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Gerhart Baum ist totDie FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen

Der ehemalige Innenminister Baum trat sein Leben lang für Freiheitsrechte ein. Auch im hohen Alter ging der Liberale mit Parteichef Lindner hart ins Gericht. Jetzt ist er im Alter von 92 Jahren gestorben.

Mit Parteichef Lindner und seiner streng wirtschaftsliberalen Truppe konnte Baum nicht viel anfangen Foto: Kay Nietfeld/dpa

München taz | Gerhart Baum blickte mit einiger Erschütterung ins neue Jahr. Der Jurist und Menschenrechtler sprach Ende Dezember mit seiner Heimatzeitung, dem Kölner Stadtanzeiger, über seine Sorgen: über den zunehmenden Rechtsruck im Land, die Einschränkung der Grundrechte, die Angst vor einer globalen militärischen Eskalation. Auf den Zustand seiner Partei, der FDP, wollte Baum in dem Interview nur beiläufig eingehen. Mit Parteichef Christian Lindner und seiner streng wirtschaftsliberalen Truppe konnte Baum nicht viel anfangen. Seine Kritik kehrte der ehemalige Innenminister dabei immer deutlicher nach außen.

Baum war ein liberales Schwergewicht und gehörte zu dem Kreis von Politikern, die das Wesen der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit nachhaltig prägten. Geboren wurde er 1932 in Dresden, als Kind überlebte er die Bombardierung der Stadt. Seine Mutter, eine Russin aus Moskau, die nach der Oktoberrevolution 1917 das Land verlassen hatte, floh mit ihren drei Kindern erneut. 1950 landete die Familie in Köln, jedoch ohne Baums Vater, der in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starb.

Baum studierte wie der Vater und Großvater Jura und trat in die FDP ein. 1972 zog er über die nordrhein-westfälische Landesliste in den Bundestag, sechs Jahre später wurde er Innenminister in der sozialliberalen Koalition von Helmut Schmidt (SPD). In der Zeit nach den Studierendenprotesten 1968 machte er auf sich aufmerksam, als er den Radikalen-Erlass abschaffte, mit der Bewerber für den öffentlichen Dienst in ihrer politischen Gesinnung geprüft wurden.

Doch er geht noch weiter: Schon damals sorgte er auch innerhalb seiner eigenen Partei für Kritik, weil er sich dazu bekannte, die politischen Motive der Roten Armee Fraktion (RAF) verstehen zu wollen. 2022 sagte er in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, er habe „Ursachenforschung betrieben“. „Ich bin auf Spurensuche gegangen: Was ist in der Gesellschaft passiert, dass es zu dieser Mordserie gekommen ist?“

Schmidt fand Baum „zu liberal“, ihre Beziehung sei dennoch durch gegenseitigen Respekt gekennzeichnet gewesen, sagte der FDP-Politiker Jahre später. Baum bezeichnete Schmidt dagegen etwa bei dem Thema Menschenrechte als „Muffel“. „Ich habe mich mit ihm oft darüber gestritten. Er hat immer gesagt: „Was interessiert die Chinesen, was wir von ihren Menschenrechten halten?“

Wie sehr Baum seine eigenen Werte auch entgegen seiner Parteiräson verteidigte, wurde vor 40 Jahren deutlich: Als die FDP 1982 die sozialliberale Koalition platzen ließ, stand Baum auf der Seite von SPD-Kanzler Schmidt. Anders als seine Par­tei­freun­d*in­nen Ingrid Matthäus-Maier oder Günter Verheugen verließ er die Liberalen aber nicht. Er nahm sich vor, den linksliberalen Flügel neu aufbauen und politische Visionen jenseits des reinen Wirtschaftswachstums zu entwickeln.

Das hatte sich Baum auch diesmal wieder vorgenommen. „Die Ära Lindner, wie wir sie kannten, ist zu Ende“, sagte er im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger. Er sei „verstört“ gewesen, wie der Parteichef seinen Abgang aus der Bundesregierung inszeniert habe. „Die Art und Weise, die Ampel zu verlassen, hat zu einem Vertrauensverlust geführt.“

Einen Austritt aus der FDP zog Baum dennoch nie in Erwägung. „Es braucht eine starke liberale Partei. Die allerdings viel stärker auf Bürgerrechte, Einhegung der Digitalkonzerne und Klimaschutz setzt. Sie darf keine Klientelpartei für Wohlhabende sein.“ Baum sagte, er wolle die FDP nicht verlassen. „Ich möchte sie verändern.“

Dieses Erbe müssen nun andere in der Partei antreten. Gerhart Baum ist im Alter von 92 Jahren gestorben.

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21 Kommentare

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  • Ohne Unvergleichbare(s) miteinander vergleichen zu wollen...



    Bei der Nachricht vom Tode Gerhart Baums geht es mir so ähnlich, wie es mir beim Abschied von den letzten Überlebenden der Naziverbrechen geht:



    Ein 'Ruhe in Frieden' dürfen wir nur aussprechen, wenn wir zugleich versprechen, uns dieser Toten bewusst zu bleiben und das, was mit ihnen zusammenhängt, in unserem Gewissen weiterleben und fortwirken zu lassen.

  • Und nun sind wir tatsächlich von allen guten Geistern verlassen - in jeder Hinsicht.

  • Auch das trägt zum Rechtsruck bei: Die Guten sterben weg. Zum Tod von Herrn Baum gibt es einen schönen Beitrag im Deutschlandfunk, lohnt sich anzuhören:



    www.deutschlandfun...nd-absage-100.html

  • Wenn man als FDP-Politiker von taz-Redaktion und -Lesern Lobgesänge erhält, war man vielleicht einfach in der falschen Partei. Hat auch wenig mit Standhaftigkeit zu tun, sich an die Haltung anderer Parteien anzuschmiegen.

    • @In aller Ruhe:

      Ach seinse mal nicht so fürchterlich selbstgerecht! Woll



      Gehöre ja wie gesagt der Groucho Marx Fraktion an: “… Ich möchte keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt.“



      Schon - aber zB bei der Asylschleifung Art 16 GG 1992 - habe ich zwar manchen Kollegen Weggefährten Freund gefragt “SPD?! & jetzt?“



      Aber über das „…deswegen…“ hinaus - nicht insistiert.



      Bei mir hatte - statt Job drangeben/solche Vorschläge gan es durchaus - damit leben:



      Besser gleichgesinnte & so auch ich - treffen fürderhin sojet Entscheidungen - als andere.



      In ehra Ägide könnse das arrogant feige etc nennen - is mir offen gesagt wumpe!



      Klar - kannste nur bis zum Horizont gucken (Robert Redford Jenseits von Afrika)



      Aber der die Haltung von Gerhard Baum verdient Respekt •



      “Egal welchen Weg du wählst/gehst -



      Am Ende wird jemand stehn & auf dich warten!



      Und das - wirst du sein! Gelle.

      (unterm—- Bonmot entre nous —;))



      Mir wird er auch - for something completely different - bei sei entern des 190 SL gern irgendwo inne Südstsdt in Erinnerung bleiben. 🙀🥳



      anyway - Quel homme - 💐 -

    • @In aller Ruhe:

      Nicht die falsche Partei - 'nur' das falsche Jahrhundert...



      Gerhart Baum war FDP'ler der Nachkriegszeit. Höhepunkt seines Schaffens und Wirkens kann man rund um die Ideen des Freiburger Kreises verorten. Das ist über 50 Jahre her...



      ...und entsprang einer FDP wie es sie heute nicht mehr gibt.



      Selbiges gilt aber auch für SPD und CDU... - die Zeit schreitet einfach immer weiter, unaufhörlich, unerbittlich, und mit ihr wandeln sich Gesellschaft als auch Ideen und Konzepte.



      Gerhart Baum war einer aus längst vergangenen Tagen - leider möchte man sagen, aber das verharren im Gestern hat noch nie geholfen.



      Ruhe sanft, streite wacker - beati pacifici quoniam filii dei vocabuntur

    • @In aller Ruhe:

      Ach so ist das!? Kann es nicht sein, dass dieser Mann die Errungenschaften und die Ziele der Aufklärung verstanden hatte? Es gab Zeiten, da gab es in dieser (nunmehr Ex-)Partei viele davon und er war der Letze. Wenn das keine Standhaftigkeit war, was war es dann??

  • Das war einer -wenn nicht DER- Letzten, die noch den Begriff von Freiheit verstanden hatten. Er hat die Errungenschaften der Aufklärung verteidigt und angewandt. Er ist nicht der neuen Maxime der FDP gefolgt, dass die Macht des Stärkeren etwas mit Freiheit zu tun hat, dass dieses Prinzip diametral dem liberalen Grundsatz entgegensteht. Er war nicht rücksichtslos...

    • @Perkele:

      > Das war einer -wenn nicht DER- Letzten, die noch den Begriff von Freiheit verstanden hatten.

      Da tun Sie aber Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unrecht...

  • Ein gescheiter Mann und eine große Persönlichkeit - Gerhart Baum, ist von uns gegangen.



    Politische Entwicklungen auch immer zu hinterfragen, dazu gehörte auch immer Mut, diese, seine Stärke darf man bewundern.



    Möge sein geistige Haltung wieder in unsere Regierung einziehen mögen.



    Danke - für soviel Engagement in der Sache.



    Wir werden Gerhart Baum nicht vergessen.

  • Es gab mal Dahrendorf, Flach, Hirsch und eben Baum. Jetzt ist das letzte Feigenblatt gefallen. Das menschliche Antlitz des Liberalismus ist nicht mehr. Er ruhe in Frieden, der ruhelose Freiheitsmensch Baum.



    Und seine Nicht-mehr-Partei FDP sollte sich 12 Jahre außerparlamentarisch von Lindner entgiften.

  • Ich hoffe, er hatte noch die Möglichkeit seine Stimme zur Bundestagswahl per Briefwahl zu machen. Das wäre ihm sicherlich ein Bedürfnis gewesen. Und ich glaube, wenn er denn gewählt hat, dann wahrscheinlich nicht die FDP.



    R.I.P.

  • Der Liberalismus des Gerhart Baum ist mit ihm gestorben. Was bleibt ist ein ausgehöhlter trockener Stamm ohne Leben, nur in den Jahresringen kann man noch feststellen, wann Leben im Baum des Liberalismus war.



    Und nur Lindner heißen wird keine Wiederaufforstung bringen. Der Mann ist kein liberalter Förster, sondern eine neoliberalte Axt.

  • In meinen jungen Lehrjahren war Gerhard Baum einer derjenigen, der mich politisch prägend sozialisiert hat - ich habe ihm einiges zu verdanken, denn er trägt die Verantwortung dafür, dass ich heutzutage in Sachen Asylpolitik nicht mit den Wölfen heulen kann - auch nicht mit denjenigen, die - ob aus Opportunismus oder lauteren Motiven - meinen, sie müssten die Menschenrechte auf dem Altar des rechtspopulistischen Mainstreams opfern.



    Gerhard Baum zählte für mich zu den „Guten“, auch wenn ich für die Partei, der er angehörte, nur Verachtung übrig hatte, 1982/83 genau so wie heute.



    Möglicherweise würde er es nicht gutheißen, dass ich mich heute wieder der Linken zuwende. Aber er würde es verstehen.

  • Gerhart Baum ist mein Bruder im Herzen.



    Zu seiner aktiven Zeit war ich FDP-Wähler.



    Heute hoffe ich dass FDP aus dem Bundestag fliegt.

  • Mit Tucho “…einen hatten wir…“

    Gerhart Rudolf Baum - gute Reise - one of the last of the mohicans •



    Burhhard Hirsch & Hildegard Hamm-Brücher -



    Warten schon - 💐💐 - 💐 -



    (& ps Sabine Leutheusser-Schnarrenberger -



    “eine die auch anders ist - was soll frauman da nur raten?“)



    Farewell Gerhart Rudolf Baum

  • "Einen Austritt aus der FDP zog Baum dennoch nie in Erwägung. „Es braucht eine starke liberale Partei. Die allerdings viel stärker auf Bürgerrechte, Einhegung der Digitalkonzerne und Klimaschutz setzt. Sie darf keine Klientelpartei für Wohlhabende sein.“ Baum sagte, er wolle die FDP nicht verlassen. „Ich möchte sie verändern.“..."



    Eine absolut honorige Haltung eines Mannes vom Profil des "Elder Statesman", der temporär eine Dauerkarteninhaber-analoge Präsenz in Talkshows zu brisanten Themen im TV hatte, immer auf der Höhe, eloquent, sachlich und meist väterlich warmherzig im Ton. Seine Stimme wird uns allen fehlen, seine Kurskorrektur-Vorschläge sind sein Vermächtnis, seine Visionen ein Auftrag.



    Seine Standhaftigkeit erinnert viele Gläubige an ihr Verhältnis zu ihrer Kirche, wenn es um die Frage geht: Was kann man nur von innen verändern?

  • taz: *Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen. [...] Mit Parteichef Christian Lindner und seiner streng wirtschaftsliberalen Truppe konnte Baum nicht viel anfangen.*

    „Ende Januar 2024 wurde Baums unermüdlicher Einsatz für die Menschenrechte von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln mit der Ehrendoktorwürde gewürdigt.“ [Gerhard Baum - WIKIPEDIA]

    Gerhard Baum war ein feiner und anständiger Politiker, der damals den linksliberalen Flügel der FDP neu aufbauen wollte. Das ist aber leider total schief gegangen, denn heute ist die FDP nur noch eine 'Klientelpartei für Wohlhabende'. In der gegenwärtigen FDP gibt es nur noch Leute wie Christian Lindner. Mehr ist zur jetzigen FDP – und ihr "sozialliberales Gewissen" – auch nicht zu sagen.

  • Jetzt ist von der FDP nichts Vernünftiges mehr übrig.

  • Auch wenn man jederzeit damit rechnen musste: der Tod von Gerhart Baum hinterlässt eine große Lücke. Er war noch eine echte Persönlichkeit. Damit kann/konnte sich keiner wie Rösler, Westerwelle oder Lindner oder wie sie alle hießen/heißen, vergleichen. Aber es ist, wie es ist: die mahnenden Stimmen und die großen Männer und Frauen sterben nach und nach aus - und neue kommen selten nach!

  • Baum war einer der Großen, wenn es um "liberal", eingebunden in "sozial" ging. Genscher war auch noch so. Heute ist die FDP eher zum