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GrundsatzurteilAbschiebungen nach Griechenland wieder möglich

Bislang wurden fast keine Flüchtlinge nach Griechenland zurückgeschickt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte nun fest, dass dort keine Verelendung drohe.

Gut genug, um dorthin abgeschoben zu werden? Flüchtlingswohnung in Athen Foto: Michalis Karagiannis/imago

Leipzig taz | Flüchtlinge, die bereits in Griechenland anerkannt wurden, können künftig dorthin zurückgeschickt werden. Das entschied an diesem Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil.

Die Lage anerkannter Flüchtlinge in Griechenland ist schwierig. Während des Asylverfahrens können sie in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen leben. Doch sobald sie anerkannt sind, müssen sie binnen 30 Tagen ausziehen. Sie haben dann auch keinen Anspruch auf Sozialleistungen und kaum Chancen auf legale Arbeit.

Viele anerkannte Flüchtlinge bleiben deshalb nicht in Griechenland, sondern ziehen weiter. Allein im Vorjahr kamen rund 25.000 anerkannte Flüchtlinge aus Griechenland nach Deutschland.

Der heute 32-jährige Somalier Mohamed H. kam im Februar 2018 nach Griechenland und erhielt dort im November 2018 internationalen Schutz. Im August 2019 flog er nach Deutschland, wo er im Oktober 2019 einen neuen Asylantrag stellte, um hier bleiben zu können.

Kafkaeske Situation auf dem Arbeitsmarkt

Das Bundesamt für Asyl und Migration (Bamf) lehnte den Antrag jedoch ab. Laut Asylgesetz ist ein Asylantrag unzulässig, wenn der Flüchtling bereits in einem anderen EU-Staat anerkannt worden war. Bisher jedoch wurden anerkannte Flüchtlinge dennoch nicht nach Griechenland zurückgeschickt, weil ihnen dort die Verelendung drohte. Da waren sich die deutschen Verwaltungsgerichte ziemlich einig.

Im Fall des Somaliers billigten jedoch das Verwaltungsgericht Gießen und der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel die Abschiebung nach Griechenland. Da die Rechtsprechung nun nicht mehr einheitlich war, ließ der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Bei dieser (erst seit 2023 zulässigen) Tatsachenrevision geht es ausnahmsweise nicht um Rechtsfragen, sondern um die verbindliche Feststellung der Situation in einem bestimmten Staat.

In der mündlichen Verhandlung schilderte H.s Anwalt Stephan Hocks die kafkaeske Situation von anerkannten Flüchtlingen in Griechenland: „Um eine Arbeitsstelle zu finden, braucht ein Flüchtling eine Steuernummer. Die bekommt er aber nur, wenn ihm ein Arbeitgeber bestätigt, dass er einen Arbeitsplatz hat“, so Hocks. „Das ist kein Behördendschungel, das ist eine Mauer“, empörte sich seine Kollegin Juliana Harper.

Zwar hat Griechenland das Hilfsprogramm Helios+ für anerkannte Flüchtlinge gestartet. „Das Programm ist aber nicht anwendbar, wenn ein Flüchtling länger als zwei Jahre außerhalb Griechenlands lebte,“ so Anwalt Hocks. Der Somalier H. würde bei einer Rückkehr leer ausgehen, denn er lebt seit 2019 in Deutschland.

Geld verdienen in der Schattenwirtschaft

Dennoch stellte das Bundesverwaltungsgericht nun fest, dass anerkannte Flüchtlinge nach Griechenland zurückgeführt werden dürfen. Zwar gebe es dort erhebliche Defizite, aber alleinstehenden, männlichen, gesunden Flüchtlingen drohe keine Verelendung, keine extreme materielle Not. „Sie können ihre elementaren Grundbedürfnisse auf Unterkunft, Ernährung und Hygiene befriedigen“, sagte der Vorsitzende Richter Robert Keller.

Er verwies vor allem auf die Möglichkeit durch Arbeit Geld zu verdienen, insbesondere in der Schattenwirtschaft, also in der Schwarzarbeit. Obdachlosigkeit sei unter anerkannten Flüchtlingen „kein Massenphänomen“, es gebe temporäre Unterkünfte und Notschlafstellen.

Anders als der VGH verwies Keller nicht auf die Unterstützung von ethnischen Communities. Anwältin Harper will nun eine Verfassungsbeschwerde prüfen. Pro Asyl bezeichnete das Urteil als „nicht nachvollziehbar“. Pro Asyl will die Situation in Griechenland weiter dokumentieren. Pro Asyl und seine griechische Partnerorganisation Refugee Support Aegean wollen die Situation in Griechenland weiter dokumentieren, um damit neue Klagen begründen zu können.

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8 Kommentare

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  • Ich wollte es nicht glauben, steht aber tatsächlich so in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts.

    Ein oberster Richter legt als humanen Maßstab für eine Rücküberstellung das "Brot, Bett und Seife" Prinzip an, stellt dann selber fest, dass dieses in diesem speziellen Fall wohl nicht gewährleistet ist und empfiehlt als Ausweg den Gang in die Kriminalität.

    Das schriftlich in einem Urteil fixiert. Alle Achtung da gehört schon eine gehörige Portion Menschenverachtung dazu. Das ist Zynismus in Reinkultur.

    Wenn der Rechtsstaat in Deutschland nicht zur Lachnummer verkommen will, darf es nur eine Antwort darauf geben: Amtsenthebungsverfahren!

  • Es ist ein Kreuz

    Dreh die Zeit ein wenig zurück.



    Da entschied Karlsruhe für Bulgarien - Verelendung drohe &! räumte Italien gleich mit ab! ( zum Empör über dies obiter dictum eine der Primadonnen “Weil wir das können!“)



    Der zuvor mit SozialR betraute Vorgänger vom jetzigen Vorsitzenden Robert Keller tat sich mit Karlsruhe ersichtlich schwer & der Senat ließ verstärkt in Karlsruhe “arbeiten“!



    Gehe zugunsten des Klägers davon aus:



    Daß das so bleibt! Masel tov



    “… Möglichkeit durch Arbeit Geld zu verdienen, insbesondere in der Schattenwirtschaft, also in der Schwarzarbeit. Obdachlosigkeit sei unter anerkannten Flüchtlingen „kein Massenphänomen“, es gebe temporäre Unterkünfte und Notschlafstellen.“



    Ich glaub - es hackt •

  • Was zum Teufel!

  • Habe ich das jetzt richtig verstanden?



    Das Bundesverwaltungsgericht behauptet, dass Menschen ihre elementaren Grundbedürfnisse auf Unterkunft, Ernährung und Hygiene durch (illegale!) Schwarzarbeit befriedigen können? Gilt das auch für Deutschland oder nur für Griechenland? Was sagt der griechische Staat dazu? Gibt es dort überhaupt für alle die Möglichkeit, sich mit Schwarzarbeit über Wasser zu halten? Oder dürfen sie mit denselben Argumenten auch Nahrungsmittel im Supermarkt klauen? Wenn sie sich aber in Griechenland mit illegalen Methoden vor extremer materieller Not schützen können, warum sollten sie dann nicht - illegal - nach Deutschland kommen, um dasselbe zu tun? Wo man dann irgendetwas Illegales tut, ist nach dieser Logik am Ende ja vollkommen beliebig.



    Vielleicht sollten RichterInnen, die an so etwas glauben, einen Selbstversuch starten und schauen, wie lange es dauert, bis sie in extreme materielle Not geraten, ohne gegen Gesetze oder die zehn Gebote zu verstoßen.

    • @Aurego:

      Das gilt nicht für Deutschland.

      Der informelle Sektor machte vor rund 10 Jahren etwa 30 % des BIP aus.

      Er war eine der Ursachen der Finanzkrise.

      Inzwischen soll sich die Quote halbiert haben.

      Das heißt, in Griechenland ist es Normalität.

  • Wenn man sagt es darf nicht nach Griechenland abgeschoben werden, weil der Lebensstandard dort zu niedrig ist hieße das im Umkehrschluss das es ein Recht auf deutschen Lebensstandard gibt und jeder der den nicht hat sollte eingeflogen werden. Es wäre schlicht unfair ihn nur jenen zu gewähren die es hierher schaffen.

    • @Machiavelli:

      Es geht ja nicht direkt darum, wie hoch der Lebensstandard in Griechenland ist. Das, was wir von der Vergabe einer Sozialversicherungsnummer in Griechenland erfahren, erinnert stark an den Hauptmann von Köpenick in Zuckmayers Interpretation.

    • @Machiavelli:

      Und zu ehran mal wieder kruden Gedanken



      Mit Wolfgang „ick setz mir mal bei Richie“



      Neuss🚬 “Es reicht nicht - keine Gedanken zu haben! Mann muß auch unfähig sein -



      Sie auszusprechen! Newahr



      Normal Schonn

      unterm——



      Eine geschätzte Kollegin hatte für solcherart - gerade im Ausl - Asyl & Flüchtlingsbereich grassierende ”Denke“ - dess in petto -



      “Gemüt einnes Schauckelstuhls“ • 🙀🥳🧐 -



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