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Grund für ScheiternUnions-Probleme verhindern Wahl

Weil 50 bis 60 Abgeordnete der CDU/CSU von der Linie der Fraktion abweichen wollten, wurde die Wahl der drei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen vertagt.

Erfüllungsgehilfen der Rechten: Merz, Spahn und die Union Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die Wahl von drei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen im Bundestag ist vorerst gescheitert. Der Bundestag hat an diesem Freitag auf alle drei Wahlen verzichtet, um ein völliges Desaster zu verhindern. Die Richterwahlen werden nun wohl nach der Sommerpause nachgeholt.

Normalerweise gehen Verfassungsrichter-Wahlen glatt und geräuschlos über die Bühne. Die Hälfte der 16 Rich­te­r:in­nen wird im Bundestag gewählt, die andere Hälfte im Bundesrat. Erforderlich ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese wird darüber sichergestellt, dass die Parteien, die für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sind, Vorschlagsrechte erhalten. Zuletzt galt die Formel 3:3:1:1. Das heißt, dass CDU/CSU und SPD je drei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen pro Senat vorschlagen können, Grüne und FDP haben je ein Vorschlagsrecht.

Damit der 3:3:1:1-Proporz erhalten bleibt, lag für die frei werdenden drei Richterposten das Vorschlagsrecht einmal bei der CDU/CSU und zweimal bei der SPD. Die Union schlug Günter Spinner vor, einen Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht. Die SPD nominierte die Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold.

Dass die anstehenden Verfassungsrichter-Wahlen schwierig werden, hat sich schon länger angedeutet. Denn nach dem Ausscheiden der FDP bei der Bundestagswahl haben CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Es fehlen sieben Stimmen, die von Linken oder AfD kommen müssen.

Druck von Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen

Die Linke war bereit, Spinner mitzuwählen, unter der Bedingung, dass die CDU/CSU mit ihr das Gespräch sucht. Ein solches Gespräch verweigerte aber die CDU/CSU unter Verweis auf ihren Unvereinbarkeits-Beschluss. Dies nutzte die AfD zur Ankündigung, dass sie Spinner mitwählen werde.

Damit war die Wahl Spinners gesichert und es ging nur noch um die Frage, ob es gelingt, eine Zwei-Drittel-Mehrheit ohne die AfD hinzubekommen. Die CDU/CSU hoffte, dies durch eine besonders disziplinierte Anwesenheit des Regierungslagers zu erreichen. Einige Linke wie Bodo Ramelow wollten Spinner aber auch ohne Gegenleistung wählen.

Dazu kam es nicht mehr. Denn im Lauf der Woche wurde dieser Konflikt immer mehr durch einen unionsinternen Brandherd überlagert. Lange nachdem die CDU/CSU zugesagt hatte, die SPD-Vorschläge Brosius-Gersdorf und Kaufhold mitzuwählen, regte sich Widerstand in der Fraktion, insbesondere gegen Frauke Brosius-Gersdorf. Die Rechtsprofessorin, die bisher allseits als renommiert und wissenschaftlich herausragend galt, wurde plötzlich als „ultralinks“ und als „Aktivistin“ beschimpft.

Im Mittelpunkt der Vorwürfe stand Brosius-Gersdorfs Position zum Abtreibungsrecht, die sie 2024 auch in einer Reformkommission der Bundesregierung vertreten hatte. Sie hält es für verfassungsrechtlich möglich, Abtreibungen zu entkriminalisieren. Da das Bundesverfassungsgericht dies in den 1970er- und 1990er-Jahren anders entschieden hat, ist die Unruhe in der Union teilweise nachvollziehbar. Die CDU/CSU steht auch unter massivem Druck von Abtreibungsgegner:innen, die in der Bevölkerung schon lange keine Mehrheit mehr haben und nun ihre letzte Bastion, das Bundesverfassungsgericht, in Gefahr sahen.

Plagiatsvorwürfe wirken konstruiert

Einige Abweichler in der Union hätten die Zwei-Drittel-Mehrheit für Brosius-Gersdorf aber nicht gefährdet, da auch die Linke für sie stimmen wollte. Als am Freitag aber plötzlich 50 bis 60 Unions-Abgeordnete von der Fraktionslinie abweichen wollten, wurde es eng und es drohte ein Eklat, auch für Fraktions-Chef Jens Spahn und Kanzler Friedrich Merz.

In der offensichtlichen Not griff die CDU/CSU-Fraktionsführung am Freitagmorgen Vorwürfe des umstrittenen Plagiats-Jägers Stefan Weber auf, die er erst am Vorabend publiziert hatte. Danach habe Brosius-Gersdorf in ihrer Doktorarbeit an 23 Stellen bei der Habilitation ihres Mannes Hubertus Gersdorf abgeschrieben. Die Vorwürfe wirken schon deshalb konstruiert, weil die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf ein Jahr vor der Habilitation ihres Mannes veröffentlicht wurde.

SPD und Grüne lehnten daher den Vorschlag der CDU/CSU ab, die Wahl von Brosius-Gersdorf abzusetzen und nur Spinner und Kaufhold zu wählen. Man einigte sich schließlich, alle drei Richterwahlen abzusetzen. Dem stimmte auch die Linke zu. Nur die AfD wollte sofort wählen, um zu zeigen, dass die CDU/CSU „links-grüne“ Politik unterstützt, wie der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann sagte.

Einen Erfolg hatten die Kritiker von Brosius-Gersdorf aber schon vorab erzielt. Anders als geplant soll sie nicht mehr Vizepräsidentin und ab 2030 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden. Darauf hatten sich CDU/CSU und SPD im Lauf der Woche geeinigt. Diese Funktionen wird dann wohl die andere SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold übernehmen.

Auch wenn die Wahlen nun vertagt sind, bleibt das Bundesverfassungsgericht voll arbeitsfähig. Die Richter, deren Amtszeit abgelaufen ist, bleiben kommissarisch im Amt.

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22 Kommentare

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  • Im Grunde braucht man doch den Text des Artikels nicht zu lesen. Denn die beiden zu Grunde liegenden Unionsprobleme sind im Artikelbild unzweifelhaft zu erkennen ...

  • Was die CDSU treibt oder umtreibt, wird, soweit ich sehe, derzeit einzig vom spanischen Partido Popular überboten, der in der gleichen europäischen Liga spielt:



    Auf dem Höhepunkt der Hetzkampagne gegen Sánchez wird dort versucht, seinem Schwiegervater - und damit ihm - unlautere Geschäfte im 'Saunabereich'



    (in Spanien ein populäres Synonym für Bordellbetrieb) nachzusagen. (Dessen Brüder sind im regulären Saunageschäft erfolgreich.)



    Gestern sagte die PP-Sprecherin in einem Interview im TVE, dafür gebe es Beweise. Welche denn zum Beispiel, wurde sie gefragt. Das sei in der Presse nachzulesen, so ihre Antwort. Basta.

  • Der letzte Skandal von Jens Spahn, Masken Deals und damit einhergehend, ein nötiger Untersuchungsausschuß, liegt noch in der Luft, da iss'er schon der nächste Skandal, den Jens Spahn zu verantworten hat. Unfähigkeit gepaart mit Respektlosigkeit, wird von Jens Spahn dem Bundestag und der deutschen Bevölkerung präsentiert. Wie lange da wohl noch der Friedrich mit dem Schwanz wedelt....

  • CSDU zeigen hier abermals deutlich, dass ihnen eine wie auch immer geartete Kooperation mit der rechtsextremen AgD näher ist als etwa mit DER LINKEN. Das ist Ideologie pur. Es zeigt, wohin die Reise gehen soll: eher mit erklärten Demokratiefeinden als mit einer Partei, die zwar andere politische Einstellungen hat, jedoch keineswegs die Demokratie in Frage stellt. Wir werden über kurz oder lang eine AgD/CSDU Koalition erleben (müssen).....

    • @Perkele:

      Zumindest hat ihr Gründervater besonderen Wert darauf gelegt, daß stets alles demokratisch aussehen müsse.

  • Es gibt keinen "Fraktionszwang"

    Art. 38. ist eindeutig.

    dejure.org/gesetze/GG/38.html

    • @J. G.:

      Richtig.



      Es gibt nur eine Fraktionsdisziplin.



      Und ohne die kommt keine Partei aus, wenn ihre Abgeordneten gemeinsam etwas erreichen (und ihre Verhandlungsführer nicht systematisch blamieren) wollen.



      Da ist die politische Realität eindeutig.

      • @Tezcatlipoca:

        Wenn die Verhandlungsführer vorher Konsens herstellen was Sie verhandeln sollen gibt es danach nicht eine solche Situation

      • @Tezcatlipoca:

        Gilt das auch bei der Wahl des Bundeskanzlers ??

  • Zu den Lieblingsthemen der Frau Prof. Brosius-Gersdorf hat die CDU klare Positionen. Die stehen an zentraler Stelle in ihrem Programm und dafür ist sie gewählt worden.



    Die Verfassungsrichter werden mit großer erforderlicher Mehrheit in den beiden Parlamenten gewählt, um den Wählerwillen und das Volk zu repräsentieren. Insofern finde ich es schon recht befremdlich, wenn im 3:3:1:1-Schlüssel zwar eine im Bundestag gar nicht mehr vertretene Splitterpartei berücksichtigt wird, die zweitgrößte Fraktion und alle von ihr vertretenen Wähler aber nicht.



    "No taxation without representation" hieß es zur amerikanischen Unabhängigkeit, die mitsprachefreien Untertanen des Feudalstaates sollten eigentlich vorbei sein.

    • @Axel Berger:

      Was für eine schräge Argumentation. Die Mehrheit im Parlament kann nun einmal entscheiden, wen sie wählt. Da hat die Minderheit kein Mitspracherecht.

      Und was den "Feudalstaat" angeht: Gerade den gilt es zu vermeiden, indem der AfD möglichst keine Mitsprache eingeräumt wird.

      • @doda:

        Doch hat sie, das ist ja genau der Punkt. Die Minderheit kann, wenn sie ein Drittel erreicht, die Wahl ablehnen. Das ist ausdrücklich so gewollt.



        Und bei der Bildung der Mehrheit ist ebenso ausdrücklich jeder ordentlich gewählte Abgeordnete gleichberechtigt. Abgeordnete zweiter Klasse sieht das Grundgesetz nicht vor.

    • @Axel Berger:

      Die Richter stehen nicht für "das" "Volk", zum Glück, der Volksgerichtshof mit einem solchen Ansatz ist Geschichte.



      Sie stehen für Verfassung und Recht.



      Ich würde mir wünschen, dies von der AfD auch sagen zu können. Können Sie es?

      • @Janix:

        Der Volksbegriff des GG - 》Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt《 (Art 20 Abs.2 - ist nicht der des NS, so hat Berger auch nicht argumentiert.



        .



        》„Im Namen des Volkes“ergehen nach deutschemProzessrechtdieUrteileundBeschlüssedesBundesverfassungsgerichts(§25Abs.4BVerfGG) sowie die Urteile (nicht aber die Beschlüsse) allerordentlichen GerichteundFachgerichte [...]



        .



        Die FormelIm Namen des Volkesist Ausdruck dafür, dass dieRechtsprechungwie alleStaatsgewaltgemäßArt.20Abs.2Satz1GGvomVolkausgeht (Volkssouveränität). Die Formel bringt daher in erster Linie zum Ausdruck, dass die Richter als Vertreter desSouveränsRecht sprechen. Da ihre Entscheidung allein an das Gesetz gebunden ist (Art.97Abs. 1 GG), bedeutet sie auch, dass das Urteil dem als Gesetz formulierten Willen des Staatsvolks entspreche; sie meint aber nicht eine Abhängigkeit von der Volksmeinung(vox populi)[1], wie sie etwa in Meinungsumfragen zum Ausdruck gebracht wird.《 (Wikipedia)



        .

      • @Janix:

        Richtig, "das Volk", "die Zivilgesellschaft" und andere sind totalitäre Propagandabegriffe, die eine Scheineinigkeit vortäuschen sollen. Das Volk wird vertreten durch seine frei gewählten Abgeordneten und die entscheiden ohne Zwang, insbesondere ohne Fraktionszwang, allein nach dem Gewissen.

  • Die Union droht in die Dregger-Zeit zurückzustürzen.



    Wer wählt da die Listen und Wahlkreiskandidaten? Wer infundiert den US-Republikaner-Geist, um wie dort sozial unhaltbare Positionen durch Kulturkampf zu übertünchen?

  • Stefan Weber hat seine Vorwürfe erst am Vorabend publiziert. Der ideale Zeitpunkt um die Wahl zu crashen :-(



    Weber hat in der Tat eine Reihe identischer Textpassagen in den Arbeiten von Brosius-Gersdorf und ihrem Mann dokumentiert. Beide Arbeiten dürften teilweise zeitgleich entstanden sein.



    Weber hat sich jedoch nicht dazu geäußert - anders als die TAZ schreibt und die CDU behauptet - wer von wem abgeschrieben hat. Dies könne so oder andersum sein. Es könne auch unzulässig gemeinsam gearbeitet worden sein.

  • "In der offensichtlichen Not griff die CDU/CSU-Fraktionsführung am Freitagmorgen Vorwürfe des umstrittenen Plagiats-Jägers Stefan Weber auf, die er erst am Vorabend publiziert hatte. Danach habe Brosius-Gersdorf in ihrer Doktorarbeit an 23 Stellen bei der Habilitation ihres Mannes Hubertus Gersdorf abgeschrieben. Die Vorwürfe wirken schon deshalb konstruiert, weil die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf ein Jahr vor der Habilitation ihres Mannes veröffentlicht wurde."

    Hallo Herr Rath, haben Sie mal die Quelle gelesen? Da steht kein einziges Wort davon, dass Frau Brosius-Gersdorf von ihrem Mann abgeschrieben haben soll. Der Vorwurf existiert also nicht mal, wird aber in der taz wiederholt. Ist das moderner Journalismus, oder was habe ich da nicht verstanden?

    Hier ist die Quelle zum Nachlesen:



    plagiatsgutachten....-brosius-gersdorf/

    • @doda:

      Der Vorwurf existiert aber außerhalb dieser Quelle.

      Medien erheben den Vorwurf.

      Googeln Sie nur einfach, was die Bild dazu schreibt.

      Zudem begründen wohl auch manche CDUler_innen ihr Nein damit.

      Insofern hat Herr Rath schon recht.

      Ja, es ist moderner, guter Journalismus, nicht nur eine Primärquelle auszuwerten.

      • @rero:

        Ja, es mag sein, dass der Vorwurf ausserhalb der Quelle erhoben wird. Damit ist das, was im Artikel behauptet und trotz kurzer, einfacher Recherche hätte widerlegt werden können, aber immer noch schlichtweg falsch.

    • @doda:

      In der Tat hat Weber selbst der Darstellung/Implikation widersprochen, er hätte behauptet, Brosius-Schmid hätte bei ihrem Gatten abgeschrieben.

      Er hat ja nur gaaaanz zufällig zum opportunen Zeitpunkt gaaaaaaanz unschuldig die Ähnlichkeiten in den Arbeiten der beiden als zufälliges Beispiel ins Web gepustet. Auffällig unauffällig unkommentiert, ohne Veröffentlichungsdaten, aber auf der Titelfolie nur den Titel von Brosius-Schmids zuerst erschienener Arbeit erwähnt… Es ist doch ziemlich offensichtlich, was damit insinuiert werden soll. Selbst wenn es nicht direkt gesagt wird.

      • @Kawabunga:

        Klar ist das ganze Manöver sehr durchsichtig, ich will Weber sicher nicht in Schutz nehmen.



        Aber im Artikel steht nunmal eine Behauptung, die schlichtweg falsch ist. Und zur journalistischen Sorgfalt gehört, sich die kurze und leicht zugängliche Quelle einfach mal anzuschauen, bevor irgendwelchen Behauptungen dahergelaufener CDU-Ideologen geglaubt wird. Nur darum geht es mir.