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Gleichsetzung von Netanjahu und SinwarDie Hamas wird belohnt

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Die Welt stellt, ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober, nur noch Israel an den Pranger. Das dürfte selbst die kühnsten Träume der Hamas übertreffen.

Der Internationale Strafgerichtshof beantragte Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und den Hamas-Anführer Jahia Sinwar Foto: Peter Seyfferth/imago

N och nie ist eine Terrororganisation international so blind aufgewertet worden wie die radikalislamische Hamas. Sie kann sich darüber freuen, dass der barbarischste Massenmord in der Geschichte Israels innerhalb nur weniger Monate dazu geführt hat, dass die Welt auf ihre Propaganda hereinfällt. Allein in dieser Woche hatten die palästinensischen Islamofaschisten gleich mehrfach Grund zu feiern.

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, beantragte Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und den Hamas-Anführer in Gaza, Jahia Sinwar, der als Architekt des 7. Oktober gilt. Die Gleichzeitigkeit der Anträge ist politisch gewollt. Sie stellt Netanjahu und Sinwar auf eine Stufe.

Die Vorwürfe unterscheiden sich jedoch fundamental. Völkerrechtlich hat Israel das Recht, sich zu verteidigen. Der Angriff der Hamas war nichts weniger als eine Kriegserklärung. Es stellt sich die Frage, ob ­Israels Gegenwehr verhältnismäßig ist. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – eines der am häufigsten missverstandenen Bibelzitate – bedeutet ja gerade, dass für einen Getöteten nicht zehn Gegner umgebracht werden dürfen. Es ist ein Aufruf zur Mäßigung.

Ziele der Hamas und Israels unterscheiden sich

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der israelischen Kriegsführung ist also ebenso berechtigt wie die nach Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und möglicherweise begangenen Kriegsverbrechen. Gegen Letztere ermittelt die israelische Justiz bereits.

Bei der Hamas dagegen handelt es sich zweifellos um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Video von dieser Woche, in dem Hamas-Männer jungen weiblichen Geiseln offen mit Vergewaltigung und Zwangsschwangerschaft drohen – möglicherweise längst umgesetzt –, belegt dies einmal mehr. Das Ziel der Hamas ist die Zivilbevölkerung, während die israelische Armee den Tod von Unbeteiligten allem Anschein nach billigend in Kauf genommen hat – unabhängig von der Zahl der Toten ein gewichtiger Unterschied.

Dennoch stellt die Welt mittlerweile nur noch Israel an den Pranger. Auch wenn die Hamas beispielsweise den Grenzübergang für humanitäre Hilfe mit Raketen beschießt, trägt sie offenbar keinerlei Verantwortung dafür, dass in Gaza gehungert wird. Und es ist dieser Diskussion geschuldet, dass Norwegen, Irland und Spanien nun einen nicht existierenden „palästinensischen Staat“ anerkannt haben – ein Schritt, den es ohne den 7. Oktober nicht gegeben hätte.

Vermutlich hat nicht einmal die Hamas selbst damit gerechnet, dass sie für ihre Verbrechen derart belohnt werden würde. Terror hat sich für Gazas Islamisten ausgezahlt, denn die Welt begreift noch immer nicht, mit wem sie es bei der Hamas zu tun hat.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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14 Kommentare

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  • Was für eine unsinnige Argumentation. Israel bzw die Netanjahu Regierung wird nach ihren Taten beurteilt. Hamas nach seinen.

    Der Hass auf beiden Seiten macht die Suche nach einer diplomatischen Lösung notwendiger denn je. Das ist das Ziel der Initiative Spaniens, Irlands und Norwegens.

    Die Bundesregierung hingegen liefert bevorzugt Waffen an Israel. Bedenken gibt es immer nur bei Lieferungen an die Ukraine. Die palästinensische Zivilbevölkerung ist völlig rechtlos. Ein Armutszeugnis für die Länder im Westen, die tatenlos zuschauen.

  • Danke Frau Mertens, es freut mich diese Klarheit in einem dezidiert linken Blatt lesen zu können. Umso mehr als dass sich im Zuge dieses Menschheitsverbrechens der Hamas nicht wenige Linke in meinen Augen vollkommen diskreditiert und ihre üble Verlogenheit offenbart haben indem sie sich als unfähig erwiesen haben diese Verbrechen als das zu verurteilen was sie sind und sie stattdessen noch zu relativieren suchten. Das hat mich offen gestanden mit einem kaum auszudrückenden Ekel erfüllt.

  • Die bestialische Attacke der Hamas gegen Israel ist durch (absolut!) nichts zu rechtfertigen. Genau darum müsste der "Rest" der Welt eigentlich alles tun, um zu verhindern, dass die Hamas damit irgendeinen Erfolg erzielt.

    In der gegenwärtigen Situation ist (leider) jedes Zugeständnis an die Palästinenser und jeder Druck auf Israel ein Erfolg für die Hamas.

    An einer Zwei-Staaten-Lösung führt kein Weg vorbei. Zwar ist sie keine Garantie für Frieden, aber ohne sie kann es keinen Frieden geben. Nur ist das ein Projekt für eine Zeit nach der Hamas und anderer palästinensischer Terrororganisationen, denn auch bevor diese nicht "ausgeschaltet" sind, kann es keinen Frieden geben.

    Wer jetzt einen palästinensischen Staat anerkennt, der muss diesem zumindest gleichzeitig seine Grenzen aufzeigen (niemals "from the river to the sea"), und Gerichte der UN müssen deutlich machen, dass auch ein (vielleicht) "überreagierender" Verteidiger nicht auf einer Stufe mit den Angreifern steht.

  • Ich denke, Frau Mertins, Sie übernehme hier etwas zu unreflektiert das Narrativ von Netanjahu und Co.

    So ist es zB nicht so, dass 'die Welt nur Israel an den Pranger stellt'. Aber sicher hat das anfangs sehr große Verständnis 'der Welt' für das Vorgehen Israels im Gazastreifen mit zunehmendem Abstand zum 7. Oktober und mit den damit zunehmenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung nachgelassen - zumal das eigentliche Ziel, nämlich der Zerstörung der Hamas (das von Anfang an utopisch erschien) und die Befreiung der Geiseln immer noch nicht erreicht ist.

    Wenn Sie also auf Grund der von den supranationalen Institutionen kürzlich getroffenen Entscheidungen zur Mäßigung eine Belohnung der Hamas sehen, dann ist das vermutlich tragischerweise richtig, aber eben leider eine Folge des unbesonnenen Vorgehens der israelischen Regierung und des IDF, ohne das es nicht so weit gekommen wäre.

    • @EffeJoSiebenZwo:

      Wenn es um Leben oder Tod geht, dann kann man von einem Verteidiger nicht erwarten, dass er "besonnen" gegen einen Angreifer vorgeht, um diesem und/oder seinem "Gefolge" einen möglichst geringen Schaden zuzufügen. Zeit zur "Besinnung" hat der Verteidiger frühestens dann, wenn vom Angreifer keine lebensbedrohliche Gefahr mehr ausgehen kann.

  • Leider vermisse ich bei all den Palästinafans Vorschläge und Alternativen, wie Israel auf den Terror hätte reagieren sollen. Einfach akzeptieren und drauf warten, dass die Hamas wieder zuschlägt?

  • Sehr geehrte Frau Mertins,



    selten haben Sie mir so aus der Seele gesprochen!

  • Die Empörung ist verständlich, dennoch kann ich sie nicht teilen.



    Unzweifelhaft ist der militärische Arm der Hamas eine Terrororganisation, aber ebenso unzweifelhaft sind Forderungen der rechtsradikalen Mitglieder der israelischen Regierung und durch sie ausgelöste Aktionen mörderisch und menschenverachtend.



    Strafrecht sollte immer nur auf die Tat schauen, nicht auf Ansehen, Herkunft, Religion, Gesinnung oder Absicht (die kann mildernde Einflüsse haben).



    Auch darf ein internationales Strafrecht Kriegsverbrechen nicht bewerten, nach Überfall, Angriffskrieg oder Gegenwehr.



    Eine Tat bleibt eine Tat. Mord bleibt Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit kennen keine mildernden Umstände.



    Die Autorin schreibt, dass die israelische Justiz gegen Kriegsverbrechen ermittelt.



    Erstens, sie tut dies höchst halbherzig, denn ich sehe nicht, dass gegen Kabinettsmitglieder, die zum Massenmord aufrufen ermittelt wird.



    Zweitens muss ich an einer Apartheitsjustiz (eine Justiz, die für Bewohner des gleichen Landes unterschiedliche Rechtssysteme verwendet) doch erheblich zweifeln.

  • Danke für diese klare Einordnung.

  • Die Beantragung von Haftbefehlen gegen beide Seiten halte ich für richtig. Auch israelische Soldaten - Scharfschützen in Gaza und auch Drohnen - töten übrigens gezielt Zivilisten.



    Das mit dem Staat hätte schon viel früher passieren sollen. Sie schreiben so schön, "nicht existierend". Wissen Sie, wer existiert? Palästinenser, die gern in Sicherheit leben würden. Z. B. ohne Furcht vor willkürlicher Verhaftung ihrer Kinder, die angeblich Steine geworfen haben. Oder vor Siedlern, die Menschen bei der Olivenernte auf ihrem eigenen Land töten. Ja, schon lange, lange vor dem 7. Oktober.

  • Es ist das Gesamtbild welches die Netanjahu Regierung erzeugt hat und dieses Bild reicht von der Westbank bis nach Gaza. In dieses Bild fügen sich die Pro-Pali Proteste, die Haftbefehle etc. Hier wird von der Außenwelt auch gerne mit zweierlei Mass gemessenen, denn von demokratischen Staaten wird anderes erwartet als die von Israel hingelegte Performance.

    Leider sind dabei die Reaktionen dritter oftmals derart überzogenen, dass der Vorwurf der Doppelmoral nicht von der Hand zu weisen ist. Diese Umkehrwirkung lässt die Hamas augenscheinlich in einem Licht dastehen, wie es selbst die besten PR Unternehmen nicht besser hinbekommen hätten.



    Es besteht aber Hoffnung, dass sich die Verhältnisse wieder geraderücken wenn der Reibepunkt in Form von Netanjahu und Co. nicht mehr existiert. Es wäre Aufgabe der israelischen Gesellschaft darauf hinzuwirken eine Regierung ins Amt zu verhelfen die sich intensiver für die Freilassung der Geiseln einsetzt und sich an einem Zukunftsplan für die Region zumindest beteiligt.



    Das wäre ein deutliches Zeichen an alle Kritiker und könnte dazu beitragen das die Hamas von der Welt als das betrachtet wird was sie ist: eine islamistische Terrororganisation.

  • Sehe ich anders. Da wird nichts gleichgesetzt.

    Das Massaker des 7. Oktobers hat zweifellos keinen Namen. Die 35000 Toten in Gaza eben auch nicht. Beides ist nicht gleich, auch nicht gleichzusetzen. Aber beides ist furchtbar.

    • @tomás zerolo:

      Und doch ist das Eine direkte Folge des Anderen.

    • @tomás zerolo:

      Natürlich ist beides furchtbar. Aber: Die Gleichsetzung ist natürlich sehr wohl implizit in der Auswahl des Timings. Dass es durchaus Absicht war, das alle Haftbefehle gleichzeitig beantragt wurden, ist aus meiner Sicht ziemlich naheliegend. Und das halte ich für infam.