandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine, solle jetzt wieder finanzielle Disziplin herrschen. Aber spart Lindner – und mit ihm die Ampelkoalition – nicht am falschen Ende?
Die Sparpolitik scheint aktuell ohnehin nicht zum Ziel zu führen. Während der Finanzminister auf der einen Seite ein paar kleinere Streichungen durchsetzt, soll der Haushalt von Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) im kommenden Jahr trotzdem auf fast 172 Milliarden Euro wachsen. Das sind etwa 5 Milliarden Euro mehr als 2023. So macht Heils Etat dann fast zwei Fünftel des gesamten Budgets aus, welches insgesamt 446 Milliarden Euro umfasst.
Nur die Inszenierung einer Sparpolitik
Die Gründe für die Anhebung: unter anderem höhere Zuschüsse an die Rentenversicherung und zusätzliche Ausgaben für das Bürgergeld, das Hartz IV abgelöst hat. Die öffentlich breit diskutierten Kürzungen im Sozialbereich, unter anderem bei der Förderung Langzeitarbeitsloser, werden also durch Mehrausgaben an anderer Stelle mindestens ausgeglichen. Das ist kein sozialer Kahlschlag, sondern eher die Inszenierung einer vermeintlichen Sparpolitik.
Der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 ist nicht auf der Höhe der Zeit. Statt die Ausgaben massiv zu senken, wäre an entscheidenden Stellen mehr Geld nötig. Denn die globalen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen bilden sich in der augenblicklichen Haushaltspolitik nicht ausreichend ab. So sollen in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine die hiesigen Ausgaben für Militär und äußere Sicherheit dauerhaft auf 2 Prozent der Wirtschaftsleistung wachsen, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unlängst wieder im Bundestag.
Im Vergleich zu heute wären das über 30 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Augenblicklich enthält der Etat von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) 52 Milliarden Euro. Noch kann er die fehlenden Mittel aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen für die Bundeswehr bestreiten. Auf Dauer jedoch wird das nicht reichen. Dann sind sehr hohe zusätzliche Beträge nötig. Doch ein Plan dafür existiert nicht einmal ansatzweise.
Parallel zum Krieg sortiert sich auch die Geopolitik neu. In Frontstellung zu Russland und China sowie in Konkurrenz zu den USA strebt die Europäische Union eine gewisse Selbstversorgung mit strategischen Produkten an. Deshalb erhalten plötzlich ausländische Unternehmen, die in Deutschland Computerchips, Elektrobatterien oder Solarzellen herstellen wollen, Milliarden Euro Subventionen – eine teure, wenngleich nötige Politik, um die ökonomischen Souveränität in Konfliktfällen zu gewährleisten.
Investitionsbedarf: 100 Milliarden Euro
Die geplante Transformation zur Klimaneutralität kommt hinzu. Bis 2045, in nur 22 Jahren, soll sie nahezu abgeschlossen sein. Stahlhersteller wie Salzgitter oder Thyssenkrupp, die vom Brennstoff Kohle auf grünen Wasserstoff umstellen, unterstützt die Bundesregierung ebenfalls mit gigantischen Beträgen. Noch lässt sich das benötigte Kapital aus dem teilweise kreditfinanzierten Klima- und Transformationsfonds des Wirtschaftsministeriums bestreiten, doch mittelfristig könnten dessen eigene Einnahmen hinter den Ausgaben zurückbleiben.
Schon jetzt beziffern Wirtschaftsforscher:innen den zusätzlichen Investitionsbedarf des Bundes auf eine Größenordnung von 100 Milliarden Euro jährlich. Das ist ungefähr die doppelte Summe dessen, was Finanzminister Lindner in den kommenden Jahren als Investitionen anpeilt. Wo die fehlenden Mittel herkommen könnten, weiß in der Ampelregierung augenblicklich niemand.
Dieser Mechanismus würde sich freilich anbieten: Investitionen des Bundes und der Länder könnten von der Schuldenbremse im Grundgesetz ausgenommen werden. Setzte man gleichzeitig eine Obergrenze der jährlichen Investitionsverschuldung von beispielsweise 1 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt fest, würde die Gesamtverschuldung wohl nicht zunehmen. Denn man kann davon ausgehen, dass die Wirtschaft im Trend um mehr als 1 Prozent zulegt – stärker als die Zunahme der Kredite.
Die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bliebe gewahrt. Wobei die Lage auch heute nicht besorgniserregend erscheint. Trotz Pandemie und Krieg liegt die deutsche Staatsverschuldung bei 67 Prozent der Wirtschaftsleistung, was der mit Abstand niedrigste Wert der reichen Staaten der G7-Gruppe ist. Ein zweiter Weg könnte darin bestehen, die umweltschädlichen Subventionen zu verringern. Neben der Steuerbefreiung für Kerosin finden sich im Bericht des Umweltbundesamts (UBA) zahlreiche eindrucksvolle Posten.
30 Milliarden könnten aus dem Verkehrsektor kommen
Weil beispielsweise Diesel niedriger besteuert wird als Benzin, leistet sich der Staat eine jährliche Mindereinnahmen von rund 8 Milliarden Euro. Die Begünstigung von Dienstwagen von Unternehmen schlägt mit rund 3 Milliarden Euro zu Buche. So bezifferten die UBA-Expert:innen die gesamten Steuerverluste allein im Verkehrssektor mit rund 30 Milliarden Euro. Sicherlich stellte der Entzug dieser Vergünstigungen zusätzliche Belastungen für die Autonutzer:innen dar.
Angesichts der Finanzierungserfordernisse könnte die Regierung aber mindestens erwägen, die Subventionen nach und nach abzuschmelzen. Das stünde auch im Einklang mit der Transformationslogik zur Klimaneutralität. Die Debatte über diese Vorschläge ist allerdings nicht neu. Und bisher verlief sie fruchtlos. Denn eine Spar-Partei – Union oder FDP – sitzt immer in der Bundesregierung.
Den Abbau umweltschädlicher Subventionen lehnen die Konservativen und Liberalen weitgehend ab, weil es sich um Steuererhöhungen handele – was ja auch stimmt.
Klein-Klein-Sparpolitik, eine Milliarde Soziales hier-, eine andere dorthin, gepaart mit der Behauptung, es gäbe keine finanziellen Spielräume, erscheint ihnen offenbar als die leichtere Alternative. Aber selbst bei SPD und Grünen sind manche Politiker:innen nicht davon überzeugt, dass es eine gute Idee wäre, die Schuldenbremse aufzuweichen.
Ein politisches Geschäft machen
Vielleicht aber ließe sich die blockierte Diskussion verflüssigen, indem man ein politisches Geschäft macht: Steuersenkungen für Unternehmen im Gegenzug für die Ausweitung der staatlichen Einnahmen bei Subventionen und Krediten. Die im internationalen Maßstab vergleichsweise hohen Sätze der hiesigen Gewinnsteuern für Firmen brennen den Wirtschaftspolitikern von Union und FDP unter den Nägeln.
Während hierzulande viele Kapitalgesellschaften über 30 Prozent zahlen, haben Staaten wie USA, Frankreich und Großbritannien ihre Abgaben auf 26 Prozent und weniger gesenkt. Dass Deutschland nachzieht, könnte auch die gegenwärtige Wirtschaftsschwäche mildern und ein positives Zeichen für einen Aufschwung senden.
Jedenfalls erscheint dringend nötig, auf neue Art über Geld zu reden, privat und öffentlich. Gerade Erbschaften sind so ein Schnittstellen-Thema. Gerade wer viel erbt, wird hierzulande erstaunlich niedrig besteuert. Sollten wir uns das leisten? Sparpolitik in Bund, Ländern und Kommunen bedeutet heute, künftigen Wohlstand, Sicherheit und Selbstbestimmung aufs Spiel zu setzen.
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