Große Straßenblockaden in Argentinien: Ein Kampf um begrenzte Ressourcen
Argentinien ist reich an Lithiumvorkommen. Aber Indigene der Provinz Jujuy sorgen sich, dass ihr Wasser unter dem Abbau leidet – und wehren sich.
Kilometerweit stauen sich die Fahrzeuge. Alle drei Stunden wird die Blockade für 30 Minuten aufgehoben und ein Teil von ihnen durchgelassen. Als die Polizei vor einer Woche versuchte, die Blockade zu räumen, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. Die Blockierenden hielten Stand, die Uniformierten zogen sich zurück. Ein 17-Jähriger verlor durch ein Gummigeschoss das Augenlicht auf einer Seite.
„Diese Tage sind entscheidend. Die Bergbaufirmen wollen das Lithium und die Wasserquellen auf unseren Territorien“, sagt eine junge Indigene ins Mikro eines Nachrichtensenders. „Deshalb werden wir auf den Straßen bleiben.“ Und das ist nicht der einzige Protest in der Provinz.
Empfohlener externer Inhalt
In Jujuy leben rund 300 indigene Gemeinschaften, vor allem in der Puna, dem Hochland mit seinen großen Salzseen, in denen das Lithium vorkommt. Die wenigsten Gemeinschaften haben einen Rechtsstatus oder Eigentumstitel für das Land, das sie seit Jahrhunderten bewohnen.
Lithiumbatterien sind gefragt
Aktuell gibt es in der Provinz zwanzig Straßenblockaden. Jujuys Tagespresse listet die Standorte auf und nennt die Rhythmen, in denen sie für kurze Zeit passierbar sind. Solidarität kommt auch aus Europa: Eine Grußbotschaft von Greta Thunberg ist online.
Von den weltweit auf 86 Millionen Tonnen geschätzten Lithiumvorkommen verfügt Argentinien über 19,3 Millionen Tonnen, von denen ein großer Teil in Jujuy lagert. Seit die Mobilitätswende in den Industriestaaten die Nachfrage nach Batterien in die Höhe treibt, wächst der Druck auf den Abbau des Metalls.
Empfohlener externer Inhalt
Lithium ist wesentlicher Bestandteil der Batterieproduktion und Bodenschätze sind in Argentinien Eigentum der Provinzen. Jujuys Provinzregierung hat denn auch längst Konzessionen für den Abbau an internationale Bergbaufirmen vergeben. Um weitere Investoren im großen Stil anzulocken, muss sie Rechtssicherheit gewährleisten, was nichts anderes bedeutet, als den reibungslosen Zugang, Abbau und Abtransport von Lithium zu garantieren.
Massenproteste in San Salvador
Deshalb brachte Jujuys mitte-rechter Gouverneur Gerardo Morales eine Reform der Provinzverfassung auf den Weg, bei der einige Artikel besonders hervorstechen. In Artikel 50 heißt es, dass künftig „der Staat dafür verantwortlich ist, sowohl den Rechtsstatus der Gemeinschaften innerhalb des Provinzgebiets als auch das Gemeinschaftseigentum und das Eigentum der von ihnen traditionell genutzten Ländereien anzuerkennen“.
In Artikel 36 über das Recht auf Privateigentum heißt es, dass unerlaubte Besetzungen zukünftig als „schwerwiegende Verletzung der Eigentumsrechte“ betrachtet und „Räumungsmechanismen und Schnellverfahren“ eingesetzt werden.
Bislang keine Toten – ein Wunder
Aber die Stimmung in der Provinz war schon vor den Blockaden aufgeheizt. Seit Anfang Juni streiken die Lehrkräfte an den Schulen für eine Erhöhung ihrer Gehälter, die weit unter dem Wert des nationalen Basiswarenkorbs von monatlich umgerechnet knapp 400 Euro liegen. Als sich die Staatsangestellten dem Streik anschlossen, drohte Morales mit einem Protestverbot per Dekret. Dennoch erlebte die Provinzhauptstadt San Salvador Mitte Juni die größte Demonstration der letzten Jahre.
Tausende Menschen hatten sich versammelt, um für höhere Löhne und gegen die Verfassungsreform zu protestieren. „Wenn zukünftig Morales entscheidet, wer eine indigene Gemeinschaft ist und was mit dem Land geschieht, auf dem diese lebt, dann ist das eine Kampfansage an alle Gemeinschaften“, erklärte ein indigener Vertreter. „Morales muss gehen und mit ihm seine Verfassungsreform“, so die Forderung.
Gouverneur nimmt Änderungen zurück
Der Gouverneur lenkte ein und nahm die Änderungen der Artikel 36 und 50 zurück. Dennoch, als der Verfassungskonvent vergangenen Dienstag mit den Stimmen der peronistischen Opposition für die Annahme der reformierten Verfassung stimmte und nur die acht Konventmitglieder der linken Frente de Izquierda fernblieben, eskalierte der Protest. Demonstrierende drangen ins Parlamentsgebäude ein und verwüsteten Büros, während sich Provinzpolizei und Protestierende in den Straßen rund um das Gebäude eine heftige Schlacht lieferten.
Die vorläufige Bilanz: mindestens 170 Verletzte, darunter einige Schwerverletzte. 68 vorübergehende Festnahmen. Die Menge der geworfenen Steine wird offiziell mit 19 Tonnen angegeben, abgefeuerte Gummigeschosse und Tränengasgranaten wurden nicht gezählt. Umstritten ist, ob auch scharfe Munition verschossen wurde. Unstrittig ist das Wunder, dass bisher niemand ums Leben kam und, dass die Blockaden der Landstraßen weitergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“