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Halbzeitbilanz der AmpelregierungBesser als ihr Ruf

Eine Studie zeigt, dass die Ampelkoalition knapp zwei Drittel der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag angegangen ist. Das dringt allerdings wenig durch.

Können durchaus auch zusammen lachen: Linder, Habeck und Scholz Foto: Kay Nietfeld/dpa

Gütersloh afp | Die meisten Menschen in Deutschland halten die Ampelkoalition laut aktuellen Umfragen für zerstritten, und das Ansehen der Regierung hat zur Halbzeit der Legislaturperiode einen Tiefpunkt erreicht. Eine am Dienstag vorgestellte Studie bescheinigt der Koalition allerdings eine respektable Zwischenbilanz: Die „Ampel“ habe bereits fast zwei Drittel der Vorhaben aus ihrem ambitionierten Koalitionsvertrag entweder umgesetzt oder angepackt. Zu diesem Ergebnis kommen Fachleute der Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Trier und dem Progressiven Zentrum.

Die Autorinnen und Autoren haben für ihre Analyse insgesamt 453 Versprechen im Koalitionsvertrag gezählt und den jeweiligen Stand der Umsetzung überprüft. Das Ergebnis: 174 Versprechen seien bereits voll oder teilweise erfüllt (38 Prozent). Darüber hinaus befänden sich weitere 55 Vorhaben (12 Prozent) im Prozess ihrer Erfüllung.

Weitere 62 Versprechen (14 Prozent) seien „substanziell angegangen“ worden, ihr Erfüllungsgrad sei aber noch nicht absehbar. Insgesamt 162 Versprechen (36 Prozent) seien bislang weder erfüllt noch angegangen worden.

Robert Vehrkamp, der Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung, sprach von einer „insgesamt sehr vielversprechenden Halbzeitbilanz, die aber überschattet und geprägt ist von öffentlich inszeniertem Koalitionsstreit und vielen offenen Baustellen“.

Wahrnehmung als „Streitkoalition“

Die Folge: „Im Kontrast zum Ambitionsniveau und Umsetzungsstand ihres Koalitionsvertrages steht die öffentliche Wahrnehmung der Ampelregierung als ‚Streitkoalition‘“, heißt es in der Studie. Nur noch 12 Prozent der Menschen in Deutschland seien der Meinung, dass von den vereinbarten Koalitionsversprechen „alle, fast alle oder ein großer Teil“ umgesetzt würden. 43 Prozent aller Befragten gingen sogar davon aus, es werde nur „ein kleiner Teil oder kaum welche“ umgesetzt.

Der öffentlich inszenierte Koalitionsstreit führe dazu, dass die tatsächliche Regierungsleistung und Umsetzungstreue unterschätzt werde, erklärte Politikexperte Wolfgang Schröder vom Progressiven Zentrum. „Deshalb braucht die Ampel einen Neustart in ihrer koalitionsinternen Zusammenarbeit und Selbstdarstellung.“

Im Vergleich zur Halbzeitbilanz der Vorgängerregierung habe die Ampel mit 38 statt 53 Prozent bereits erfüllter Versprechen prozentual zwar weniger erfüllt – aber mit 174 statt 154 erfüllten Versprechen in absoluten Zahlen gerechnet sogar etwas mehr geschafft, heißt es in der Studie.

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung aus dem Jahr 2021 enthält insgesamt 453 „echte“ Regierungsversprechen: Als „echte“ Versprechen hat das Studien-Team nach eigenen Angaben nur solche Vorhaben eingestuft, deren Erfüllung anhand klarer Kriterien nachprüfbar ist.

Im Koalitionsvertrag der Ampel seien das gut 50 Prozent mehr als die 296 Versprechen der Großen Koalition im Koalitionsvertrag von 2018. Gegenüber dem Koalitionsvertrag 2013 mit 188 Versprechen habe die „Ampel“ sogar fast zweieinhalb Mal so viele Regierungsvorhaben vereinbart.

„Die große Anzahl der Versprechen spiegelt zum einen die Komplexität der Ampel als einer lagerübergreifenden Koalition aus drei programmatisch eigenständigen Parteien, zum anderen aber auch das höhere Ambitionsniveau des Ampel-Vertrages wider“, erklärte Theres Matthieß von der Universität Trier, Mitautorin der Studie.

In einer Umfrage des Allensbach-Instituts für Bertelsmann zeigte sich nur jeweils etwa ein Viertel der Menschen in Deutschland mit der Arbeit von SPD (25 Prozent), Grünen (23 Prozent) und FDP (22 Prozent) „sehr oder eher“ zufrieden. Mehr als sechs von zehn der Befragten sind dagegen „eher oder sehr“ unzufrieden mit der Leistung der Regierungsparteien.

Dazu erklärte Bertelsmann-Experte Vehrkamp: „Nur wenn die Ampel mehr Koalition wagt, wird sie bei den Wählern auch das Vertrauen ernten, das ihre vielversprechende Halbzeitbilanz eigentlich verdient hätte.“

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11 Kommentare

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  • Und jetzt muss man noch das zerbrochene Porzellan gegenrechnen wie z.B.

    taz.de/Teilhabe-be...Menschen/!5956876/

  • All jenen, die in ihren Kommentaren so tun, als wüssten sie allein, wie regieren richtig geht und wie Probleme logischerweise richtig und final gelöst werden, empfehle ich die 3-teilige Dokumentation "Regieren am Limit" in der ARD Mediathek:

    www.ardmediathek.d...ZGIvc3RJZC8xNTQ4/1

  • Durch die umgesetzten Vorhaben sind vermutlich hunderte von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften entstanden.

    Ich würde mich viel mehr freuen, wenn auch ebenso viele (idealerweise mehr) Vorgaben gestrichen worden wären.

    Die Bürokratie in Deutschland empfinde ich für mich als Unternehmer und Privatperson als zunehmend erdrückend.

  • Okay es ist ein Bewertungsmassstab.



    Aber er sagt halt wenig aus, es ist entscheidend ob man die Probleme gelöst welche zu lösen sind. Die selbst gestellten Ziele sind dann eher die Kür.

    Das wäre so als wenn ein Auto einen Motorschaden hat und die Werkstatt sich als Ziel setzt den Wagen neu zu lackieren und das erledigt sie mit Bravour, aber das Auto fährt immer noch nicht - aber es sieht wenigstens wieder neu aus.

  • Die Leute führen doch keine Strichliste, auf der sie abhaken, welche Vorhaben aus Wahlprogrammen und Koalitionsvertrag tatsächlich realisiert wurden.



    Entscheidend ist doch, um einen früheren Kanzler zu zitieren, was hinten raus kommt.



    Und da fällt z.B. das Heizungsgesetz bei den meisten Menschen durch, auch wenn im Koalitionsvertrag stand, daß das GEG geändert werden soll.

  • Der Autor unterschlägt fahrlässig die Rolle der überwiegend konservativen bis reaktionären Medien, mit Ihrer "Streit" Kampagne, denen sich auch zu großen Teilen die öffentlich rechtlichen Medien angeschlossen haben.



    Und wer meint, dass sich die priviligierten Bevölkerungsschichten ihre Privilegien auch den des Co" Verbrauchs, so einfach wegnehmen lässt, der sollte den FR Artikel zu der politischen Situation in Chile mal durchlesen.....dann läßt sich erahnen, was auf uns noch zukommen kann......

  • Das ist ein sehr interessanter Bericht über ein ebenso interessantes Thema.



    Die Tatsachen sollten die Kritik am Projekt Ampel dämpfen.



    Natürlich ist Kritik stets der einfache Weg, egal ob diese fundiert ist.



    Ein verantwortlicher Umgang mit unserer Gesellschaft und deren Zukunft bedeutet aber auch eine Nähe zur Wahrheit.



    Daher wäre es schön, die positiven Veränderungen, für die die Regierung verantwortlich zeichnet, entsprechend zu bewerten.



    Die vielfältigen Krisen und daraus resultierenden Aufgaben für die Gesellschaft benötigen gemeinsamer Kraftanstrengungen.



    Für Haare in der Suppe ist wieder Zeit, wenn nichts los ist.



    Derzeit empfinde ich eine große Diskrepanz zwischen MacherInnen und Machern und den Untätigen, die angeblich Alles besser wissen.

  • Der wesentliche Maßstab für die Bewertung der Regierungsarbeit ist nicht, wieviel Prozent der Vorhaben im Koalitionsvertrag umgesetzt wurden. Das kann es schon deshalb nicht sein, weil dabei wichtige und unwichtige Vorhaben in einen Topf geworfen werden. Es kommt darauf an, wie die Regierung die auftretenden Krisen/Probleme bewältigt und die Bevölkerung mitnimmt. Daran scheint es zu hapern. Außerdem unterstellt die Ausrichtung nur am Koalitionsvertrag, dass dieser die Bedürfnisse der Bevölkerung hinreichend adressiert. Scheint auch nicht der Fall zu sein.

    • @gyakusou:

      Na, Ihr Beitrag hier ist ja geradezu das Paradebeispiel, weshalb die in der abgefragten "Öffentlichkeit" Bundesregierung so schlecht abschneidet.



      Niemand kann so schlecht sein, dass er nicht auch mal, vielleicht nur versehentlich, was Gutes tut. Und das vermisse ich in dem Gezeter um die Bundesregierung. Veröffentlichungen aller Art beginnen erst mal mit ... "Neuer Streit ...". Zu jedem Thema, aber auch zu jedem, gibt unterschiedliche Auffassungen. Trotzdem kommen wir in der BRD "fast" immer zu praktikablen Kompromissen.



      Außer: die Opposition und ihre Förderer betreiben Fundamental-Opposition.

      • @LeKikerikrit:

        Ich bezweifle, dass die Zustimmungswerte für die Bundesregierung signifikant besser wären, wenn es weniger öffentlich ausgetragenen "Streit" geben würde.

        Zahlreiche Maßnahmen der Regierung sind kontrovers, der Blick in die Zukunft bei vielen Menschen eher negativ und pessimistisch. Etwa was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, die Herausforderungen in Schulen/Wohnungsbau/Gesellschaft durch immer mehr Migratioon usw.

        • @gyakusou:

          Interessant wäre es auch dem Begriff "Streit" etwas zu differenzieren. Wer mit eiserner Hand regiert wird keine Kritik und keine oppositionelle Meinung dulden. Kein Streit. Super. Auf der anderen Seite ist Diskussion und die Präsentation unterschiedliche Ideen und Positionen ein demokratischer Grundgedanke. Es stellt sich also die Frage was einer Konsens oder Entscheidungsfindung vorher geht. Und vielleicht ist es der Stil der gegenseitigen Findung was als "Streit" medial ausgebeutet werden kann.