Grüne gegen Grünen: Grenzen für Boris Palmer
LGBTIQ-Aktivistin Maike Pfuderer wurde von ihrem Parteikollegen Boris Palmer transfeindlich angegriffen. Jetzt wehrt sie sich mit einer Strafanzeige.
Trotzdem hat sich die Politikerin nun entschlossen, Strafanzeige gegen Palmer zu stellen. Denn was dieser am Sonntagabend auf ihren Facebook-Kommentar antwortete, sei kein harter politischer Diskurs, sondern ein persönlicher Angriff.
Palmer hatte auf seinem Profil einen Gastbeitrag über Political Correctness geteilt, den er 2015 für die FAZ geschrieben hatte. Pfuderer bezeichnete den Text in ihrem Kommentar als „alten Käse“. Ein dritter User erkundigte sich nach dem Verhältnis der beiden. Der Tübinger Oberbürgermeister antworte daraufhin über Pfuderer: „Ich kenne ihn gar nicht“ und fragte weiter: „Wie spricht man Pfuderer korrekt an?“
Auch den Vornamen Maike Pfuderers, den sie vor ihrer Geschlechtsangleichung trug, nannte Palmer – für die Politikerin eine bewusste Provokation, wenn nicht gar eine Beleidigung. Die Ansprache mit dem falschen Pronomen und das sogenannte „Deadnaming“, bei dem der ehemalige Name einer Transperson genannt wird, gilt als Angriff auf die Persönlichkeit. Das Gegenüber soll damit bewusst verletzt werden.
Vornamen dürfen nicht „offenbart und ausgeforscht“ werden
Das erkennt auch der Gesetzgeber an. Im Transsexuellengesetz schreibt er fest, dass frühere Vornamen nicht ohne Zustimmung „offenbart und ausgeforscht“ werden dürfen. Dass Palmer es trotzdem tut, obwohl Maike Pfuderers Name klar und deutlich über ihren Kommentaren steht, sieht sie als Teil seiner Strategie. Er versuche, bewusst zu provozieren und so die Grenzen des Diskurses zu verschieben.
Als politische Aktivistin in Baden-Württemberg müsse sie sich schon seit Jahren mit Palmers Entgleisungen herumschlagen, so Pfuderer. Jüngst erklärte Palmer zum Beispiel über coronabedingte Todesfälle: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Die Ausschreitungen in Stuttgart kommentierte er damit, dass er auf Bildern nur „südländische“ und „dunkelhäutige“ Verdächtige ausmachen könne.
Pfuderer will ihm diese Äußerungen nicht durchgehen lassen und widerspricht Palmer lautstark, vor allem auf Facebook. Jetzt nicht Strafanzeige zu stellen, wäre Verrat an all der Arbeit, die sie als LGBTIQ-Aktivistin gegen Diskriminierung geleistet habe. Ob Pfuderer mit ihrer Anzeige Erfolg haben wird, ist offen.
Das Transsexuellengesetz ist nicht Teil des Strafgesetzbuchs und „Deadnaming“ kein Straftatbestand. Trotzdem scheint ihre Sache nicht aussichtslos. Anwältin Jessica Heun, die transidente Menschen vertritt, sagt: „Eine Anzeige wegen Beleidigung ist durchaus nachvollziehbar. Palmers Äußerungen sind insbesondere im Lichte des Offenbarungsverbots herabsetzend und ehrverletzend im Sinne des Strafrechts.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz