Hashtag #MeTwo: Einfach mal zuhören
Unter dem Hashtag #MeTwo twittern Tausende ihre Erfahrungen mit Rassismus. Viele Reaktionen darauf sind verharmlosend und beleidigend.
Seit Tagen beschreiben Tausende Menschen bei Twitter unter dem Hashtag #MeTwo, wie sie in Deutschland ausgegrenzt und diskriminiert werden. Statt der sonstigen Fußballkommentare und Tatort-Witze wird die Plattform nun dazu genutzt, um auf Rassismus aufmerksam zu machen. Und das ziemlich erfolgreich – innerhalb von zwei Tagen wurde #MeTwo zum meistgeteilten Hashtag innerhalb des deutschschsprachigen sozialen Netzwerkes.
Ins Leben gerufen hatte die Debatte der Autor und Aktivist Ali Can, eine Woche nachdem der Fußballspieler Mesut Özil seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft bekannt gegeben hatte. Can rief per Videobotschaft dazu auf, diskriminierende Erfahrungen zu teilen: „Wir brauchen sozusagen eine ‚MeToo‘-Debatte für Menschen mit Migrationshintergrund.“
Die Bandbreite der Tweets ist groß und sie reicht von der Beschreibung von diskriminierenden Äußerungen, gewaltätigen Übergriffen bis hin zu Benachteiligungen in alltäglichen Situationen. Manche erzählen, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht in den Club gekommen sind oder aufgrund ihres nicht deutsch klingenden Nachnamen eine Wohnung nicht bekommen haben.
Viele der Erzählungen sind in der Schule, am Arbeitsplatz oder auf der Straße geschehen – alltägliche Orte, an denen sich nicht-weiße Menschen immer wieder mit Rassismus konfrontiert sehen. Auch Politiker*innen, wie der Grünen-Bundestagsabgeordneter Cem Özdemir, teilen ihre Erfahrungen bei Twitter.
Rechte vereinnahmen den Hashtag
Soziale Medien sind nicht für ihre konstruktiven Debatten bekannt. Es ist keine Seltenheit bei Twitter, das Rechte einen Hashtag für sich vereinnahmen. So lassen sich auch unter #MeTwo viele Tweets finden, in denen sich User*innen diskriminiert fühlen, weil sie als „Almans“ oder „Kartoffeln“ bezeichnet werden. Es sind Menschen, die nicht verstanden haben oder verstehen wollen, was Rassismus ist – und dass als Kartoffel bezeichnet zu werden keine strukturelle Diskriminierung ist.
Doch in dieser Debatte ist es extrem – nach wenigen Tagen wird sie von Hass anstatt von Solidarität und Verständnis dominiert. In den Kommentaren unter den Tweets produzieren viele erneuten Rassismus. Der reicht von Beleidigungen, über Hass bis hin zu Gewaltandrohungen.
Die Journalistin und Autorin Hatice Aküyn löschte ihre Tweets unter #MeTwo am Freitag und erklärte, sie sähe sich dazu gezwungen, da der rassistische Backlash zu groß sei. Am Sonntagvormittag äußert sie sich erneut zu der Thematik – und auch hier ließen die negativen Kommentare nicht lange auf sich warten.
Unter den Kommentator*innen sind nicht nur rechte Trolls zu finden. Der Journalist Jan Fleischhauer beschwert sich beispielsweise bei Twitter, dass seine Spiegel-Online-Kolumne noch keine Preise gewonnen hat und versieht den Tweet mit dem Hashtag #MeTwo. Damit setzt er seine Erfahrung mit Diskriminierung und Ausgrenzung gleich.
Erfahrungen werden in Frage gestellt
Ganz so, als würde es keinen Unterschied machen, ob die Texte eines privilegierten Mannes nicht ausgezeichnet werden oder beispielsweise eine Frau aufgrund eines getragenen Kopftuches bedroht wird.
Der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer bezeichnet die Debatte als „ein typisches Wohlstandsphänomen – wie so oft in Deutschland“. Es sind keine einzelnen Stimmen, die sich über die MeTwo-Debatte ablehnend äußern und Rassismuserfahrungen in Frage stellen.
Auch gerade im Hinblick auf die Debatte um Özils Rücktritt zeigen die zahlreichen Tweets und Kommentare, dass ein großer Teil der Mehrheitsgesellschaft nicht bereit zu sein scheint, sich mit dem Thema Rassismus und den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen.
#MeToo hat bewiesen, dass Hashtags gesellschaftlichen Wandel vorantreiben können – zumindest zu einem Teil. Das könnte auch #MeTwo schaffen. Zu Beginn fordern Betroffene dafür etwas Leichtes, nämlich: Einfach mal zuhören!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers