Gerhart Baum ist tot: Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Der ehemalige Innenminister Baum trat sein Leben lang für Freiheitsrechte ein. Auch im hohen Alter ging der Liberale mit Parteichef Lindner hart ins Gericht. Jetzt ist er im Alter von 92 Jahren gestorben.
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Baum war ein liberales Schwergewicht und gehörte zu dem Kreis von Politikern, die das Wesen der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit nachhaltig prägten. Geboren wurde er 1932 in Dresden, als Kind überlebte er die Bombardierung der Stadt. Seine Mutter, eine Russin aus Moskau, die nach der Oktoberrevolution 1917 das Land verlassen hatte, floh mit ihren drei Kindern erneut. 1950 landete die Familie in Köln, jedoch ohne Baums Vater, der in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starb.
Baum studierte wie der Vater und Großvater Jura und trat in die FDP ein. 1972 zog er über die nordrhein-westfälische Landesliste in den Bundestag, sechs Jahre später wurde er Innenminister in der sozialliberalen Koalition von Helmut Schmidt (SPD). In der Zeit nach den Studierendenprotesten 1968 machte er auf sich aufmerksam, als er den Radikalen-Erlass abschaffte, mit der Bewerber für den öffentlichen Dienst in ihrer politischen Gesinnung geprüft wurden.
Doch er geht noch weiter: Schon damals sorgte er auch innerhalb seiner eigenen Partei für Kritik, weil er sich dazu bekannte, die politischen Motive der Roten Armee Fraktion (RAF) verstehen zu wollen. 2022 sagte er in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, er habe „Ursachenforschung betrieben“. „Ich bin auf Spurensuche gegangen: Was ist in der Gesellschaft passiert, dass es zu dieser Mordserie gekommen ist?“
Schmidt fand Baum „zu liberal“, ihre Beziehung sei dennoch durch gegenseitigen Respekt gekennzeichnet gewesen, sagte der FDP-Politiker Jahre später. Baum bezeichnete Schmidt dagegen etwa bei dem Thema Menschenrechte als „Muffel“. „Ich habe mich mit ihm oft darüber gestritten. Er hat immer gesagt: „Was interessiert die Chinesen, was wir von ihren Menschenrechten halten?“
Wie sehr Baum seine eigenen Werte auch entgegen seiner Parteiräson verteidigte, wurde vor 40 Jahren deutlich: Als die FDP 1982 die sozialliberale Koalition platzen ließ, stand Baum auf der Seite von SPD-Kanzler Schmidt. Anders als seine Parteifreund*innen Ingrid Matthäus-Maier oder Günter Verheugen verließ er die Liberalen aber nicht. Er nahm sich vor, den linksliberalen Flügel neu aufbauen und politische Visionen jenseits des reinen Wirtschaftswachstums zu entwickeln.
Das hatte sich Baum auch diesmal wieder vorgenommen. „Die Ära Lindner, wie wir sie kannten, ist zu Ende“, sagte er im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger. Er sei „verstört“ gewesen, wie der Parteichef seinen Abgang aus der Bundesregierung inszeniert habe. „Die Art und Weise, die Ampel zu verlassen, hat zu einem Vertrauensverlust geführt.“
Einen Austritt aus der FDP zog Baum dennoch nie in Erwägung. „Es braucht eine starke liberale Partei. Die allerdings viel stärker auf Bürgerrechte, Einhegung der Digitalkonzerne und Klimaschutz setzt. Sie darf keine Klientelpartei für Wohlhabende sein.“ Baum sagte, er wolle die FDP nicht verlassen. „Ich möchte sie verändern.“
Dieses Erbe müssen nun andere in der Partei antreten. Gerhart Baum ist im Alter von 92 Jahren gestorben.
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