Globale Wende in der Weltpolitik: Hybris und weiße Ruinen
Das Scheitern des War on Terror markiert einen Schritt zur Dekolonisierung von Weltpolitik. Doch die Militarisierung des Denkens bleibt.
S o sieht das Ende einer Ära aus: Die Nato verlässt Afghanistan; Frankreich kündigt den Abzug seiner Spezialkräfte („Operation Barkhane“) aus Mali an. Wir können die volle Bedeutung dieser Rückzüge erst begreifen, wenn wir sie im Rahmen jenes Umbruchs betrachten, der unsere Epoche prägt: Europa und US-Amerika haben immer weniger die Kraft, den Lauf der Dinge auf der Welt zu bestimmen.
Das Scheitern des War on Terror markiert diese globale Wende besonders deutlich, denn in kaum eine andere westliche Strategie wurden in diesem Jahrhundert solche immensen Mittel investiert. Zugleich wurden wir über die Jahre Zeugen des sukzessiven Verfalls von zwei Annahmen, die trotz ihrer grotesken Selbstbezüglichkeit einmal weithin geteilt wurden.
Die erste Annahme lautete: Die Terroristen führen einen Krieg gegen den Westen, weil sie dessen Lebensstil und Freiheitsliebe hassen. Vom Podest dieser Bedrohtheit aus reklamierte der Westen ein globales Interventionsrecht. Letzteres wurde gesalbt durch die zweite Annahme: Wir sind die Guten, unsere Gewalt ist legitim, sie rettet, sie schafft Ordnung. Längst wissen wir: Auf den allermeisten Schauplätzen ist Dschihadismus kein Krieg gegen den Westen.
Die Opferzahlen sind eindeutig; wo immer Terror wütet, sterben vor allem Muslime – anders gesagt: Nicht-Weiße. Es handelt sich vorwiegend um einen Krieg, der innerhalb der muslimischen Welt ausgetragen wird. Dass der politische Islam im 19. Jahrhundert einmal als eine Art Abwehr-Identität gegenüber einem übermächtig wirkenden Europa entstand, das versteht man heute nur in der Rückblende. So bedeutend sind wir nicht mehr.
hat sich als Reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst. Letztes Buch: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“.
Was nun die Legitimität der Gewalt betrifft: Dieser Tage verstarb Donald Rumsfeld, als US-Verteidigungsminister die treibende Gestalt bei der Erfindung des War on Terror, der Kriege in Afghanistan und im Irak. Weder für den dort inszenierten Staatszerfall noch für die Folterungen in Abu Ghraib wurde Rumsfeld je zur Rechenschaft gezogen.
Zum Kennzeichen des War on Terror wurde eine Kultur der Straflosigkeit, die General-Immunität einer Seite, wie sie aus kolonialen Zeiten bekannt ist. Die Invasion im Irak hatte mindestens 150.000 zivile Tote zur Folge; so die konservative Schätzung einer offiziellen britischen Kommission; andere Studien kamen auf nahezu eine Million Tote. Durch den Krieg des Westens starben zigfach mehr Menschen als durch jene, die man zu bekämpfen gedachte.
Die Kriegstreiber gingen straflos aus
Dennoch galt es als geradezu irre, die Verantwortlichen der Invasion, Bush und Blair, wegen Kriegsverbrechen in Den Haag anzuklagen. Die Kultur der Straflosigkeit prägt bis heute Frankreichs Haltung in Mali. Als die Spezialkräfte halbwüchsige Hirten bombardierten, die ihre Rinder zu einer Wasserstelle trieben, wurde den Teenagern zum Verhängnis, dass sie Gewehre trugen, um Vögel fürs Abendessen zu schießen.
Es bleibt das Bild des Vaters, der nach den Körperteilen seiner Söhne sucht, um sie beerdigen zu können. „Neutralisieren“, so nennt Frankreich das Töten tatsächlicher oder vermeintlicher Dschihadisten. Die Sprache des totalen Kriegs: Sie hat in Mali nie überzeugt. Den Feind zu einem quasi außerplanetarischen Wesen zu erklären, mit dem keinesfalls verhandelt werden darf, das ist zwangsläufig auch hier gescheitert.
Und wie vernebelt sind nun überhaupt die Maßstäbe, nach denen der Westen die Bedeutung von Toten bemisst! Die EU trainiert in Mali eine Armee, die im vergangenen Jahr für mehr zivile Opfer verantwortlich war als der dschihadistische Terror. 160.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen haben einen Einsatz in Afghanistan durchlaufen: ein gewaltiges Trainingsprogramm und ein Instrument zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Parallel hat sich das Meinungspanaroma im politischen Raum beispiellos verengt.
Ein Nein zu Kampfeinsätzen gilt heute als verantwortungslos, obwohl eine Mehrheit im Wahlvolk solche Einsätze weiter ablehnt. Während das Militär an seinen Aufgaben scheiterte, gruben sich militarisierte Glaubenssätze ein, bestens illustriert durch den Umstand, dass sich die Grünen nun für bewaffnete Drohnen erwärmen. Welch eine Absurdität: Die Niederlage militärischer Strategien, auf großer Bühne vor aller Augen aufgeführt, nutzt nicht dem Anliegen der Zivilität. Warum nicht?
China wird zum neuen Feindbild
Weil zu wenige das Offensichtliche einklagen. Zwei Jahrzehnte War on Terror haben das intellektuelle Erbe der Friedensbewegung weitgehend vernichtet. Wo stehen wir also nun, am Ende dieser Etappe, einem Ende, das weniger durch Einsicht als durch Erschöpfung herbeigeführt wurde? Global betrachtet ist die Niederlage des War on Terror ein Schritt zur Dekolonisierung der Weltpolitik. Aber was diese 20 Jahre uns selbst angetan haben, unserer Kultur, unserem Denken, das zieht nicht vorüber.
Die obsessive Beschäftigung mit „dem Islam“ hat ein westliches Welt- und Selbstbild ermöglicht, in dem die Bedrohung drinnen und draußen, daheim und in der Ferne, identisch zu sein schien. Das Böse war exterritorialen Ursprungs, es gehörte nicht zu unserem säkularen, rationalen Raum, nicht zu unserer Zivilisation, unserem Universalismus.
Die These, der Islam habe den Ostblock als Bedrohung abgelöst, als das ewige Gegenüber, dessen der Westen anscheinend bedarf, mag immer etwas schrill gewesen sein. Doch fällt das Ende des War on Terror jetzt nicht zufällig zusammen mit dem neuen Konfrontationskurs gegenüber China. Nun verkörpert China den Totalitarismus, eine neue, frische, gewaltige Bedrohung. Da gilt es, Sandsäcke abzuwerfen, und der War on Terror ist ein teurer alter Sandsack.
So zieht sich der Westen nun zurück aus den Ruinenlandschaften vermessener weißer Strategien. Nur die Hybris, die so viel zum Scheitern beitrug, sie wird auf den letzten Panzer geladen und gerettet.
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