Grünen-Parteitag zur Coronakrise: Uneins über Reichensteuer
Die Grünen-Spitze will am liebsten nicht über Steuern sprechen. Doch vor dem Parteitag werden Forderungen nach einer Vermögensabgabe laut.
In Andresens Antragstext, der der taz vorliegt, heißt es: „Um die sozialen Folgen der Krise abzumildern, die Krisenkosten fair aufzuteilen und um die EU zusammenzuhalten, schlagen wir eine europäische Vermögensabgabe vor.“ Während immer mehr EuropäerInnen vor existenziellen Fragen stünden, blieben die Vermögen der reichsten ein Prozent in der EU hoch. „Wenn die Folgen von Corona diese Spaltung weiter verschärfen, ist die EU existenziell gefährdet“, heißt es in dem Antrag weiter.
Der Antrag aus dem Kreisverband Neukölln fordert eine „verfassungsfeste, ergiebige, umsetzbare und einmalige Vermögensabgabe für Superreiche“. Jene solle mit hohen Freibeträgen und über einen sehr langen Zeitraum gestreckt so ausgestaltet werden, „dass kein Unternehmen Schaden nimmt“.
Die Vorschläge dürften für eine Diskussion auf dem Länderrat sorgen. Die Grünen-ChefInnen Annalena Baerbock und Robert Habeck vermieden in den vergangenen Wochen bewusst ein Bekenntnis zur Vermögensabgabe. Sie fürchten, sich damit angreifbar zu machen. Im Leitantrag wird den Delegierten zu dem Thema nur eine vage Formulierung vorgeschlagen. Es brauche zur Tilgung der Schulden einen solidarischen Ausgleich, heißt es dort. Und: „Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.“
Idee von US-Ökonomen
Ob damit auch eine Vermögensabgabe gemeint ist, wer diese starken Schultern besitzt und mit welchem Konzept sie belastet werden sollen, bleibt offen. Andresen, der neulich bereits einen Blogbeitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit verfasste, argumentiert nun: „Die Wirtschaftskrise darf nicht dazu führen, dass Verluste vergemeinschaftet und Gewinne privatisiert werden.“ Eine europäische Vermögensabgabe sei gerecht und solle „Teil der Krisenantwort der Grünen sein“.
Der Antrag dockt an eine Idee von US-Ökonomen an. Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, beide Professoren an der kalifornischen Berkeley-Universität, sowie Camille Landais von der London School of Economics warben bereits Anfang April für eine befristete, europaweit erhobene Vermögensabgabe. Eine solche sei eine „konkrete Verkörperung europäischer Solidarität“ im Kampf gegen die Pandemie, schrieben sie in einem Debattenbeitrag.
Die Kosten der europäischen Krisenbekämpfung sind enorm. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von „Billionen“ Euro, die nötig seien. Andresen weist in seinem Antrag darauf hin, dass die Krise Menschen in der EU sehr unterschiedlich trifft. Laut Internationalem Währungsfonds werde die Arbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland auf über 20 Prozent steigen. Davon seien junge Menschen besonders stark betroffen, Ältere litten unter den Folgen eines auf Verschleiß gefahrenen Gesundheitssystems.
Die Grünen-Spitze fürchtet einen Steuerstreit – und erinnert sich mit Grausen an den Bundestagswahlkampf 2013, als die Partei mit dem Thema manche WählerInnen verschreckte. Die Vermögensabgabe ist bei Konservativen, Liberalen und mächtigen Wirtschaftsverbänden verhasst. Wie die Diskussion auf dem Parteitag ausgeht, ist offen. Andresen hält die von ihm vorgeschlagene europäische Vermögensabgabe für einen „guten Kompromiss“. Die nationale Debatte werde nicht berührt, sagt er – „und auf europäischer Ebene knüpfen wir an unsere Beschlusslage an.“
Der Hintergrund: Die Strategie der Grünen-Spitze, über eine Abgabe zu schweigen, wird dem eigenen Programm nicht gerecht. Darin fordern die Grünen sogar „eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögensteuer“. An diese Formulierung lehnt sich der Antrag aus dem Neuköllner Kreisverband an. Eine Vermögensteuer wäre für Reiche sogar eine härtere Abgabe, weil sie unbefristet wäre.
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