Grünen-Politikerin Annalena Baerbock: Kanzlerkandidatin trotz Lebenslauf
Hat die Kanzlerkandidatin ungenaue Daten zu Uniabschlüssen gemacht, oder gar falsche Mitgliedschaften angegeben? Lesen Sie hier den Überblick.
Die Grünen-Kanzlerkandidatin steht seit Tagen für vermeintliche Beschönigungen ihrer Vita in der Kritik. Aber was genau hat Baerbock eigentlich angegeben – und was wurde korrigiert?
Annalena Baerbock wurde am Samstag auf dem Grünen-Parteitag mit überwältigender Mehrheit als erste grüne Kanzlerkandidatin bestätigt. Zugleich bekräftigten 678 von 688 Online-Delegierten am Samstag die Rolle der beiden Parteichefs Baerbock und Robert Habeck als Wahlkampf-Spitzenduo – das entspricht 98,55 Prozent der abgegebenen Stimmen. Über beide Punkte entschieden die Delegierten in einer einzigen Abstimmung.
In sozialen Netzwerken kursieren dazu viele Vorwürfe, viele davon sind falsch. Tatsächlich tauchten jedoch an verschiedenen Stellen im Netz ungenaue und falsche Angaben zu Baerbocks Lebenslauf auf, die inzwischen korrigiert wurden. Im Kern ging es um drei Angaben: zu Baerbocks akademischer Laufbahn, zu ihren Mitgliedschaften und ihrem Arbeitsort während einer Tätigkeit für die damalige Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter.
Im Mai verwies die Süddeutsche Zeitung in einer Selbstkorrektur darauf, dass Baerbock – anders als vorher angegeben – keinen Bachelorabschluss habe. Daraufhin wurde auch der Lebenslauf auf Baerbocks Webseite präzisiert. Vorher hieß es noch, Baerbock habe von 2000 bis 2004 „Politikwissenschaften“ und „öffentliches Recht“ in Hamburg studiert, ohne dass näher auf den Abschluss eingegangen wurde. Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte einen Bachelorabschluss auf ihrer Webseite vermerkt.
Vordiplom ist kein Bachelor
In der neuen Version ihres Lebenslaufs wurde explizit ergänzt, dass sie in Hamburg nur ein „Vordiplom“ erworben und öffentliches Recht lediglich im „Nebenfach“ studiert habe. Ein Vordiplom ist nicht gleichwertig mit einem Bachelorabschluss, sondern gar kein Abschluss.
Aber um ein Masterstudium an der London School of Economics zu beginnen, reichte es damals. In Bezug auf dieses Masterstudium wurde auch ein anderer Aspekt überarbeitet: Während vorher angegeben war, dass sie einen Masterabschluss in „Völkerrecht“ an der LSE erworben habe, wurde das Fach nun als „Public International Law“ bezeichnet. „Völkerrecht“ ist hierfür eine gängige Übersetzung. Außerdem wurde der englische Titel des Abschlusses ergänzt: „Abschluss: Master of Laws (LL.M.)“.
Weil im Netz unter dem Hashtag „Studieren wie Baerbock“ vielfach angezweifelt wurde, dass sie überhaupt studiert habe, postete Grünen-Sprecher Andreas Kappler sogar ihr Zeugnis auf Twitter. Übrigens darf sich Baerbock auch Völkerrechtlerin nennen. Juristin ist sie aber nicht, denn dafür wäre mindestens ein juristisches Staatsexamen notwendig gewesen. Das behauptet Baerbock aber auch gar nicht.
Am 4. Juni machte der FAZ-Journalist Philip Plickert in einem Tweet auf Unstimmigkeiten in anderen Bereichen von Baerbocks Lebenslauf aufmerksam. Plickert kritisierte, dass Baerbock kein Mitglied des German Marshall Funds war, sondern nur Alumna eines Fellowship Programms des Funds sei.
Mitgliedschaft beim UNHCR? Nein.
Außerdem sei die von Baerbock angegebene Mitgliedschaft im Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gar nicht möglich. Und er verwies darauf, dass Baerbock auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung nicht als Mitglied des Beirates Transatlantik/Europa aufgeführt sei, obwohl sie es angegeben habe.
Auch hier justierte Baerbock nach: Der vorher mit „Mitgliedschaften“ überschriebene Teil ihres Lebenslaufs wurde in „Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung“ umbenannt. Zum Beirat der Böll-Stiftung wurde in der aktualisierten Version vermerkt, dass sie bereits „ausgeschieden“ sei.
Die Angabe zum German Marshall Fund wurde korrigiert. Statt dem UNHCR wird in der Rubrik nun die UNO-Flüchtlingshilfe angegeben. Dieser Verein ist der deutsche Spendenpartner des UNHCR. Laut Tagesschau sagte ein Grünen-Sprecher, Baerbock spende seit 2013 regelmäßig an die Organisation.
Die Welt ist einige Tage später noch auf einen weiteren Aspekt gestoßen. Auf der Webseite der Grünen wurde „Brüssel“ als Einsatzort während einer Tätigkeit Baerbocks von 2005 bis 2008 für die damalige grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter angegeben. Eigentlich leitete Baerbock jedoch bis August 2007 die Büros in Berlin und Potsdam. Erst danach war sie in Brüssel und Straßburg tätig. Die Grünen reagierten und strichen die Ortsangabe.
Jetzt stimmt alles, sagt Baerbock
Was von diesen Ungenauigkeiten zu halten ist, muss jeder und jede selbst entscheiden. Baerbock hat sich jedenfalls mehrfach entschuldigt und beteuert, es habe sich nicht um willentliche Beschönigungen gehandelt.
Am Donnerstagabend sagte sie in der ARD-Sendung Farbe bekennen: „Ich habe da offensichtlich einen Fehler gemacht und das tut mir sehr, sehr leid, weil es ja eigentlich in diesen Momenten um große andere Fragen gerade in unserem Land geht.“ Außerdem versicherte Baerbock, es seien keine weiteren Änderungen ihres Lebenslaufs notwendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku