Grüner Triumph in Nordrhein-Westfalen: Mona, die Königsmacherin
Die Grünen in NRW feiern ihren Wahlsieg ohne Übermut, dafür mit Alt und Killepitsch. Sie haben sich viel vorgenommen. Nur: mit wem?
M ona Neubaur steht am Montagmittag leicht angespannt in der Berliner Parteizentrale der Grünen. „Wir freuen uns, die Bereitschaft zur Verantwortung ins Handeln zu bringen“, sagt sie. Wer auf eine klare Ansage gehofft hat, mit wem die Grünen nach ihrem guten Abschneiden bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen künftig koalieren wollen, wird enttäuscht. Schwarz-Grün oder eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP?
Die Grünen stehen für Gespräche mit allen demokratischen Parteien bereit, sagt Neubaur nur. Bei der Wahl hatte die regierende CDU zugelegt, die mitregierende FDP und die oppositionelle SPD haben stark verloren. „Für uns gibt es auch mit diesem Wahlergebnis keine Automatismen“, sagt Neubaur gleichwohl.
Allerdings muss man schon sehr lange suchen, um einen politischen Beobachter zu finden, der nicht von einer künftigen Koalition aus CDU und Grünen in Düsseldorf ausgeht. Zumal die FDP nicht gerade nach einem Ampel-Bündnis strebt: Deren Spitzenkandidat Joachim Stamp sagt, er rechne „nicht mit einem Anruf“.
Felix Banaszak, Co-Chef der NRW-Grünen
Am Abend vorher hat die grüne Spitzenkandidatin den Düsseldorfer Landtag nach einem Marathon durch Fernsehstudios und Statements in unzählige Mikrofone kurz nach 21 Uhr verlassen. Kurz zuvor ist auch der SPD-Wahlverlierer Thomas Kutschaty zusammen mit drei Männern dem Ort seiner Niederlage entflohen. Die Enttäuschung steht ihm im Gesicht.
Mona Neubaur dagegen kommt mit großem Gefolge und ist in bester Stimmung. Sie bleibt bei einer Gruppe von Service- und Sicherheitskräften des Landtags stehen, bedankt sich bei ihnen für ihre Arbeit und lässt sie geduldig Erinnerungsselfies mit ihr schießen. Das lockt weitere Fotografen an, die in der Nähe stehen. Neubaur blickt selbstbewusst und in aufrechter Haltung in die Kameras, sie weiß sich zu präsentieren. Sie lächelt, aber sie triumphiert nicht.
Wie ein Gruß aus der Vergangenheit kommt in diesem Moment der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Ex-CDU-Vorsitzende Armin Laschet in hellem Sommeranzug aus dem Landtag. Der Wahlgewinner von 2017 und die Wahlgewinnerin von 2021 geben sich freundlich die Hand. Für Laschet ist es vorbei, für Neubaur fängt es jetzt erst richtig an. Was ganz genau, weiß man noch nicht.
Die 44-Jährige wird an diesem Abend behandelt wie ein Popstar. Auf den wenigen hundert Metern vom Landtag bis zur grünen Wahlparty in Roncalli’s Apollo Varieté unter der Kniebrücke wollen immer wieder Leute mit ihr eine Handyfoto machen. Neubaur zeigt keine Allüren. Freundlich bedankt sie sich auch bei dem Sicherheitsmann an der Absperrung vor dem Platz. Ganz leicht hört man ihrer Stimme an, dass diese Frau nicht im Rheinland aufgewachsen ist, sondern in Süddeutschland.
Von Bayern nach Düsseldorf
Geboren wird Mona Neubaur 1977 in Pöttmes in Bayern, nördlich von München und Augsburg im Schwäbischen gelegen. Die Mutter arbeitet als Krankenschwester, der Vater, ein gelernter Kunstschmied, ist des sicheren Einkommens wegen Justizbeamter geworden. Nach dem Abitur will Mona Neubaur raus. Eigentlich nach Köln, doch dann wird es Düsseldorf. Neubaur, die heute gerne mit mit viel Liebe über Senfsorten und rheinisches Altbier fachsimpelt, studiert Pädagogik, macht 2003 ihren Abschluss an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.
Schon als Studentin steigt die junge Frau beim Ökostromanbieter Naturstrom ein, arbeitete dort an der Hotline, später in der PR-Abteilung. Von dort wechselt sie als Referentin für Klima und Umwelt zur grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. „Die Stellenanzeige habe ich in der taz gefunden“, erinnert sie sich. 2010 steigt sie zur Geschäftsführerin auf.
Mitglied der Grünen ist Neubaur seit 1999. Im Jahr 2007 wird sie Sprecherin des Kreisverbands. Der Sprung an die Parteispitze erfolgt 2014. Im Stadtrat oder Landtag saß sie bislang nicht. Bewusst habe sie sich zunächst für die Partei entschieden, sagt die grüne Landeschefin, die sich selbst als „Unterwegspolitikerin“ beschreibt. Zuerst teilt sie sich den Vorsitz mit dem heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfamilienministerium Sven Lehmann, seit 2018 mit Felix Banaszak.
Am Wahlabend bleibt Banaszak bei den feiernden Mitgliedern unter der Kniebrücke, Neubaur ist nach wenigen ersten Sätzen nach der Prognose in den Landtag gegangen. Die beiden haben eine klare Arbeitsteilung. Banaszak sitzt seit 2021 im Bundestag. „Heute und morgen sind die falschen Tage, um irgendetwas auszuschließen“, sagt er zu einer möglichen Regierungbildung.
Die Stimmung auf der Wahlparty ist gut, aber nicht ausgelassen oder gar übermütig. „Westfälische Freude“, nennt der Ruhrgebietler Banaszak das. „Wir haben Respekt vor der Verantwortung.“ Über seine persönlichen Vorstellungen einer möglichen Koalitionen möchte er partout nicht reden: „Wenn ich eine Vorliebe hätte, würde ich es nicht sagen.“ Aus Sicht der Grünen hat es sich ausgezahlt, dass sich die Partei als eigene Kraft präsentiert hat und nicht etwa als Mehrheitsbeschafferin für die Sozialdemokraten. Hinzu kommt der Rückenwind aus Berlin, von den beliebten Minister Baerbock und Habeck, die auch in NRW um Längen bekannter sind als Mona Neubaur.
Die Funktionär:innen der Partei geben sich an diesem Abend ganz besonders diszipliniert, niemand schert aus. Es wirkt, als hätte jemand ein Glossar mit Formulierungen erstellt, das alle Anwesenden auswendig gelernt haben. Nun denn: In Nordrhein-Westfalen soll die erste klimaneutrale Industrieregion entstehen, beim Umbau der Gesellschaft müsse das Soziale mit bedacht werden, man müsse jetzt herausfinden, mit wem was am meisten geht, so heißt es immer wieder. Rote Linien will niemand ziehen und nein, man könne nicht sagen, mit welchem Koalitionspartner das am besten geht, was man will.
Schon gar nicht möchte sich jemand zu Personalfragen äußern. Ungewiss, wer Minister:in werden könnte und wer die künftige Fraktionsspitze bilden wird. „Heute ist nicht der Tag, darüber nachzudenken“, sagt Josefine Paul auf die Frage, ob sie gemeinsam mit Verena Schäffer Fraktionsvorsitzende bleiben will. Auch ihre Einschätzung des Wahlergebnises klingt nach Glossar: „Das Ergebnis zeigt, dass die Menschen uns zutrauen, dass wir Konzepte haben und sie umsetzen können.“
Die Grünen sind an diesem Wahlabend die einzige Partei, die in unmittelbarer Nähe des Landtags feiert. Als am Nachmittag die letzten Zuschauer:innen die Vorstellung von „Aloha Baby“ verlassen, haben fleißige Parteiarbeiter auf dem Rasen vor dem Apollo-Theater schon ihre Wahlparty vorbereitet: eine kleine runde Bühne mit der Aufschrift „Von hier aus grün“ und ein kleines Zelt mit dem Parteilogo.
Das Thermometer zeigt 27 Grad, es haben sich 300 Parteimitglieder angemeldet, das Sicherheitsbedürfnis wegen Corona ist immer noch hoch. Deshalb wird draußen gefeiert. Das Ambiente auf der grünen Wiese neben gestutzten Bäumen und Parteifahnen mit Blick auf den Rhein passt ohnehin besser als das Foyer, in dem die Farbe Rot dominiert. Grün sind dort nur die Stängel der roten Nelken in den Vasen auf den Tischen und die Getränkekarte. Es gibt Frankenheim Alt vom Fass und als Digestiv „Killepitsch“, einen Düsseldorfer Kräuterlikör, dessen Name der Legende nach im Zweiten Weltkrieg in einem Luftschutzbunker entstanden ist.
Viele rechnen mit Schwarz-Grün
Viele Grüne rechnen schon nach den ersten Prognosen fest mit Schwarz-Grün, auch wenn die Funktionär:innen sich noch alles offen halten. Zwar müssten „nach dem historischen Wahlabend erst einmal alle ausnüchtern“, sagt der Landtagsabgeordnete Stefan Engstfeld, der in Neubaurs Kreisverband Düsseldorf die Partei führt. Faktisch habe FDP-Vizepräsident Joachim Stamp eine Ampel mit seiner Weissagung, die CDU werde „für den Ministerpräsidentenposten im Zweifelsfall sämtliche Inhalte preisgeben“, doch bereits ausgeschlossen.
Nicht zufällig hätten sich die Grünen der Stadt Düsseldorf nach sechs Jahren Ampel bewusst für Schwarz-Grün entschieden. Beim Klimaschutz, beim Radwegebau laufe es mit den Christdemokrat:innen einfach besser, findet Engstfeld. Eine tolerante, weltoffene Politik sei mit denen auch möglich: „Die Regenbogenfahne zum Christopher Street Day am Rathaus hisst CDU-Oberbürgermeister Stephan Keller persönlich“, sagt Engstfeld.
Bis 2017 regierte im Land mit Unterstützung der Grünen SPD-Regierungschefin Hannelore Kraft. Damals hetzten Christdemokrat:innen und Liberale gegen die suboptimal kommunizierte „Inklusion“, gegen die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Handicap in die Regelschulen, die ein Hauptanliegen der grünen Vize-Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann war. Bei der Landtagswahl kassierten die Grünen eine bittere Niederlage, stürzten auf miserable 6,4 Prozent ab.
Neubaurs Blick auf die politische Konkurrenz ist distanziert: „Es ist egal, ob CDU, SPD oder FDP mit am Verhandlungstisch sitzen“, warnte sie ihre Parteifreund:innen schon bei der Aufstellung der Landeswahlliste im Dezember – „jeder Millimeter muss hart erkämpft werden“. Um Sondierungsgespräche zu beginnen, warteten die Grünen am Montag erst einmal auf eine „formelle Einladung“ des zweiten Wahlsiegers, der CDU. Doch klar ist: Einfach werden die Verhandlungen mit den Christdemokrat:innen von Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht.
Hohe Hürden im Programm
Eine „Solarpflicht“ für alle Gewerbegebäude und Neubauten hat der Mann in der Staatskanzlei bisher ebenso ausgeschlossen wie ein Ende der Tausend-Meter-Abstandsregelung zwischen Windrädern und Wohnbebauung. Für die Grünen war Klimaschutz, ein „Booster für die Erneuerbaren“, dagegen Wahlkampfthema Nummer eins. Für die Windkraft wollen sie zwei Prozent der Landesfläche zur Verfügung stellen – auch wenn sich das „Panorama“ Nordrhein-Westfalens dadurch massiv verändere, wie Neubaur einräumt.
Schwierig bleibt auch das Thema Verkehr: Der grüne Verkehrsexperte Arndt Klocke will keine neuen Landesstraßen mehr bauen. Hendrik Wüst dagegen, der selbst Verkehrsminister war, dürfte ein Aus für immer neue Ortsumgehungen Bauchschmerzen bereiten – schließlich sichern deren Einweihungen nicht nur schöne Bilder von Bürgermeister:innen im Sauerland oder am Niederrhein. Konflikte mit CDU-Hardliner:innen drohen auch bei der erwünschten „humanitären Flüchtlingspolitik“. Und schließlich könnte der propagierte Kampf gegen den Flächenfraß Wüst schwerfallen: Bedroht sind dadurch auch die nicht nur bei seiner Klientel beliebten Neubaugebiete.
Das Machtzentrum der Grünen hat sich nach der Wahlniederlage von 2017 von der Fraktion in die Partei verschoben – auch das erklärt Neubaurs großen Handlungsspielraum. Die erste Reihe von damals ist fast komplett verschwunden. Die ehemalige Schulminister Löhrmann verzichtete auf ihr Landtagsmandat. Die frühere grüne Gesundheitsministerin Barbara Steffens wechselte zur Techniker Krankenkasse. Nur der frühere Umweltminister Johannes Remmel ist noch im Landtag geblieben. Wie viele andere altgediente Abgeordnete scheidet er jetzt aus. Die künftige Fraktion wird viele neue Gesichter haben.
Eine der Neuen ist Antje Grothus. Sie gilt als ein Urgestein der Umweltbewegung im rheinischen Braunkohlerevier und engagiert sich seit Langem in der Bürgerinitiative Buirer für Buir. Grothus kämpft für eine Ende des Braunkohleabbaus und den Erhalt der Dörfer, die den Baggern zum Opfer fallen sollen. Sie hat den sogenannten Kohlekompromiss mit ausgehandelt und dort die vom Braunkohleabbau betroffenen Bürger:innen vertreten. Erst im letzten Jahr ist sie den Grünen beigetreten. Im Landtag will sich Grothus für den Strukturwandel einsetzen. Sie will, dass die Verteilung des Geldes transparenter wird. „Wir brauchen eine Verankerung in den Regionen und eine Beteiligung der Zivilgesellschaft“, sagt sie.
Der Ausstieg aus der Braunkohle bleibt ein großes Thema, es ist das größte Symbol grüner Klimaschutzpolitik. Wüst hat das Thema schon im Wahlkampf abgeräumt. Wie auch Thomas Kutschaty von der SPD erklärte er sich zu einem Ende der Förderung im Rheinischen Revier rund um die Tagebaue Hambach, Garzweiler und Inden bis zum Jahr 2030 bereit. Bei ihrem Fernsehduell kurz vor der Wahl wurden beide gefragt, was sie von einer zentralen Forderung des grünen Wahlprogramms halten: „Kohleausstieg bis 2030 – die Dörfer im Rheinischen Revier bleiben“. Da ging bei beiden der Daumen nach oben.
Antje Grothus traut dem Braten nicht. „Das sagen sie in Talkshows“, sagt sie. „Aber das wird kein Selbstläufer.“
Die Grünen wollen in der Braunkohlefrage hart bleiben. „Wir werden nicht einknicken“, sagt Neubaur dazu. Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist sie aber gesprächsbereit. „Um russisches Gas möglichst schnell zu ersetzen, können wir uns vorstellen, in den kommenden ein bis drei Jahren Kohlekraftwerke in eine Sicherheitsreserve zu setzen“, lautet ihr Formelkompromiss.
Die neue grüne Landtagsfraktion wird mit 39 Mitgliedern so groß wie nie, bislang hatte sie 14. Erstmalig gewannen die Grünen auch sieben Direktmandate: vier in Köln, zwei in Münster und eins in Aachen. Heraus ragt dabei das Ergebnis von Fraktionsvize Arndt Klocke, der der SPD ihren Kölner Wahlkreis mit über 41 Prozent abnahm und die politische Konkurrenz – darunter auch Wüsts Staatskanzleichef Nathanael Liminski – geradezu deklassierte. Der Lebenspartner Sven Lehmanns, des Queerbeauftragten der Bundesregierung, wird als heißer Kandidat für einen Ministerposten gehandelt.
Als Neubaur und ihre Begleiter:innen am Sonntagabend endlich bei der Wahlparty ankommen, wird sie schon von einer Mitarbeiterin erwartet, die vorsorglich ein alkoholfreies Bier für sie besorgt hat. Wieder bedankt sie sich. Ein Mann kommt auf sie zu „Gratuliere“, sagt er. Eine Gruppe junger Männer ist gerade angekommen, sie winken ihr begeistert zu. Als Neubaur zur Bühne geht, jubeln und klatschen die vielen Menschen. „Mona! Mona!“ rufen sie. Neubaur steht auf der Bühne und applaudiert in Richtung des Publikums. Ohne die vielen Parteimitglieder, ob seit 42 Jahren dabei oder seit acht Wochen, wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen, sagt sie, hebt ihr alkoholfreies Bier und ruft: „Danke! Danke! Danke!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe