Gerichtsurteil in Hamburg: Volksinitiative verboten

Richter erklären Volksbegehren zur Streichung der Schuldenbremse für verfassungswidrig. Die Initiative will nun eben politisch weiterkämpfen.

Menschen in einer Reihe stehem im Regen und halten Schilder

Stehen ein für ihr Anliegen bei Wind und Wetter: Volksinitiative „Schuldenbremse streichen!“ Foto: dpa

HAMBURG taz | In Hamburg werden in den nächsten Monaten auf der Straße keine Unterschriften für das Volksbegehren „Schuldenbremse streichen“ gesammelt. Das hat das Verfassungsgericht entschieden. Die Sammlung für den Gesetzentwurf der Ini­tiative sei „nicht durchzuführen“, heißt es in der Urteilsbegründung, die Gerichtspräsidentin Birgit Voßkühler Freitag verlas. Damit wird dem Antrag von Senatsstaatsrat Jan Pörksen stattgegeben, der am 23. ­April stellvertretend für den rot-grünen Senat den Stopp der Initiative beantragte.

Bereits im Mai 2019 hatte das Gericht ebenfalls auf Antrag des Senats die Volksinitiative für mehr Personal in Krankenhäusern gestoppt, der Ausgang ist daher nicht verwunderlich. Etwas überrascht habe ihn die Begründung, sagte Mit-Initiator Elias Gläsner. Wäre es doch bei der Verhandlung Anfang November vor allem um den Vorwurf der Irreführung gegangen.

Denn Pörksen hatte einen Strauß von Angriffspunkten gegen die Initiative aufgeführt, die es nur auf den Absatz 1 des Artikels 72 der Landesverfassung abgesehen hat, indem es heißt, Einnahmen und Ausgaben seien „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“. Unter anderem Betreibe die Initiative eine „Irreführung der Stimmberechtigten“, also der Wähler, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse des Bundes für alle Länder weiter gültig wäre.

Soweit ging das Gericht nicht. Denn im Begründungstext der Volksinitiative sei ja zu lesen, dass es im Fall des Erfolgs eine fortbestehende Bindung an die Beschränkungen der Kreditaufnahme aus dem Grundgesetz gebe. Das Ziel der Initiative, eine bundesweite Debatte zur „Schuldenbremse“ anzustoßen, werde ausreichend deutlich.

Nichts zu sagen beim Haushalt

Der sicherlich mit dem Ziel, Stimmen zu gewinnen, verfasste Text überschreite „nicht die Grenze einer irreführenden Beeinflussung“. Auch den Vorwürfen gegen die im Wesentlichen von studentischen Gruppen getragene Volksini, sie verstoße gegen das „Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens“, folgten die neun Richter nicht.

Und doch hatte der Senat Erfolg. Aus Sicht der Richter verstößt die Initiative gegen Artikel 50 der Hamburger Verfassung, nach dem Haushaltspläne nicht Gegenstand von Volksinitiativen sein dürfen. Das Budget­recht stehe allein der Bürgerschaft zu, sagte Richterin Voßkühler. Der Haushaltsplan „ist nicht nur ein Wirtschaftsplan, sondern zugleich ein staatsleitender Hoheitsakt“.

In der repräsentativen Demokratie müsse das Parlament diese Befugnis haben, solle nicht der Zusammenhang zwischen Wahl und Zur-Verantwortung-gezogen-Werden zerbrechen. Entsprechend könne das vorgeschlagene Gesetz zur Streichung der Schuldenbremse nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein, „da mit ihm wesentliche verfassungsrechtliche Vorgaben für die Feststellung der Haushaltspläne geändert werden sollen“, betonte Voßkühler.

Die Bürgerschaft hatte die Schuldenbremse 2012 mit einer Zweidrittelmehrheit in der Landesverfassung verankert. Seit 2020 muss der Senat grundsätzlich ohne neue Kredite auskommen, was aktuell wegen der Corona-Naturkatastrophe nicht gilt.

Elias Gläsner, Volksinitaitive „Schuldenbremse streichen“

„Das Urteil ist ärgerlich, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Schuldenbremse so nicht haltbar ist“

Für das Gericht wäre die zusätzliche Verankerung in der Landesverfassung nicht nötig gewesen – schließlich gilt eben auch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Dies unterstreiche jedoch „den besonderen Stellenwert, den die Bürgerschaft diesem Verbot beigemessen hat“, so Voßkühler.

Das Ansinnen der Volksinitiative wäre zudem nicht mit dem Grundgesetz selbst vereinbar. Dort heißt es in Artikel 109, Absatz 3: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Abweichungen sind danach nur bei „einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ sowie bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen wie etwa der Coronapandemie möglich.

„Das Problem ist ja nicht gelöst“, sagte Medizinstudent Gläsner. Die Schuldenbremse existiere immer noch, gleichzeitig bestehe die gesellschaftliche Notwendigkeit von mehr Investitionen weiter. „Deshalb ist das Urteil für uns erst mal ärgerlich, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Schuldenbremse so nicht haltbar ist.“

Durch die Coronakrise werde das Problem verschärft, weil die außer der Reihe aufgenommenen Kredite binnen kurzer Fristen getilgt werden müssen. Die Initiative werde ihre Arbeit fortsetzen, sagte Gläsner. Denkbar sei auch eine Normenkontrollklage gegen die Schuldenbremse beim Bundesverfassungsgericht, weil diese gegen das ebenfalls im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip, das Föderalismusprinzip und das Demokratieprinzip verstoße.

Linke warnt vor drastischen Haushaltskürzungen

Staatsrat Jan Pörksen äußerte sich dagegen zufrieden, habe das Gericht doch „sehr klar gesagt“, dass das Volksbegehren nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Auch Parlamentspräsidentin Carola Veit zeigte sich erfreut. Zwar greife im Grunde jede Volksinitiative irgendwie in Haushaltspläne des Parlaments ein, hier gehe es aber „um die ganz große Linie“.

Der Linken-Haushaltspolitiker David Stoop sagte, auch wenn das Urteil „formaljuritisch korrekt sein mag“, sei es nicht gut, wenn Volksinitiativen immer häufiger per Gericht ausgehebelt würden. Die Initiative habe gute Argumente. „Wenn in zwei Jahren die Schuldenbremse in Hamburg wieder greift, wird das zu drastischen Kürzungshaushalten führen“, so Stoop. „Das widerspricht jeder ökonomischen Vernunft.“

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