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Hartes Kontaktverbot in BerlinGefährlich unklare Regeln

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Lange wehrte sich der Berliner Senat. Jetzt gestaltet er die Beschränkungen härter als andere. Das ermöglicht Willkür.

Das Spreeufer am Montag. Rad fahren ist noch erlaubt. Rumsitzen streng genommen nicht Foto: dpa

G egen zu weitreichende Einschränkungen angesichts der Coronagefahr hatte sich der Berliner Senat lange gewehrt. Der Staat dürfte seine Bürger nicht einfach so einsperren, hieß es von Rot-Rot-Grün noch letzte Woche. In der Krise hat die Beteuerung nicht lange gehalten: Ganz so streng wie Bayern und Sachsen schränkt der Senat die Bevölkerung zwar nicht ein. Mit den Ausgangsbeschränkungen, die seit Montag gelten, geht Berlin aber über die zwischen Bund und Ländern vereinbarten Leitlinien klar hinaus.

Die Richtlinien, die Angela Merkel am Sonntag vorgestellt hatte, zielten im Kern nicht darauf ab, die Menschen in den Häusern zu halten. Sie sahen vor, dass die Menschen Gruppen meiden und Abstand voneinander wahren. Ein logischer Ansatz: Das Coronavirus fängt man sich schließlich nicht durch Kontakt zu Sonnenstrahlen ein, sondern durch Nähe zu Infizierten.

Länder wie NRW, Hamburg und Hessen haben dieses Prinzip 1:1 umgesetzt. Sie untersagen in ihren Verordnungen ganz einfach, dass sich Menschen zu nahe kommen und in Gruppen von mehr als zwei Menschen treffen. Wofür sich zwei Menschen treffen, interessiert den Staat dort aber nicht.

Berlin geht den umgekehrten Weg, indem es der Bevölkerung grundsätzlich den Ausgang verbietet und dem Einzelnen auflegt, sich zu rechtfertigen, wenn er für sich eine Ausnahme beansprucht. Unkompliziert ist das bei den Ausnahmegründen, die der Senat selbst in seiner Verfügung aufgelistet hat: Arbeitswege, Einkäufe oder Spaziergänge allein und zu zweit. Diese Liste ist aber ausdrücklich nicht abschließend. Und kompliziert wird es bei Gründen, die dort nicht explizit stehen.

Vieles bleibt unklar

Dürfen zwei Menschen einfach so zusammen an der Straße stehen? Darf ein Einzelner seine Zeitung auf der Parkbank lesen? Ist es einer Hobbymusikerin erlaubt, in ihren Proberaum zu fahren, um dort allein zu üben? Die Verwirrung ist groß, davon zeugen die zahlreichen Fragen, die Twitter-Nutzer den ganzen Montag über an die Berliner Polizei gestellt haben.

Und davon zeugen auch die Antworten, die die Polizei selbst dort gibt. Mal schreibt sie, Besuche bei Freunden seien okay, „sofern keine #Homeparties stattfinden“. Ein andermal schreibt sie, Menschen dürften ihre Eltern nicht besuchen, wenn diese nicht alt und hilfsbedürftig sind. Ja, was denn nun?

Problematisch ist aber nicht nur die Verwirrung. Problematisch ist auch, dass die Verordnung dem einzelnen Beamten einen weiten Ermessensspielraum gibt. „Wer an die frische Luft will, muss nicht ständig fürchten, in eine Kontrolle zu geraten“, schreibt die Polizei selbst. Für viele stimmt das sicher. Wer weiß ist, ordentliche Kleidung trägt und durch den Park spaziert, wird wohl wirklich nicht behelligt. Wer einen sichtbaren Migrationshintergrund hat, wer Hosen mit Flecken und Löchern trägt oder wer an öffentlichen Plätzen sein Discounter-Bier trinkt, ist aber ohnehin stärker unter Beobachtung – und muss sich in den nächsten Wochen wohl tatsächlich vor Polizisten dafür rechtfertigen, dass er sich überhaupt unter freiem Himmel aufhält.

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20 Kommentare

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  • Jede/r der die Bilder aus Italien gesehen hat, weiß wie man sich zu verhalten hat, um Corona zu überstehen. Sorgen mache ich mir in zwischen mehr um das Überleben des demokratischen Rechtsstaats und der Grundrechte. Alle Maßnahmen müssen aktuell und immer wieder von den Verfassungsgerichten überprüft werden und spätestens nach Ostern sollte sich die Politik mal überlegen, wie sie schrittweise zurück kommt in die Normalität, auch wenn es noch keinen Impfstoff und Medikamente gibt. Beibehalten sollte man später die Abstandsregeln an den Kassen, damit endlich das Gedrängel dort aufhört und man die Chance hat auch von grippalen Infekten verschont zu bleiben.

    • @Chris72:

      Gute Idee, das mit den Abstansregeln an den Kassen. Ich fürchte aber, dass sich die meisten KundInnen nach der Krise nicht daran mehr halten werden, zumal viele es nicht mal in der Krise tun.

  • Berlin gehört aber auch mit zu den Spitzenreitern bei den Infektionen pro 100.000 Einwohnern.

  • "Wer weiß ist, ordentliche Kleidung trägt und durch den Park spaziert, wird wohl wirklich nicht behelligt."

    Die Fähigkeit des Autors, die Zukunft vorherzusagen, in Ehren - vielleicht sollten wir aber auf empirische Daten warten, und nicht spekulieren.

    "Wer einen sichtbaren Migrationshintergrund hat, wer Hosen mit Flecken und Löchern trägt oder wer an öffentlichen Plätzen sein Discounter-Bier trinkt, ist aber ohnehin stärker unter Beobachtung – und muss sich in den nächsten Wochen wohl tatsächlich vor Polizisten dafür rechtfertigen, dass er sich überhaupt unter freiem Himmel aufhält."

    Was den 'Aufenthalt unter freiem Himmel' und 'die Beobachtung' von Menschen mit Migrationshintergrund betrifft - meine Beobachtung hier in der Großstadt ist, daß man diese bisher eher nicht beachtet, und dahinvegetieren läßt, an vielen Straßenecken.

  • Ja, das, was unsere PolitikerInnen zu den neuen Regeln kommuniziert haben, ist in der Tat kein Musterbeispiel an klarer, unmissverständlicher Kommunikation. Was ich nicht verstehe, ist, warum es keine Nachbesserungen gibt bzw. warum sich die Regierung nicht nochmal an die BürgerInnen wendet, um alles ganz deutlich zu machen.

  • ich finde es krass und unverstaendlich, warum mit berlin ausgerechnet ein rot-rot-gruen regiertes land die grundrechte noch einmal so viel krasser einschraenkt, als es der ohnehin schon drastische gemeinsame beschluss von bund und laendern vorsieht.

    hat der berliner senat dieses abweichen von der gemeinsamen linie eigentlich irgendwo irgendwie begruendet? ich habe nichts dazu gefunden.

    hat es mit dem diktatorischen sed-erbe der linken zu tun, oder hat michael mueller auf einmal seine ambitionen entdeckt, markus soeder die cdu-kanzlerkandidatur noch streitig zu machen?

    • @micha.w:

      Ne das liegt daran, dass in Berlin besonders viele Vollpfosten-Hipster wohnen, die die bisherigen Regeln eher nach dem eigenen hedonistischen Gusto interpretiert haben.

  • Die Politik ist klar: Den zuverlässigen Negativtest auf Covid19 gibt es nicht. Das einzig zuverlässige Vermehrungssubstrat ist der Mensch. Die verhalten sich unterschiedlich, wodurch man aber viele Daten erhält. Mit der zur Zeit bei uns laufenden harten Linie hungert man das Virus aus, viele Menschen bleiben virenfrei, mit dem Nachteil, sie werden nicht immun und ihre Erkrankung wird auf einen späteren Zeitpunkt, eine spätere Welle, verschoben, wenn die Kontaktsperre wieder aufgehoben wird. Auf jeden Fall, ein zwar opferreiches, aber interessantes Strategiespiel, bei dem der Informationsfluss hoffentlich reibungslos genug fließt. Ich wünschte mir eine zuverlässigere Aufklärung über die bisher gesammelten und ausgewerteten Daten.

    Interessant ist der Wikipediaeintrag über die heute immer noch weltweit verbreitete Pest (bakteriell), die völlig anders, vielfältiger und komplizierter verläuft als unser Covid19, das



    vor allem durch chaotische Fehlinformationen verkompliziert wurde.

  • Naja, in der Verordnung steht, dass die Leute sich ständig in der Wohnung/Unterkünften aufhalten sollen, üblicherweise da, wo ich lt. Perso wohne. Ich denke aber, dass auch die meisten Leute von der Polizei verstehen werden, wenn ich in den Proberaum fahren will. Falls nicht, könnte man den Proberaum als § 13 der Verordnung kommunizieren. Für Publikum nicht geöffnet.. ;)

    www.berlin.de/coro...ung/#headline_1_10

    • @Maiskolben:

      Im Ernst jetzt? In Zeiten von Corona muss mit der Band geprobt werden? Verstehe ich nicht. Berlin ist irgendwie ein riesiges, bizarres Sozial-Experiment.

      • @Gaston:

        "Ist es einer Hobbymusikerin erlaubt, in ihren Proberaum zu fahren, um dort allein zu üben?" - Ausm Artikel

      • @Gaston:

        Blödsinn. Wer behauptet denn dass da die ganze Band probt? Ich häng zur Zeit auch viel im Proberaum ab, komplett allein. Besser für meine Nachbarn isses allemal.

  • Was macht denn die Polizei, wenn sich eine Person nicht ausweisen will, keine Auskunft gibt oder die Beamten gezwungen sind eine Person - z. B. zur Eigensicherung – zu durchsuchen, bevor es mit dem Dienst-Kfz zur Dienststelle geht? Von möglichen körperlichen Auseinandersetzungen mal ganz abgesehen.



    Geht die Polizei jetzt – zur Eigensicherung - in Seuchenschutzanzügen auf Streife? Der ein oder andere Polizeibeamte wird vermutlich versuchen den direkten Kontakt mit dem Bürger zu vermeiden. Auch ein Beitrag zur bürgerfreundlichen Polizei.

    • @Thomas Brunst:

      Verzeihen Sie bitte meinen vorigen beleidigenden Sarkasmus. Mittlerweile finde ich, Sie liegen mit "Geht die Polizei jetzt – zur Eigensicherung - in Seuchenschutzanzügen auf Streife?" vermutlich gar nicht so daneben. ;)

    • @Thomas Brunst:

      Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich.

      Die Moderation

      • @Maiskolben:

        Was soll dieser Unsinn? Außerdem darf jeder Maiskolben zum Proberaum fahren, nur ein Maisfeld nicht.

  • Könntet Ihr bitte aufhören Euch immer auf Twitter zu beziehen!? Oder wollt ihr immer in dieser Mini Intellektuellen Bubble bleiben???

  • Ich darf nach dieser Berliner VO meine Freundin nicht mehr besuchen, solange ich nicht verheiratet oder eingetragener Lebenspartner und an einer anderen Adresse gemeldet bin.

    Eine Ausnahme gilt, wenn meine Freundin ein "alter oder kranker Mensch" ist. Solange sie nicht alt ist, braucht sie also eine Krankschreibung, damit ich sie besuchen darf.

    • @stadtlandmensch:

      Ich finde, das sowas zu weit geht, aber ich lebe nicht in Berlin, sonst würde ich versuchen dagegen juristisch vorgehen, was vermutlich erst möglich ist, wenn man einen Bussgeldbescheid hat. Problem wird sein, das sich kaum ein Anwalt trauen wird, oder? Kommt da bei der Linken die DDR-Vergangenheit durch?

  • Stimme dem Artikel zu, dennoch muss ich sagen, lieber ein Hauch von Kontrolle, als ein Hauch von Kontrollverlust.