Grüne nach Ampel-Aus: Wahlkampf in der Einarbeitungsphase
Für die Grünen kommt das Aus der Ampel-Koalition zu einem ungünstigen Zeitpunkt: schlechte Umfragewerte, neuer Vorstand, inhaltliche Uneinigkeit.
![Robert Habeck vor Journalisten, schaut über seine Schulter Robert Habeck vor Journalisten, schaut über seine Schulter](https://taz.de/picture/7342345/14/36969502-1.jpeg)
Berlin taz | Wann sagt er denn nun, dass er Kanzlerkandidat der Grünen wird? Am Donnerstagmittag, als sich Robert Habeck in seinem Wirtschaftsministerium noch mal zum Ende der Ampelkoalition erklärt, will er die Frage wieder nicht beantworten. Er stehe als Minister hier, sagt Habeck. Alles Parteipolitische werde man „zu gegebener Zeit“ erfahren.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Schon ab kommende Woche Freitag treffen sich die Grünen zu ihrem Parteitag in Wiesbaden. Geplant war schon länger, dass Habeck dort offiziell zum Kandidaten gekürt wird. Seine Bewerbung, das war schon vor dem Koalitionsbruch klar, muss er mit ausreichend Vorlauf verkünden. Was seit Mittwochabend neu ist: Nach dem Parteitagsbeschluss wird es keine lange Übergangszeit mehr geben. Dann muss er unmittelbar in den Wahlkampfmodus umschalten.
Von den drei Koalitionsparteien waren die Grünen wohl diejenigen, die das am wenigsten wollten. Zunehmend genervt waren zwar auch sie von der FDP und Finanzminister Christian Lindner. Rapide sank schon in den letzten Tagen unter den Grünen die Hoffnung darauf, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin hält.
Aber während es die FDP mit ihren Forderungen auf den Bruch anlegte und der Kanzler ihr die Pistole auf die Brust setzte – für die Ukrainehilfe müsse nach der US-Wahl die Schuldenbremse gelockert werden –, traten die Grünen bis zum Schluss und darüber hinaus konzilianter auf. „Es gab verschiedene Optionen zur Schließung der Haushaltslücke, die auf dem Tisch waren“, sagt Habeck bei seinem Auftritt am Mittag. „Man hätte sich auch ohne Überschreitungsbeschluss einigen können.“
Mitten im Umfragetief
Ein Grund, den die Grünen öffentlich vor sich hertragen: die staatspolitische Verantwortung. Während die Welt im Chaos versinkt und Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht, dürfe Deutschland eigentlich nicht führungslos dastehen. Oder zumindest nicht: ohne gültigen Haushalt für das nächste Jahr. Dazu kommt möglicherweise auch: Wahltaktisch kommt das Ende für sie zum ungünstigsten Zeitpunkt.
Da wäre zum einen das Umfragetief. Ob es bis zum regulären Wahltermin im September überwunden worden wäre? Unklar. Nun bleibt für die Trendwende jedenfalls weniger Zeit. Und: Die Parteizentrale ist mitten im Umbruch. Der bisherige Vorstand ist zurückgetreten, die Neuen werden erst auf dem Parteitag gewählt, mit ihnen wechseln wohl auch Mitarbeiter*innen. Der Wahlkampf startet mitten in ihrer Einarbeitungsphase.
Die Grünen selbst beteuern am Donnerstag zwar, gut vorbereitet zu sein. Die Personalfragen seien geklärt; der Vollzug auf dem Parteitag komme genau zum richtigen Zeitpunkt. Und tatsächlich liefen ja schon umfangreiche Vorbereitungen auf das Szenario vorgezogener Wahlen. Seit dem letzten Haushaltsstreit im Sommer, als die Situation schon einmal knapp war, konnte sich die Partei auf die Option einstellen. Und doch: Zentrale inhaltliche Fragen sind bislang ungeklärt. Eigentlich hätte es gereicht, sie bis zu einem Programmparteitag im nächsten Frühjahr zu klären. Nun muss dieser zweite Parteitag auf den Januar vorgezogen werden.
Auf dem ersten Parteitag in der nächsten Woche wird es natürlich auch schon um Inhalte gehen. Die Konfliktpunkte sind seit Wochen offen an den Anträgen und Änderungsanträgen ablesbar. Es geht zum Beispiel um Richtungsentscheidungen in der Migrationspolitik und um das grüne Profil bei der sozialen Gerechtigkeit. Konsens ist es, dass es in Deutschland fairer zugehen müsse. Strittig ist der Weg dorthin – etwa, ob es wieder eine Vermögenssteuer geben soll.
Nun wird die Parteitagsdebatte unter veränderten Vorzeichen geführt werden. In der Partei kursiert die Hoffnung, dass der Wahlkampf unmittelbar bevorsteht, könnte zusammenschweißen. Das Interesse an offenen Konflikten sinke. Fragt sich nur, was das angesichts der zuletzt wieder hochgekochten Flügelkonflikte heißt: Machen die linken Grünen der Harmonie zuliebe Abstriche an ihren Forderungen – oder wird Realo Habeck auf sie zugehen, um im Wahlkampf alle motiviert an Bord zu haben?
Parallel zum Wahlkampf bleiben zudem noch die Regierungsgeschäfte weiterzuführen. Ein Spagat: Im Werben um Wählerstimmen geht es um maximale Profilierung. Angesichts der Weltlage und der Probleme im Land wollen sich die Grünen auf der anderen Seite um punktuelle Mehrheiten mit der Union im Bundestag bemühen. Er erwarte da „keine große Verbrüderung“, so Habeck. Zumindest über Gespräche würde er sich aber freuen.
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