Hartes Kontaktverbot in Berlin: Gefährlich unklare Regeln

Lange wehrte sich der Berliner Senat. Jetzt gestaltet er die Beschränkungen härter als andere. Das ermöglicht Willkür.

Menschen am Spreeufer sitzen auf Bänken, eine Person fährt auf dem Rad vorbei

Das Spreeufer am Montag. Rad fahren ist noch erlaubt. Rumsitzen streng genommen nicht Foto: dpa

Gegen zu weitreichende Einschränkungen angesichts der Coronagefahr hatte sich der Berliner Senat lange gewehrt. Der Staat dürfte seine Bürger nicht einfach so einsperren, hieß es von Rot-Rot-Grün noch letzte Woche. In der Krise hat die Beteuerung nicht lange gehalten: Ganz so streng wie Bayern und Sachsen schränkt der Senat die Bevölkerung zwar nicht ein. Mit den Ausgangsbeschränkungen, die seit Montag gelten, geht Berlin aber über die zwischen Bund und Ländern vereinbarten Leitlinien klar hinaus.

Die Richtlinien, die Angela Merkel am Sonntag vorgestellt hatte, zielten im Kern nicht darauf ab, die Menschen in den Häusern zu halten. Sie sahen vor, dass die Menschen Gruppen meiden und Abstand voneinander wahren. Ein logischer Ansatz: Das Coronavirus fängt man sich schließlich nicht durch Kontakt zu Sonnenstrahlen ein, sondern durch Nähe zu Infizierten.

Länder wie NRW, Hamburg und Hessen haben dieses Prinzip 1:1 umgesetzt. Sie untersagen in ihren Verordnungen ganz einfach, dass sich Menschen zu nahe kommen und in Gruppen von mehr als zwei Menschen treffen. Wofür sich zwei Menschen treffen, interessiert den Staat dort aber nicht.

Berlin geht den umgekehrten Weg, indem es der Bevölkerung grundsätzlich den Ausgang verbietet und dem Einzelnen auflegt, sich zu rechtfertigen, wenn er für sich eine Ausnahme beansprucht. Unkompliziert ist das bei den Ausnahmegründen, die der Senat selbst in seiner Verfügung aufgelistet hat: Arbeitswege, Einkäufe oder Spaziergänge allein und zu zweit. Diese Liste ist aber ausdrücklich nicht abschließend. Und kompliziert wird es bei Gründen, die dort nicht explizit stehen.

Vieles bleibt unklar

Dürfen zwei Menschen einfach so zusammen an der Straße stehen? Darf ein Einzelner seine Zeitung auf der Parkbank lesen? Ist es einer Hobbymusikerin erlaubt, in ihren Proberaum zu fahren, um dort allein zu üben? Die Verwirrung ist groß, davon zeugen die zahlreichen Fragen, die Twitter-Nutzer den ganzen Montag über an die Berliner Polizei gestellt haben.

Und davon zeugen auch die Antworten, die die Polizei selbst dort gibt. Mal schreibt sie, Besuche bei Freunden seien okay, „sofern keine #Homeparties stattfinden“. Ein andermal schreibt sie, Menschen dürften ihre Eltern nicht besuchen, wenn diese nicht alt und hilfsbedürftig sind. Ja, was denn nun?

Problematisch ist aber nicht nur die Verwirrung. Problematisch ist auch, dass die Verordnung dem einzelnen Beamten einen weiten Ermessensspielraum gibt. „Wer an die frische Luft will, muss nicht ständig fürchten, in eine Kontrolle zu geraten“, schreibt die Polizei selbst. Für viele stimmt das sicher. Wer weiß ist, ordentliche Kleidung trägt und durch den Park spaziert, wird wohl wirklich nicht behelligt. Wer einen sichtbaren Migrationshintergrund hat, wer Hosen mit Flecken und Löchern trägt oder wer an öffentlichen Plätzen sein Discounter-Bier trinkt, ist aber ohnehin stärker unter Beobachtung – und muss sich in den nächsten Wochen wohl tatsächlich vor Polizisten dafür rechtfertigen, dass er sich überhaupt unter freiem Himmel aufhält.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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