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Grünen-Politikerin Annalena BaerbockKanzlerkandidatin trotz Lebenslauf

Hat die Kanzlerkandidatin ungenaue Daten zu Uniabschlüssen gemacht, oder gar falsche Mitgliedschaften angegeben? Lesen Sie hier den Überblick.

Lebenslauf hin oder her – 98,55 Prozent ihrer Partei wählten sie zur Kanzlerkandidatin Foto: dpa

Berlin taz | Für die Grünen läuft’s gerade nicht so. Nach der souveränen Nominierung und Bestätigung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen und dem kurzen Höhenflug der Partei sinken die Umfragewerte wieder. Neben der verspäteten Meldung von Partei-Sonderzahlungen an die Bundestagsverwaltung dürften auch Baerbocks ungenaue Angaben in ihrem Lebenslauf nicht ganz unschuldig daran sein.

Die Grünen-Kanzlerkandidatin steht seit Tagen für vermeintliche Beschönigungen ihrer Vita in der Kritik. Aber was genau hat Baerbock eigentlich angegeben – und was wurde korrigiert?

Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin

Annalena Baerbock wurde am Samstag auf dem Grünen-Parteitag mit überwältigender Mehrheit als erste grüne Kanzlerkandidatin bestätigt. Zugleich bekräftigten 678 von 688 Online-Delegierten am Samstag die Rolle der beiden Parteichefs Baerbock und Robert Habeck als Wahlkampf-Spitzenduo – das entspricht 98,55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Über beide Punkte entschieden die Delegierten in einer einzigen Abstimmung.

In sozialen Netzwerken kursieren dazu viele Vorwürfe, viele davon sind falsch. Tatsächlich tauchten jedoch an verschiedenen Stellen im Netz ungenaue und falsche Angaben zu Baerbocks Lebenslauf auf, die inzwischen korrigiert wurden. Im Kern ging es um drei Angaben: zu Baerbocks akademischer Laufbahn, zu ihren Mitgliedschaften und ihrem Arbeitsort während einer Tätigkeit für die damalige Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter.

Im Mai verwies die Süddeutsche Zeitung in einer Selbstkorrektur darauf, dass Baerbock – anders als vorher angegeben – keinen Bachelorabschluss habe. Daraufhin wurde auch der Lebenslauf auf Baerbocks Webseite präzisiert. Vorher hieß es noch, Baerbock habe von 2000 bis 2004 „Politikwissenschaften“ und „öffentliches Recht“ in Hamburg studiert, ohne dass näher auf den Abschluss eingegangen wurde. Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte einen Bachelorabschluss auf ihrer Webseite vermerkt.

Vordiplom ist kein Bachelor

In der neuen Version ihres Lebenslaufs wurde explizit ergänzt, dass sie in Hamburg nur ein „Vordiplom“ erworben und öffentliches Recht lediglich im „Nebenfach“ studiert habe. Ein Vordiplom ist nicht gleichwertig mit einem Bachelorabschluss, sondern gar kein Abschluss.

Aber um ein Masterstudium an der London School of Economics zu beginnen, reichte es damals. In Bezug auf dieses Masterstudium wurde auch ein anderer Aspekt überarbeitet: Während vorher angegeben war, dass sie einen Masterabschluss in „Völkerrecht“ an der LSE erworben habe, wurde das Fach nun als „Public International Law“ bezeichnet. „Völkerrecht“ ist hierfür eine gängige Übersetzung. Außerdem wurde der englische Titel des Abschlusses ergänzt: „Abschluss: Master of Laws (LL.M.)“.

Weil im Netz unter dem Hashtag „Studieren wie Baerbock“ vielfach angezweifelt wurde, dass sie überhaupt studiert habe, postete Grünen-Sprecher Andreas Kappler sogar ihr Zeugnis auf Twitter. Übrigens darf sich Baerbock auch Völkerrechtlerin nennen. Juristin ist sie aber nicht, denn dafür wäre mindestens ein juristisches Staatsexamen notwendig gewesen. Das behauptet Baerbock aber auch gar nicht.

Am 4. Juni machte der FAZ-Journalist Philip Plickert in einem Tweet auf Unstimmigkeiten in anderen Bereichen von Baerbocks Lebenslauf aufmerksam. Plickert kritisierte, dass Baerbock kein Mitglied des German Marshall Funds war, sondern nur Alumna eines Fellowship Programms des Funds sei.

Mitgliedschaft beim UNHCR? Nein.

Außerdem sei die von Baerbock angegebene Mitgliedschaft im Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gar nicht möglich. Und er verwies darauf, dass Baerbock auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung nicht als Mitglied des Beirates Transatlantik/Europa aufgeführt sei, obwohl sie es angegeben habe.

Auch hier justierte Baerbock nach: Der vorher mit „Mitgliedschaften“ überschriebene Teil ihres Lebenslaufs wurde in „Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung“ umbenannt. Zum Beirat der Böll-Stiftung wurde in der aktualisierten Version vermerkt, dass sie bereits „ausgeschieden“ sei.

Die Angabe zum German Marshall Fund wurde korrigiert. Statt dem UNHCR wird in der Rubrik nun die UNO-Flüchtlingshilfe angegeben. Dieser Verein ist der deutsche Spendenpartner des UNHCR. Laut Tagesschau sagte ein Grünen-Sprecher, Baerbock spende seit 2013 regelmäßig an die Organisation.

Die Welt ist einige Tage später noch auf einen weiteren Aspekt gestoßen. Auf der Webseite der Grünen wurde „Brüssel“ als Einsatzort während einer Tätigkeit Baerbocks von 2005 bis 2008 für die damalige grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter angegeben. Eigentlich leitete Baerbock jedoch bis August 2007 die Büros in Berlin und Potsdam. Erst danach war sie in Brüssel und Straßburg tätig. Die Grünen reagierten und strichen die Ortsangabe.

Jetzt stimmt alles, sagt Baerbock

Was von diesen Ungenauigkeiten zu halten ist, muss jeder und jede selbst entscheiden. Baerbock hat sich jedenfalls mehrfach entschuldigt und beteuert, es habe sich nicht um willentliche Beschönigungen gehandelt.

Am Donnerstagabend sagte sie in der ARD-Sendung Farbe bekennen: „Ich habe da offensichtlich einen Fehler gemacht und das tut mir sehr, sehr leid, weil es ja eigentlich in diesen Momenten um große andere Fragen gerade in unserem Land geht.“ Außerdem versicherte Baerbock, es seien keine weiteren Änderungen ihres Lebenslaufs notwendig.

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18 Kommentare

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  • Eigentlich müßte ich amüsiert sein, über den Aufschrei über den geschönten Lebenslauf von Frau Baerbock. Ganz besonders dann, wenn ich mir anschaue, was Herr Laschet sich bereits alles „geleistet“ hat:

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    9. Schließung der Energie-Agentur



    10. Auflösung der Stabstelle Umweltkriminalität



    Habe ich was vergessen?

  • Die gleiche Sendung mit Olaf Scholz. Keine/r fragt ihn nach Wirecard oder Warburg Bank und seine diesbzüglichen Gedächtnislücken. Ich will hier nichts beschönigen, aber die Gewichtung finde ich bemerkenswert

  • Vom Volk werden letztendlich Parteien gewählt - und keine Kanzler.

    Insofern ist das letztlich zweitrangig ob nun Annalena oder Robert den Kanzler machen, entscheidend ist doch, dass unsere langfristigen Probleme mal ordentlich abgearbeitet werden - und wenn man das möchte, muss man wohl Grün wählen und keine der anderen Mogelpackungen, Lobbyisten, Besitzstandswahrer, Schamlosigkeiten... etc.

    Dass das den Jungs hier im Forum nicht schmeckt, schon wieder von einer Frau regiert zu werden und Putin auch nicht, weil dem Bürgerrechte a. A. vorbeigehen kann man hier schön nachlesen - dürfte aber nicht entscheidend sein.

    Der Wähler ist vernunftbegabter als viele denken.

  • "Juristin ist sie aber nicht, denn dafür wäre mindestens ein juristisches Staatsexamen notwendig gewesen."

    Auch wenn es von Absolveten der deutschen Staatsexamina immer wieder gerne beahuptet wird, ist dem nicht so:

    1. Ist "Jurist" (anders als z.B. "Rechtsanwalt") keine geschütze Berufsbezeichnung, und

    2. ist ein LL.M. ein juristischer Abschluss.

    de.wikipedia.org/wiki/Jurist

  • Sie ist 40 Jahre alt, gibt nur 4 Jahre Berufstätigkeit an (Tätigkeiten in Abgeordnetenbüros): Die übrigen Jahre hat sie wovon gelebt? Wer hat ihr sehr teures, 1-jähriges Masterstudium in London finanziert?

    Warum hat sie - als Spitzenkandidatin - letzte Woche die anti-ökologische Wahlkampagne der CDU gegen die "grüne Verbotspartei" nicht gekontert? Mit ihrer anti-ökologischen Kampagne hat die CDU die Stimmung gedreht.

  • Da fragt die Feministin in mir: Würden die gleichen Ungenauigkeiten bei einem männlichen Bewerber genauso scharf kritisiert?

    Oder steckt da nicht doch das Phänomen dahinter, dass Frauen als Kandidatinnen nicht zu ambitioniert sein dürfen, aber auch nicht zu wenig, nicht zu jung, nicht zu alt, nicht zu hübsch, nicht zu hässlich, nicht zu dick, nicht zu dünn... Sprich, dass sie es per definitionem niemensch recht machen können, eben weil sie Frauen sind?



    leftycartoons.com/...an-in-the-primary/

    • @Smaragd:

      Sie hat halt gelogen, und die Medien haben es thematisiert. Lügen tun sie doch alle mehr oder weniger, nur was die Medien daraus machen ist der Unterschied. Aber heutzutage beenden Lügen doch kaum noch Karrieren (Spahn, Kurz, Scheuer, Giffey), es sei denn... man hat die Medien gegen sich.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Smaragd:

      Habe mal überlegt, wer überhaupt ein guter Redner bzw. Rednerin ist.



      Auf jeden Fall jemand, der frei vortragen kann, die Gestik nicht übertrieben oder eingeübt wirkt und argumentativ klar und deutlich überzeugen kann.

      Als erstes fällt mir H. Riesenhuber ein, ehemaliger Forschungsminister. Ich habe den live erlebt - standing ovations!



      Gut, die Redekunst ist nicht jedem gegeben.

      Als zweites fällt mir der Schauspieler K.M. Brandauer ein. Eine Rede war das nicht sondern eine kurze Erzählung seines Lebens. Das hat mich total vom Hocker gerissen - standing ovations bei 3 nach Neun!

      Bei den Politikern auf jeden Fall auch Gregor Gysi! Die gestrige Rede von R. Habeck war auch ziemlich gut.

      Natürlich gibt es auch gute Rednerinnen wie etwa S. Wagenknecht, oder auch Jutta Dittfurth, die kaum noch eingeladen wird.



      Ebenso ist Monika Grütters eine exzellente Rednerin.

  • Grünen-Politikerin Annalena Baerbock: Kanzlerkandidatin trotz Lebenslauf

    Wenn irgendjemand zu seiner Bewerbung auf ein Stellenangebot einen Lebenslauf anfügt und dieser dann 12 mal oder öfters wegen "Ungenauigkeuten" ausgebessert werden muss, wird derjenige entweder fristlos entlassen oder gar nicht erst angenommen.



    Darüber sollte man auch einmal nachdenken.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    " – das entspricht 98,55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Über beide Punkte entschieden die Delegierten in einer einzigen Abstimmung."



    Woran erinnert mich das? RINGELNATZ1, bitte übernehmen Sie.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Mach ick!



      Annalena, Annalena hat immer Recht!



      ;-)

  • Seltsam. Ich erinnere mich, dass es an der Uni Hamburg vor der Einführung des Bachelor- und Master-Systems durchaus die Möglichkeit gab, einen Bachelor zu machen.

    Man ging dann tatsächlich nach der Zwischenprüfung des Grundstudiums, musste aber noch eine Bachelorarbeit verfassen.

    Das nannte sich auch Bachelor und war ein Weg, der von Professoren oder Dozenten aufgezeigt wurde, wenn jemand schneller in die Arbeitswelt wollte oder im Studium nicht zurechtkam.

    Von der Prüfungsordnung her überblicke ich das nicht, ich habe diesen Weg selber nicht beschritten, aber eine Freundin von mir, mit der ich damals viel über diese Entscheidung ihrerseits gesprochen habe.

    Insofern: Völlig ausgeschlossen ist der Bachelor bei Baerbock an der Stelle nicht. Aber wenn sie es eingeräumt hat, dass es doch nur das Vordiplom war, dann wird es jetzt wohl stimmen.

    • @nfantilla:

      Wie Sie richtig schreiben: sie hat es zugegeben, dass sie nur ein Vordiplom hat. Also was soll dann ihre ganzes Sinnieren, ob es vielleicht doch ein Bachelor war?

  • Sehr interessant wie welt, n-tv,phönix reagieren. Nichts Neues im..TV.



    Ich fand die Rede v. A. B. nicht schlecht.



    Nachdem ich letztens Olaf( Wirecard )Scholz bei Maischberger noch mal erlebt habe und als Ostdeutscher auch keinen Karnevalsprinzen als BK sehen möchte, könnte es doch Annalena Baerbock wagen. Wa!



    Also, zwischen ihr und Franziska(Potemkina*)Giffey ist schon noch ein Unterschied!



    * de.wikipedia.org/w...n_Kol%C3%ADn_2.jpg

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @Ringelnatz1:

      Die Rede war eine Wiederholung ihrer antrittsbewerbung und Zusammenfassung mit Habecks reden bei anderen Parteitagen…. Also nichts neues. Die Sache mit dem Lebenslauf war eher platziert, damit sie sich aus einer kleinen Delle heraus nach vorne reden kann, so geschehen heute

      • @92293 (Profil gelöscht):

        In erster Linie hat Annalena Bearbock sich selbst geschadet. Wenn ich mir so manche aktive oder erst seit kürzerer Zeit inaktive Politiker betrachte, dann finde ich Häme gegenüber der grünen Kanzlerkandidatin nicht nur fehl am Platze, sondern reichlich überheblich. Wenn sie genug untersucht und abgekanzelt ist, sollte man sich einmal überlegen, wie die eben erwähnten anderen Politiker überhaupt soweit kommen konnten, wo sie derzeit sind und heute immer noch an ihren Sesseln kleben. Welche fachlich zielführenden Qualifikationen hatten sie, wenn sie so 'hopplahopp' bei Bedarf mal eben den Ministersessel wechselten?



        Anderen mit Wonne und Häme Fehler der Vergangenheit um die Ohren zu hauen, wenn sie damit öffentlich(!) klarzukommen haben, das finde ich (allgemein gesagt) schäbig. Ich finde, ihre aktuelle Arbeit und Teamarbeit ist ziemlich gut. Wir und auch die Medien sollten die Kirche im Dorf lassen und uns nicht nur der Gegenwart sondern endlich der Zukunft zuwenden und uns - vor allem ökologisch - überlegen, wohin und womit uns eine künftige Regierung führen könnte. Vor allem mit einem unkalkulierbaren 'Weiter so' trotz vollmundiger Wahlversprechen! Mit demselben Personal? Dann fangen sie einfach mal an, mit derselben Akribie in deren Vergangenheit zu wühlen. Fehler bleibt Fehler. Damit muss sie umgehen. Tut sie auch. Und aus Fehlern lernt man. Der größte Fehler wäre, sie zu wiederholen. Die Gefahr sehe ich aber nicht...

  • Dann ist ja alles gut. Vielleicht sind es alles nur Peanuts, aber eine tolle Vita ist es nun auch nicht mehr, das letzte bisschen Glanz ist weg. Die Sache mit der angeblichen Büroleitung in Brüssel war im übrigen die frechste Aufhübschung, weil damit eine mehrjährige Leitungstätigkeit suggeriert wurde. Naja, für Menschen mit hart erarbeiteten Abschlüssen und mühsam erkämpften Posten ist so jemand nicht wählbar, egal wie sehr sie sich entschuldigt.

  • Baerbock hat auf die Kritik sehr souverän, selbstkritisch und nervenstark reagieret und verdient dafür Anerkennung.