Gymnasium in Berlin: Palitücher statt Zeugnisse
Weil sie propalästinensische Proteste befürchten, sagt ein Gymnasium eine Abiturverleihung ab. Eltern wünschen sich einen anderen Umgang.
Die Schulleitung hatte die Zeugnisverleihung abgesagt, weil sie eine propalästinensische Protestaktion befürchtet. Die Zeugnisse sollten am 5. Juli an einem Ort außerhalb der Schule überreicht werden. Doch „aus sicherer Quelle“ hätten sie erfahren, dass ein großer Teil des Jahrgangs „massive konfrontative politische Kundgebungen“ bei der Veranstaltung geplant habe, heißt es in einem Brief der Schulleitung an die Abiturient*innen und Eltern. Der Brief liegt der taz vor. Möglicherweise könne es zu Ausschreitungen kommen. Die Sicherheit der Veranstaltung könne nicht gewährleistet werden.
„Anscheinend hatten einige der Abiturient*innen im Klassenchat gefragt, wer bereit sei, sich bei der Zeugnisverleihung für Palästina einzusetzen“, berichtet das Elternteil. Knapp die Hälfte der rund 120 Chatmitglieder hätte sich dafür ausgesprochen. Dabei sei völlig unklar, wie ein Protest hätte aussehen sollen. In Medienberichten hieß es, dass Schüler*innen wohl mit Palästinensertüchern zur Verleihung kommen wollten.
„Nie wieder“ mit Leben füllen
„Ich bin erschrocken, wie schnell die Situation eskaliert ist“, sagt das Elternteil. Bei dem Gymnasium handele es sich um eine „typische Berliner Innenstadtschule“ mit Schüler*innen aus rund 100 Nationen. Als Eltern hätten sie dort stets den Anspruch gespürt, allen Schüler*innen einen guten Start ins Erwachsenenleben zu ermöglichen.
Das Gymnasium habe regelmäßig Gedenkveranstaltungen zur Shoah mit den Schüler*innen gestaltet, die Schule bemühe sich sehr, den Anspruch „Nie wieder“ mit Leben zu füllen, sagt der Elternteil. „Aber offensichtlich haben wir es nicht geschafft, das „Nie wieder“ so aufzuladen, dass es die Schüler*innen emotional erreicht.“
Auf Seiten der Schüler*innen sei ein „ehrliches Leiden“ angesichts der Entwicklung in Gaza deutlich. Eine strikte Absage würde die Möglichkeiten, darüber ins Gespräch zu kommen, noch mehr verengen. „Wir gehen nicht gut mit der Gemütslage der Jugendlichen um“, kritisiert das Elternteil. Das Handeln der Rektorin sei insofern verständlich, als dass diese wohl die wachsenden Gefahren für jüdische und israelische Menschen – und Schüler*innen – in Berlin im Blick habe.
„Eine Absage einer für viele Schüler:innen wichtigen Veranstaltung, sollte nur das äußerste Mittel sein, da dabei ein ganzer Jahrgang kollektiv darunter leidet“, kritisiert auch der Landesschülerrat auf Nachfrage der taz. „Es sollte versucht werden, die Abiverleihung doch stattfinden zu lassen, ohne dass dabei Antisemitimus oder Völkerfeindlichkeit Raum bekommen.“ Außerdem sollten die Verantwortlichen mit der Schülerschaft in den Dialog treten und herausarbeiten wo die Grenzen zwischen legitimen Meinungsäußerungen und in einer Demokratie nicht tolerierbaren Äußerungen und Gesinnungen liegen, fordert der LSA. Die Schulbehörde dürfe die Schulleitung dabei nicht allein lassen.
Aus der Bildungsverwaltung hieß es, man bemühe sich darum, eine Lösung zu finden und eine Übergabe der Abiturzeugnisse in einem angemessenen Rahmen zu organisieren. Im Brief der Schulleitung hieß es noch, die Schüler*innen sollten sich ihre Zeugnisse Anfang Juli in der Schule abholen.
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