Hamburgs Bezahlkarte für Geflüchtete: Leben am Gängelband
Hamburg fügt mit seiner Social Card Geflüchteten maximalen Schaden zu – und setzt damit den Ton für die bundesweite Debatte.
D ass Hamburg nach 2015 erneut nicht in der Lage ist, Geflüchtete menschenwürdig unterzubringen und auf Zelte setzt, kann man unprofessionell finden. Aber zumindest ist nicht nachweisbar, dass dahinter böse Absicht steckt. Anders bei der euphemistisch sogenannten Social Card: Die ist völlig ohne Not so konfiguriert, dass sie den Geflüchteten maximalen Schaden zufügt, aber gerade noch so verfassungskonform ist.
Durch die Begrenzung auf 50 Euro Bargeldabhebung im Monat führen Neuankömmlinge in Hamburg ein Leben am Gängelband. Ständig müssen sie überlegen, wo sie was kaufen, wie weit das Bargeld reicht, was sie mit der Karte bezahlen – und ob das Gebühren kostet. Und das in einem Land, das sie gerade erst kennen und verstehen lernen.
Einkaufsmöglichkeiten, auf die Geflüchtete mit ihren 185 Euro im Monat dringend angewiesen sind, wie Sozialkaufhäuser, Flohmärkte oder Kleinanzeigen, fallen fast völlig weg. Das karge Monatsbudget, ohnehin unterhalb des Existenzminimums, bietet Geflüchteten so für jeden Euro noch weniger Kaufkraft als anderen Armen.
Dass es auch anders geht, hätte Hamburg beim Blick nach nebenan sehen können: Auch Hannover wollte seine Verwaltung von der Bargeldauszahlung entlasten und hat die Social Card eingeführt, kommt dabei aber ohne Bargeldbeschränkung aus. Die ist reine Schikane und verfolgt den einzigen Zweck, Geflüchtete abzuschrecken.
Menschen zweiter Klasse
Überdeutlich wird das daran, dass Hamburg Asylsuchenden auch dann ihr Geld nur auf die Plastikkarte zahlen will, wenn sie längst ein eigenes Konto haben, etwa weil sie Arbeit gefunden haben. Das Signal ist: Ihr könnt euch anstrengen, wie ihr wollt, ihr seid – und bleibt – hier Menschen zweiter Klasse. Es wirkt auch in die Gesellschaft hinein.
Dass Hamburg mit dieser restriktiven Regelung als erstes Land vorprescht, ist beschämend. Und es ist politisch gefährlich. Denn damit setzt der vermeintlich liberale Stadtstaat den Ton für die bundesweite Debatte. Wenn nicht nur ein paar Landräte in der thüringischen Provinz die Bezahlkarte missbrauchen, um Geflüchtete zu drangsalieren, sondern das rot-grüne Hamburg – wie sollen andere Länder dann Skrupel entwickeln?
Beschämend ist auch, dass die Behörden in Hamburg so eine gravierende Einschränkung durchziehen können, ohne dass das Parlament etwas mitzureden hätte. In Schleswig-Holstein etwa gab es eine leidenschaftliche Debatte im Landtag – ein Jahr bevor die Karte kommt.
Hamburgs SPD hat die Schikanen gegen die Schwächsten sogar offensiv bejubelt. Die Grünen scheinen ganz froh, dass sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen müssen. Sie haben schließlich schon für viel weniger Koalitionskräche vom Zaun gebrochen, wegen ein bisschen Elbschlick oder ein paar Metern Brückenhöhe.
Eine offene Debatte in der Bürgerschaft wäre das Mindeste gewesen. Dabei wäre vielleicht auch deutlich geworden, bei wem rassistische Ausgrenzung zum politischen Markenkern gehört – und wer nur auf der Zeitgeistwelle mitschwimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen