Gute Klima-Kommunikation: Zuspitzen oder verharmlosen?
In der Klimaforschung gibt es oft Unsicherheiten. Wie können Medien diese kommunizieren, ohne gleichzeitig an Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Wäre die Hitzewelle 2021 in Kanada, infolge derer Hunderte Menschen starben, ohne den Klimawandel tatsächlich „nahezu unmöglich“ gewesen, wie damals viele Medien schrieben? Der Neurowissenschaftler Kris de Meyer ist weit davon entfernt, die Klimakrise zu verharmlosen, und trotzdem anderer Meinung. „Diese Formulierung wirkt übertrieben und lässt zu viel Interpretationsspielraum“, sagt der Direktor der Climate Action Unit, einer Fachgruppe für Wissenschaftskommunikation am Londoner King’s College.
„Nahezu unmöglich“: Diese beiden kleinen Wörter verdeutlichen das Dilemma der Klimakommunikation. Diese muss die Dringlichkeit der Situation vermitteln, doch sie darf dabei nicht übertreiben. Denn dann wird sie unglaubwürdig, und das wäre fatal in einer Zeit, in der Klima-Desinformation boomt.
Deshalb müssen Forschende und Journalist:innen ständig abwägen, wie stark sie verkürzen und vereinfachen. Zugespitzte Formulierungen vermitteln die Dringlichkeit, erfordern aber ein gewisses Vertrauen der Leser:innen. Problematisch wird es, wenn wichtige Details ignoriert werden. Wer aber zu viele Wenn und Aber verwendet, verharmlost die Klimakrise, im schlimmsten Fall ungewollt.
Der Klimaforscher Douglas Maraun teilt die Kritik an der Formulierung „nahezu unmöglich“ in Bezug auf die kanadische Hitzewelle: „Die Leserinnen und Leser denken, dass es die Hitzewelle ohne den Klimawandel gar nicht gegeben hätte“, sagt der Wissenschaftler, der zu den Leitautoren des aktuellen Berichts des Weltklimarats IPCC gehört. Hitzewellen werden meist durch blockierende Wetterlagen ausgelöst, die ein Hochdruckgebiet am Weiterziehen hindern. Dadurch bleibt die Hitze mehrere Tage bis Wochen über einer Region stehen.
Besonders ausgeprägt war dieses Phänomen beispielsweise im Sommer 2003, in dem europaweit über 70.000 Menschen an der Hitze starben – und im Juni 2021 über Kanada. An drei aufeinander folgenden Tagen wurden damals Hitzerekorde um mehrere Grad gebrochen, die Ortschaft Lytton wurde von einer Feuerwalze vernichtet. Auch in Deutschland sind Hitzewellen ein ernsthaftes Problem: Sie verursachen wesentlich mehr Todesfälle, als es Verkehrstote gibt.
Klar ist: Durch den Klimawandel sind Hitzewellen häufiger und um mehr als 1 Grad stärker geworden. Mit jedem Grad mehr schlafen wir schlechter, werden anfälliger für Hitzschlag, Überhitzung und Organversagen und sogar gewaltbereiter. Aber auch hier gibt es wieder ein Aber: Besonders bei intensiven, länger anhaltenden Hitzewellen, wie etwa 2003 oder 2021, sei es komplizierter, erklärt Douglas Maraun: „Diese werden nur dann häufiger, wenn es vermehrt zu blockierenden Wetterlagen kommt“, sagt er. Ob dies durch den Klimawandel häufiger oder seltener geschieht, lasse sich mit aktuellen Klimamodellen aber noch nicht eindeutig simulieren.
Zwei Grad heißer
Wie hat der Klimawandel die Hitzewelle in Kanada nun beeinflusst? „Die Thermometer in Lytton hätten ohne diesen etwa 47,6 statt 49,6 Grad angezeigt“, sagt Maraun. Einen Hitzerekord hätte es also auch ohne Klimawandel gegeben. Dass es um eine Differenz von zwei Grad geht, stand zwar auch in der Studie der World Weather Attribution (WWA), auf die sich damals die meisten Medienberichte bezogen. Die meisten Artikel, auch in der taz, erwähnten diese Tatsache allerdings nicht.
Stattdessen stürzten sich viele Medien darauf, dass die Hitzewelle durch den Klimawandel 150-mal wahrscheinlicher wurde. Tatsächlich sagt diese Zahl aber nicht, dass Hitzewellen allgemein häufiger werden, sondern bezieht sich darauf, wie wahrscheinlich dieselbe Hitzewelle mit beziehungsweise ohne Klimawandel wäre. Konkret: Ohne die menschengemachte Erderhitzung wären die knapp 50 Grad im kanadischen Lytton nur alle 150.000 Jahre zu erwarten. Mit dem Klimawandel werden sie zu einem Jahrtausendereignis.
Die Wissenschaftlerin Mariam Zachariah verteidigt die Formulierung „nahezu unmöglich“ in Bezug auf die kanadische Hitzewelle. Sie ist Forschungsassistentin am Imperial College in London und seit Anfang 2022 Mitglied der WWA, die jährlich rund ein Dutzend Attributionsstudien durchführt. Die sogenannte Attributionsforschung ist eine noch junge Disziplin, die den Einfluss des Klimawandels auf Extremwetter wie Starkregen oder Hitzewellen untersucht.
Die Ergebnisse liegen binnen Wochen auf dem Tisch und werden vorab auf Pressekonferenzen vorgestellt. „Um Missverständnissen vorzubeugen“, sagt Zachariah.
„Alle 150.000 Jahre bedeuten eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 150.000 in jedem Jahr“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wenn man das übersetzt, erhält man: nahezu unmöglich.“ Das bringe die Botschaft auf den Punkt: „Ein solches Ereignis wäre in einer Welt ohne Klimawandel nicht möglich gewesen.“
Immer mehr Journalist:innen beziehen sich in ihrer Arbeit auf die Ergebnisse der Attributionsforschung. So richtig bekannt wurde diese, als das Fachportal Carbon Brief im Sommer vergangenen Jahres eine Querschnittsanalyse von über 500 Attributionsstudien veröffentlichte. Viele Medien zitieren daraus und verwenden dabei meist den umstrittenen Wortlaut „nahezu unmöglich“. In der taz etwa liest man in den ersten Zeilen: „Mehrere Ereignisse wären ohne den Klimawandel unmöglich.“
Überspitzt oder heruntergespielt?
Klar ist, dass es sich dabei um eine Vereinfachung handelt. Ähnlich sei es auch bei überspitzten Schlagzeilen wie „Wir haben zwölf Jahre Zeit, um den Planeten zu retten“, kritisiert Kris de Meyer. Hier hätten viele Medien ein Statement des Weltklimarats IPCC falsch verkürzt, so der Kommunikationsexperte. Dies sei von einigen jungen Leuten so interpretiert worden, als würden alle sterben, wenn die Erderhitzung nicht in den nächsten zwölf Jahren gestoppt werde.
Immer wieder sieht man solche populistischen Zuspitzungen, etwa auf der Titelseite von Österreichs reichweitenstärkster Tageszeitung, der Kronen Zeitung: „2023 letzte Chance, um die Welt zu retten“, heißt es dort mit Blick auf die Klimakrise. Das ist übertrieben. Auch die Jahre und Jahrzehnte danach zählen.
Doch mit jedem verstrichenen Jahr wird die Chance auf ein lebenswertes Klima kleiner. Medien müssen also auch aufpassen, dass sie die Gefahren der Klimakrise nicht herunterspielen. Dabei ist mehr aber nicht immer besser, vor allem, wenn es um Zahlen geht. Kris de Meyer sagt: „95 Prozent der Vorgänge in unserem Gehirn sind intuitiv. Nur ein paar Prozent sind analytisch.“
Deshalb tun wir uns so schwer, Statistiken richtig zu interpretieren. Dass ein Extremereignis einmal alle 150.000 Jahre, alle tausend oder alle hundert Jahre vorkommt, könne leicht missverstanden werden: „Wer einmal ein Jahrhundertereignis erlebt hat, denkt, er sei für die nächsten hundert Jahre sicher“, sagt de Meyer.
Erhitzen wir die Erde weiter, verändert sich die Statistik erneut. Bei einer Erderwärmung von zwei Grad wäre die kanadische Hitzewelle bereits alle fünf bis zehn Jahre zu erwarten. Schon jetzt stehen wir bei 1,2 Grad, mit den aktuellen Maßnahmen steuern wir auf 2,8 Grad zu. Die Folgen dessen könne ein Etikett wie „nahezu unmöglich“ nicht greifbar machen, sagt de Meyer.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Welche Möglichkeiten gibt es dann, den Zusammenhang von Klimawandel und Hitzewellen zu vermitteln? De Meyer schlägt einen Index vor, den Journalist:innen und Klimaforschende gemeinsam entwickelt sollten. Dieser müsse immer und immer wieder kommuniziert werden, etwa im Wetterbericht.
Vorbild seien Warnstufen, wie es sie bereits bei Hurrikanen, Lawinen oder Waldbrandgefahr gibt. „Niedrige Zahlen mit höchstens einer Kommastelle sind leichter verständlich als hohe Zahlen“, so de Meyer. Dieser Index solle nicht nur zeigen, wie schlimm eine Hitzewelle ist, sondern auch, wie viel wahrscheinlicher sie durch den Klimawandel geworden ist.
Ähnliches passiert seit letztem Sommer in der spanischen Stadt Sevilla. Dort werden Hitzewellen nach ihrer Stärke (von 1 bis 3) eingestuft und die gefährlichsten von ihnen mit Namen getauft: Zoe, Yago, Xenio waren die ersten unter ihnen. Bis 2030 soll das Projekt rund 500 Millionen Menschen in Städten wie Buenos Aires, New York oder Melbourne erreichen.
Deutsche Städte sind bei dem Projekt aktuell nicht eingeplant. Hierzulande dürften nur den Wenigsten bewusst sein, dass im vergangenen Sommer mehr als 10.000 Menschen durch Hitze gestorben sind. Ein Hitze-Index wie in Sevilla könnte das ändern. Ein solcher wäre nichts anderes als eine Vereinfachung des Komplexen – aber eine, die Leben retten könnte.
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