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Grünen-Abgeordnete über ihre Herkunft„Feilen, Fräsen und Erodieren“

Tina Winklmann vertritt als einzige Nichtakademikerin die Grünen im neuen Bundestag. Sie glaubt: Ihre Partei ist auch für Schicht­ar­bei­te­r*in­nen vom Land attraktiv.

Tina Winklmann sitzt für die Grünen im Bundestag und ist von Beruf Mechanikerin Foto: Manfred Segerer/imago
Interview von Marilena Piesker

taz: Frau Winklmann, Sie ziehen als einzige Nichtakademikerin für die Grünen in den Bundestag. Wie repräsentativ ist die Partei?

Tina Winklmann: Das Bild der sogenannten elitären Grünen ist nur noch ein Klischee, das sich hartnäckig in der Öffentlichkeit hält. Die Grünen wollen alle vertreten, und tatsächlich ist die Partei viel breiter aufgestellt, als viele denken. Wer sich etwa die grüne Basis anschaut, findet viele Handwerker*innen, Fachangestellte und Pflegekräfte.

Dennoch wählten bei der Bundestagswahl im September nur etwa 8 Prozent der Ar­bei­te­r*in­nen grün. Welche Maßnahmen ergreift die Partei, um attraktiver für diese Wählerschaft zu werden?

Natürlich ist es unser Ziel, mit unseren Ideen noch mehr Ar­bei­te­r*in­nen anzusprechen. Wir setzen uns für einen angemessenen Mindestlohn, eine Tarifbindung sowie eine starke gewerkschaftliche Einbindung ein. Außerdem wollen wir uns mehr dem Teil der Bevölkerung öffnen, der täglich dieses Land am Laufen hält, wie Erzieher*in­nen, Bäcker*in­nen, Elek­tri­ke­r*in­nen und Land­wirt*in­nen. Dadurch lösen sich meinem Empfinden nach viele Vorurteile gegenüber den Grünen langsam auf.

Trotz allem fallen Sie immer noch auf; nicht selten werden Sie von Medien als „ungewöhnliche Grüne“ bezeichnet. Sie sind Mechanikerin und kommen vom oberpfälzischen Land. Wird Ihnen selbst Ihre Herkunft in der Partei manchmal bewusst?

Auf jeden Fall. Aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass ich sie merke. Es ist immer noch ein großes gesellschaftliches Problem, dass viele denken, es gäbe Unterschiede zwischen Aka­de­mi­ke­r*in­nen und Arbeiter*innen. Aber dem ist natürlich nicht so: Wir Ar­bei­te­r*in­nen sind die Basis der Bevölkerung.

Ich komme vom Land, und da macht man erst mal eine Ausbildung. Darauf bin ich auch sehr stolz: Feilen, Fräsen und Erodieren – das habe ich alles in meiner Ausbildung gelernt. Über zwanzig Jahre habe ich im Schichtdienst gearbeitet. Nachtschichten sind im Bundestag für mich also kein Problem mehr. Grundsätzlich bekomme ich in der Partei aber auch von außerhalb viel Zustimmung; sonst wäre ich erst gar nicht bei den Grünen.

Ihr Hintergrund ist ungewöhnlich für Ihre Partei.

Das stimmt. Ich komme aus der tiefsten Oberpfalz, also mitten aus Bayern. Die Menschen dort wählten früher eher schwarz. Bei den einen Großeltern hingen früher noch CSU-Gedenkteller, bei meinem anderen verstorbenen Großvater hing sogar ein Bild von Franz Josef Strauß an der Wand. Dass ich 1996 zu den Grünen ging, war schon äußerst ungewöhnlich.

Wollten Sie mit Ihrem Grünen-Beitritt rebellieren?

Nein, eigentlich nicht. Ich komme zwar aus einem klassischen Ar­bei­ter*­in­nen­mi­lieu und meine Eltern wählten lange entweder schwarz oder rot. Trotzdem war ihnen vor allem wichtig, dass wir Kinder überhaupt eine Meinung zur Politik hatten; mir war eben schon sehr früh – bereits als Jugendliche – klar, dass es ohne vernünftigen Klimaschutz auf lange Sicht keine Arbeitsplätze geben wird.

Mit etwa elf Jahren gründete ich meine erste, kleine Umweltgruppe: Wir installierten Solarzellen und sammelten Verbundstoffe. Mit 16 Jahren habe ich dann ganz altmodisch das Eintrittsformular bei den Grünen in den Briefkasten geworfen.

Aktuell laufen die Sondierungsgespräche. Stehen da für Sie vielleicht andere Themen im Vordergrund als für Ihre Parteikolleg*innen?

Mir persönlich ist die sozial-ökologische Transformation sehr wichtig. Konkret: Mein großes Ziel ist, dass ich mal jemandem begegne, deren oder dessen Kinder vielleicht schon in der zweiten oder dritten Generation in der Windkraft tätig sind.

Im Interview: Tina Winklmann

ist 41 Jahre alt und hat eine Ausbildung zur Verfahrensmechanikerin für Kunststoff- und Kautschuktechnik absolviert. Sie hat mehr als 20 Jahre bei Siemens im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet.

Kritiker betonen gern: „Klimaschutz muss man sich leisten können“. Wie lässt sich Ihr sozialer Schwerpunkt mit der Grünen Klimapolitik vereinen?

Ganz einfach, denn im Prinzip wollen alle das Gleiche, ob nun Ar­bei­te­r*in oder Aka­de­mi­ke­r*in – und zwar: nachhaltige Arbeitsplätze. In der Oberpfalz zum Beispiel gibt es viele Automobilzulieferer, und die Menschen brauchen die Jobs. Konkret bedeutet das: Der rasche und erfolgreiche Umstieg auf Elektroautos ist auch nötig, um die Arbeitsplätze dieser Menschen langfristig zu sichern.

Also ist die große Liebe der Landbevölkerung zum Verbrennungsmotor bloß ein Klischee?

Es ist definitiv ein großes Vorurteil! Auf dem Land klebt niemand an PS, Protz und Tuning. Viele wünschen sich stattdessen, dass es eine bessere Infrastruktur gibt – also mehr öffentlichen Nahverkehr, eine gute Bahnanbindung oder Ladesäulen für Elektroautos.

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19 Kommentare

 / 
  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Liest man die Kommentare hier, bekommt man den Eindruck, dass eine Frau ohne Abitur im BT nichts zu suchen hat. Frei nach dem Motto: Berufsausbildung, Kinder und Kochtopf.

  • Die Grünen sind gerade dabei, die Klimabewegung in die außerparlamentarische Opposition zu treiben. So wie es gerade aussieht, kriegen sie nicht mal ein banales Tempolimit durchgesetzt, von einer Bürgerversicherung ganz zu schweigen.

    • @kischorsch:

      Bei enttäuschenden 14,8% ist jetzt nicht das volle Programm zu erwarten. Und Kohleausstieg und Ausstieg aus fossilen Verbrenner bis 2030 ist wichtiger als Tempolimit.

  • "Es ist definitiv ein großes Vorurteil! Auf dem Land klebt niemand an PS, Protz und Tuning. Viele wünschen sich stattdessen, dass es eine bessere Infrastruktur gibt – also mehr öffentlichen Nahverkehr, eine gute Bahnanbindung oder Ladesäulen für Elektroautos."



    Hier bei mir auf dem Land spricht darüber niemand. Hier wollen die Leute Fahrradwege, Schulen und Kitas in der Nähe, zum Alltags-Einkauf nicht 10-20km in die Stadt fahren müssen. Und ehrliche, verlässliche Politik.

    "Ich komme vom Land, und da macht man erst mal eine Ausbildung."



    Nö.

    • @StefanG:

      „ Hier bei mir auf dem Land spricht darüber niemand. Hier wollen die Leute Fahrradwege, Schulen und Kitas in der Nähe, zum Alltags-Einkauf nicht 10-20km in die Stadt fahren müssen.“

      Joa, aber das bekommen die Grünen aus weltanschaulichen Gründen nicht ins Programm. Es geht offensichtlich (auch wenn das immer bestritten wird) nicht darum auf funktionierende Lösungen hinzuarbeiten und dazu probate Mittel und Wege zu finden. Man hat sich vielmehr ein Mittel ausgedacht mit dem man auf wundersame Weise alle glücklich machen will und wer damit nicht glücklich ist, der ist dumm und böse. Es geht nur um den ideologischen Kampf gegen das Automobil und nicht darum irgendwas unterm Strich besser zu machen.

      Btw. Fahrradwege haben wir hier genug, die helfen im hügeligen, eher kühlen, schneereichen und windigen, Mittelgebirge halt auch nicht wirklich weiter. Hier trainieren (wirklich!) regelmäßig Radprofis für mindersteile „Bergetappen“ (für den Normalo ist es trotzdem der Horror). Und wenn zu mir so ein Oberlehrer von weit weg „Lastenfahrrad“ sagt, dann möchte ich dem einfach nur eine scheuern. Soweit zu meiner Gefühlslage bei dem Thema.

      • @Nafets Rehcsif:

        sehr schön das Problem beschrieben. Wohin solche Politik führt, zeigt am besten Berlin. Der Alltag funktioniert immer schlechter, dafür äußert man sich zu überregionalen Themen (am besten die ganze Welt betreffend) umso lieber.

  • Viel leeres Geschwafel, sorry. Frau Winklmann sollte ihre Klischees ablegen, zumindest überdenken.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Frage muss doch eher lauten, wie ist es möglich, dass bei den vielen juristisch ausgebildeten Abgeordneten so viel Mist gebaut wird.

  • Ja, klar. Die lohnabhängigen Nichtakademiker auf dem Land wünschen sich sehnlichst Ladesäulen für Elektroautos. Wie sollen ihre Chefs sonst zur Arbeit kommen?

  • Sorry liebe taz, aber da liegt ihr falsch. Ein*e Akademiker*in ist jemand mit einem Hochschulabschluss, den haben viele Grüne*innen jedoch nicht! Claudia Roth z.B. hat weder einen Studienabschluß, noch eine Berufsausbildung.

    Überhaupt gibt es viele Bundestagsabgeordnete, die keinerlei berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Diese Leute sind schlichte Geringqualifizierte.

    Ein paar Semester ziellos studieren, ohne Abschluss, macht noch keinen "Akademiker".

    Wir hatten übrigens mal einen grünen Vize-Kanzler, der ebenfalls über keinerlei Studienabschluß oder Berufsausbildung verfügte.

    Frau Winklmann hat eine abgeschlossene Berufsausbildung und das ist mehr, als viele Berufspolitiker vorzuweisen haben. Ich weiß nicht, warum man das immer so abwerten muss.

    "Systemrelevant" sind vor allem Fachkräfte und keine "Akademiker", von denen es viel zu viele gibt.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Tom T.:

      "Wir hatten übrigens mal einen grünen Vize-Kanzler, der ebenfalls über keinerlei Studienabschluß oder Berufsausbildung verfügte."

      Richtig, dafür war er aber Straßenkämpfer und ein exzellenter Redner! Hahahaha

  • „Mein großes Ziel ist, dass ich mal jemandem begegne, deren oder dessen Kinder vielleicht schon in der zweiten oder dritten Generation in der Windkraft tätig sind.“

    Ich bin ja mal gespannt, ob sich das Monteure, die permanent auf Montage sind, bei Wind und Wetter da hoch müssen und die den kompletten Druck von oben abbekommen das über Generationen antun. In der Herstellung der Windräder wird das auch nix, die globalisierte Welt zertrümmert sowas immer wieder und immer schneller. Als „Investor“ geht’s vllt…

    „Der rasche und erfolgreiche Umstieg auf Elektroautos ist auch nötig, um die Arbeitsplätze dieser Menschen langfristig zu sichern.“

    Wenn die Arbeitsplätze am klassischen Antriebsstrang hängen, dann sind diese Leute einfach nur rasch ihren Job los, evtl. sogar langfristig….

    „Es ist definitiv ein großes Vorurteil! Auf dem Land klebt niemand an PS, Protz und Tuning.“

    Stimmt, die Autos der Landbevölkerung scheinen mir auch immer so 1-2 Protzstufen unter denen der komplementären Stadtbevölkerung zu liegen. Ganz einfach weil man das Auto auf dem Land eher als notwendiges Übel sieht und das Übel nicht noch selbst unnötig verteuern will. Aber das braucht man ja auch nicht selbst tun, das tun ja jetzt andere…

    Ich stell es mir gerade vor, der seit der Pleite des Autozulieferers immer wieder arbeitslose Schichtarbeiter vom Lande, der im Winter erstmal ne halbe Stunde auf den verspäteten Elektrobus wartet, natürlich zu spät kommt, sich dann in der Firma den Anschiss abholt, auf dem Rückweg noch 2 Stunden Umweg fährt um einzukaufen und dann zuhause erstmal im Kalten sitzt um Energie zu sparen.

    Also wenn sich bei dem die albernen Vorurteile gegenüber den Grünen nicht von alleine abbauen, dann ist der ja selbst schuld! Ungehobelter Dorfaffe1!11

  • "Viele wünschen sich stattdessen, dass es eine bessere Infrastruktur gibt – also mehr öffentlichen Nahverkehr, eine gute Bahnanbindung oder Ladesäulen für Elektroautos."

    Wo in welchem Landesteil sind das die Wünsche der Landbevölkerung? Nu, Landbevölkerung ist sehr heterogen, aber weder in bäuerlichen Gemeinschaften noch in Einfamilienhaussiedlungen sind das die Träume.

  • RS
    Ria Sauter

    EINE Arbeiterin für die Grünen im Bundestag, und sie ist auch noch stolz darauf.



    Ich habe zuerst gedacht, dies wäre Satire .

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Mir scheint die Diskussion der ArbeiterInnen-Kompatibilität etwas aus der Zeit gefallen, weil sie voraussetzt, dass es Merkmale gibt, die Menschen für diese Gruppe qualifizieren. Aber selbst Bill Gates würde behauptet, er hätte gearbeitet...

    Die Milieus sind doch heute viel mehr durch Selbstein- und -überschätzungen geprägt und so glaubt der selbständige Packerlfahrer, die FDP wäre die Partei, die zu seiner Lebenssituation passt.

    Bevor man die Milieus weitgehend nutzlos Parteien zuordnet, sollte man erst mal verstehen, wo die Grenzen im 21. Jahrhundert verlaufen.

    Ein entscheidendes Merkmal scheint mir die persönliche Einschätzung der Existenzsicherheit zu sein. Und Parteien, die Veränderung versprechen, werden nur Milieus ansprechen, die auch "Kapazität" für Veränderung haben - also sich durch Eigenheim, Festanstellung oder auch Religion sehr sicher fühlen.

    Das könnte auch einer der zentralen Widersprüche der Linken sein, dass deren klassische Milieu Veränderungen scheuen, weil sie erwarten, dass es stets schlechter wird für sie.

    Während die Querdenker- und Nazi-Szene (gerade im Osten) offenbar viele Selbständige, prekär oder nicht Beschäftigte anziehen.

    Das könnte man nun für viele Milieus und Parteien durchdeklinieren...

    Aber die Grünen sind in dem Spektrum eben nur für eine realtiv wohlhabende Schicht wählbar, die zusätzliche Lasten für tragbar und unvermeidlich hält.

    Deswegen halte ich diese "neue Breite" der Grünen letztendlich für Geschwafel - auch wenn ich inhaltlich viele Punkte der Grünen durchaus teile.

  • Gib der Arbeiterin ein Auto und einen Farbfernseher und vorbei ist es mit dem Klassenkampf.



    Wünsche fröhliches Dahin-Erodieren.

    • @Paul Brusewitz:

      Gib dem Paul ein Schublade und er wird sie sicher auch noch voll kriegen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Paul Brusewitz:

      Solidarität gab es kurz nach dem Krieg. Später hat sich das St. Florian-Prinzip durchgesetzt.



      „Verschon mein Haus, Zünd andre an!“



      Das funktioniert auf vielen verschiedenen Ebenen, v.a. wenn die Spaltung der Gesellschaft immer weiter vorangetrieben wird - wie Merkel es getan hat. Nun wird sie mit Preisen im Ausland überhäuft. Völlig irre!



      Auch das gehört zu unserer wunderbaren Demokratie, die man ja so gerne exportieren möchte.

      Es ist ein Unding, dass milliardenschwere Wohnungsverwaltungskonzerne den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen. Bei den Krankenhäusern ist das nicht viel besser. Der Neoliberalismus ist ganz obenauf!



      Nun wird den Reichen durch die FDP-Teilnahme an der Regierung auch noch 10 Mrd. Euro über die Abschaffung des Solis geschenkt.Für mich ist das versteckte Korruption, nichts anderes.



      Die Maskendealer der CSU haben sich ganz wohl gefühlt in "dieser" Demokratie.

  • Boah. Eine Arbeiterin vom Dorf für die Grünen im Bundestag. Und die stellt sogar fest, dass sie die gleichen Interessen hat wie die grünen WählerInnen im hippen Großstadtmilieu. Jetzt fehlt noch der Chemiearbeiter aus Leverkusen, der für die FDP im Bundestag einzieht. Dann wäre auch verständlich, warum Grüne und FDP sich gut verstehen.