Google gegen Europa: Überfordert das Netz seine Aufseher?
Eine Kommissarin in Brüssel will Google Grenzen setzen. Aber wieviel Macht hat eine Behörde in einer digitalisierten Welt?
Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Vor sechs Jahren kannte niemand ein Transportunternehmen namens Uber. Facebook hatte gerade erst begonnen, den deutschen Markt zu erobern. Und hätte man Menschen zufällig auf der Straße gefragt, was eine App ist, hätten manche vielleicht auf „Hessisch für Ebbe“ getippt.
Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Vor allem wenn man ein kleines Start-up betreibt, das seine Chance sucht. Und dabei den Eindruck hat, man werde von einem riesigen Internetkonzern verdrängt. Jahrelang tauchte die Preisvergleichsseite von Shivaun und Adam Raff gar nicht mehr bei Google auf, ohne dass das britische Ehepaar eine Begründung dafür erhalten hätte.
2009 dann klagten die beiden als erste bei der EU-Kommission: Der Konzern setze seinen eigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping immer auf die ersten Positionen seiner Trefferlisten, während es die Wettbewerber weiter nach hinten schiebe.
Sechs Jahre lang befasste sich die Kommission mit der Klage, ohne ein Verfahren zu eröffnen. Sie hörte die Argumente der Kläger, ließ sich jene von Google erläutern. Andere Firmen schlossen sich an oder beschwerten sich über andere Praktiken des Internetkonzerns. Die Monate, die Jahre zogen ins Land. Facebook verdrängte StudiVZ. Uber verdrängte Taxiunternehmen. Amazon verdrängte Thalia.
Die Verhandlungen zwischen Eurogruppe und griechischer Regierung sind gescheitert, die Banken geschlossen, am Sonntag stimmen die Menschen über das weitere Vorgehen ab. Es ist eine Woche, in der nichts mehr sicher scheint. Vier Griechen führen für uns Tagebuch. Lesen Sie ihre Einträge in der taz.am wochenende vom 4./5. Juli 2015. Außerdem: Fast übermächtig scheint Google zu sein. Als Konzern, der sich in allen Lebensbereichen breitmacht. Ein britisches Ehepaar wollte das nicht akzeptieren und hat dagegen geklagt. Und: Auch Neil Young hat sich auf seinem neuen Album einen großen Gegner vorgenommen: Er singt gegen den Chemiekonzern Monsanto an, der mit genmodifizierten Pflanzen Milliarden macht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Google verdrängte andere Preisvergleichsseiten.
Irgendwann stellte sich die Frage: War die EU mit diesem Fall überfordert? Kamen ihre Beamten mit dem Kontrollieren einfach nicht mehr hinterher – in einer überschnellen Welt, beschleunigt und angetrieben von der Digitalisierung?
Die Schwächen im EU-System
Schließlich, am 15. April 2015, beschloss die EU-Kommission einen Schritt weiter zu gehen. Sie verfasste eine Beschwerdeschrift gegen Google und leitete ein offizielles Verfahren ein. Die neue dänische Kommissarin Margrethe Vestager kündigte an, grundlegende Regeln anzustreben, die das Verhältnis von Google und seinen Wettbewerbern nicht nur bei den Preisvergleichsseiten mit einem verlässlichen Rechtsrahmen versehen sollten.
Vestager beendete damit das Lavieren der Kommission, das die Kläger ihrem Vorgänger vorwarfen, dem spanischen Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia.
Können es politische Institutionen mit einem Gegner wie Google aufnehmen, dessen Produkt sich in jedem Moment verändert?
Thomas Höppner hat da zumindest seine Zweifel. „Ich denke, man kann ganz klar institutionelle Schwächen erkennen“, sagt der Anwalt, der ladenzeile.de vertritt, einen der Kläger in dem Google-Verfahren. Ladenzeile.de ist ein Start-up des Axel-Springer-Konzerns, einem der größten europäischen Gegner Googles. „Es ist misslich, wenn die Kommission ein Verfahren an sich zieht, damit alle nationalen Wettbewerbsbehörden blockiert und dann über Jahre hinweg hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne dass etwas dabei herauskommt. Jetzt geht es erst mal nur um Google Shopping. Wann kommt der Rest?“, moniert Höppner.
Sein Eindruck: „Das ist viel zu langsam für eine so dynamische Landschaft.“ Es sende auch die falsche Botschaft: „Da gehen die Jahre ins Land, ein Konzern darf sich auch auf neuen Feldern etablieren, ohne dass die Aufseher reagieren.“
Googles eiserne Feindin
In der taz.am wochenende vom 4./5. Juli 2015 erzählen wir die Geschichte von Foundem, dem kleinen britischen Unternehmen, das antrat groß zu werden wie Google und irgendwann den Eindruck hatte, der Onlinekonzern hindere es daran.
Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab erzählt in einer kurzen Anekdote, wie wenig ernst manche, ihn selbst eingeschlossen, den Fall damals noch nahmen. Er habe sich mit Foundem getroffen und die Sache anschließend kaum weiterverfolgt. Wer von Google nicht gefunden wird, kann so gut ja wohl nicht sein... Neulich seien sie zu ihm gekommen und hätten sich bedankt. Schwab hatte sich im Europaparlament mit einem weltweit beachteten Antrag gegen Google positioniert. Er selbst habe sich bei Foundem entschuldigt, dass er sich zunächst nicht mehr eingesetzt habe. Über Schwabs eigene Motivation gibt es Spekulationen: Er ist als Anwalt auch für die Kanzlei CMS Hasche Sigle tätig, die deutsche Zeitungsverleger vertritt.
Foundem fühlte sich also von Google diskriminiert und hat diese Diskriminierung akribisch dokumentiert. 41 eng beschriebene Seiten hat das Dokument, das die Vorgänge auflistet. Damit hat das Ehepaar der neuen Wettbewerbskommissarin ermöglicht, zügig ein Beschwerdeverfahren einzuleiten. Margrethe Vestager konzentrierte sich dabei auf den Vorwurf, den Foundem schon 2009 angemahnt hatte.
Die Kommissarin geht kartellrechtlich nicht nur gegen Google vor, sondern auch gegen Gazprom, gegen Starbucks oder gegen Amazon. Sie gibt sich kampfeslustig. Die New York Times hat sie als “Googles eiserne europäische Feindin“ bezeichnet.
Bis Ende Juni sollte Google auf die Anschuldigungen reagieren. Der Konzern bat um Aufschub. Jetzt läuft die Frist bis 17. August. Die Zeit spielt in der Regel für den Marktführer. Er kann seine Stellung festigen.
Google Shopping verdrängt alle
Die Botschaft der Kommissarin Vestager ist klar: Jeder muss sich an die Regeln des EU-Wettbewerbsrechts halten. Unabhängig von Umsatz und Ansehen.
Google scheint die Vorwürfe ernst zu nehmen. Unmittelbar nach der Eröffnung des Verfahrens begann eine beispiellose PR-Kampagne. Google-Gründer Larry Page verteidigte sich in der Wochenzeitung Zeit. Man lud den stern ins Hauptquartier in Mountain View. Der Europaverantwortliche des Unternehmens gab zu, man habe die Sorgen der Europäer nicht ernst genug genommen. Man habe dafür in Europa einfach nicht genug Leute gehabt.
Weder Verbrauchern noch Unternehmern sei aber ein Schaden entstanden. Die Betreiber der Preisvergleichsseiten sehen das anders. Der Online-Messdienst Searchmetrics hat in einer seiner jüngsten Studien präzise dokumentiert, wie Google Shopping immer präsenter wird, immer mehr Raum einnimmt – während die Konkurrenz in den Ranglisten abfällt. Eine Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Harvard und Columbia, finanziert vom Vergleichsportal Yelp, zeigt das Google auch auf anderen Feldern eigene Inhalte vorzieht. Die New York Times spekuliert, ob nun auch in den USA wieder ein Verfahren aufgenommen werden müsse.
Anwalt Höppner kritisiert, dass die EU-Kommission zwar das Recht hat, auch alle nationalen Verfahren an sich zu ziehen, dass daraus aber kaum eine Pflicht erwächst. „Man bräuchte ein Eilverfahren“, fordert er. „Ebenso muss es feste Fristen für Verhandlungen mit dem betroffenen Unternehmen geben. Oder man muss den nationalen Behörden ihre Eilzuständigkeit belassen, dem Bundeskartellamt also.“
Eigentlich müsse man sofort ein ganzes Gesetzespaket hinterherschicken, um diesem europäische Dilemma zu begegnen: „Da muss ein vernünftiges, effektives Verfahrensgerüst her. Da ist das deutsche Verfahrensrecht noch weit voraus.“
Wir brauchen eine neue Behörde
Beamten in Brüssel sehen das deutlich gelassener. Manche verweisen auf den Microsoft-Fall. Damals ging die EU-Kommission unter anderem gegen den Windows-Konzern vor, weil der einfach standardmäßig seinen Browser Internet Explorer in sein Betriebssystem integrierte, ohne Wettbewerbern diese Möglichkeit zu geben. Man habe es geschafft, argumentieren die Beamten, grundlegende Regeln zu erlassen, die bis heute Bestand hätten. Beispielsweise jene, dass Microsoft seinen Code auch Konkurrenten öffnen musste. Außerdem verhängte die Kommission eine historische Milliardenstrafe.
Jahrelang allerdings weigerte sich Microsoft den Schuldspruch anzuerkennen und zog von Gericht zu Gericht, bis keine Instanz mehr übrig war.
Programmierer hätten sich eine Welt gebaut, die es ihnen einfach mache, den Regulatoren davonzulaufen, sagte der Silicon-Valley-Veteran und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels Jaron Lanier bei seiner Rede zur Preisverleihung.
„Aus meiner Sicht“, sagt Thomas Höppner, der Anwalt, „ist eine allgemeine Wettbewerbsbehörde wie die Wettbewerbskommissarin mit der Überwachung von Suchergebnissen schnell überfordert. Es bräuchte eine spezialisierte Behörde, die sich den Märkten widmet und auf konkreten Hinweis beim Anfangsverdacht Ermittlungen einleiten kann, die auch stärkere Einsichtsrechte hat.“
Die Kommissarin allerdings hält das nicht für nötig. Es gehe doch, hat sie gerade Journalisten des Wall Street Journal erklärt, im Wettbewerbsrecht im Grunde immer um dasselbe. Unternehmen wollten mehr Geld verdienen als die Konkurrenz oder diese gleich ausschalten.
Überfordert das Internet seine Aufseher in den Behörden?
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Die Geschichte „Europa gegen Google“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. Juli 2015.
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