Gentrifizierung erreicht das Umland: Sommerhaus und Sommerglück ade
Im Herbst laufen DDR-Nutzungsverträge für Datschen aus. Viele Pächter geben auf. An ihre Stelle tritt eine zahlungskräftige Großstadtklientel.
Ein Häuschen aus Holz, öfter noch aus unzerstörbarem Asbest, dazu ein blühender Garten trotz sandigem Grund: Die Datsche war in der DDR nicht nur eine Reminiszenz an den Lebensstil des großen Bruders Russland, sie war Naturgut, Refugium, das kleine grüne Paradies. Bescheiden und erschwinglich, wenn man eine fand.
Monika Gerlach, die Psychotherapeutin, und Annabelle Gerken, die Psychologin, haben seit 2011 eine Datsche etwa 50 Kilometer außerhalb ihres Erstwohnsitzes Berlin-Kreuzberg gepachtet. Sie liegt einsam inmitten brandenburgischer Schönheit: Wald, Wiesen, Seen. Das reinste Sommerglück.
Sie haben ihr 30-Quadratmeter-Häuschen einem Ehepaar abgekauft, das dort 40 Jahre auf dem 600-Quadratmeter-Grundstück wohnte und handwerkelte. Eingeschlossen von dicken Thujahecken haben sie jahrelang daran gearbeitet, einen bunten Sommergarten auf saurem Boden daraus zu machen. Es steckt viel Herzblut in ihrem Sommerhaus.
Den ganzen Sommer verbracht
Die kleine Werkstatt hinterm Haus zeugt von der handwerklichen Akribie des Vorbesitzers: Schraubendreher in großer Auswahl in Reih und Glied an der Wand, Nägel, Schrauben, alles bestens geordnet. Eine Werkbank, Schraubstock, Säge. „Sie haben die Bretter für das Haus noch mit dem Fahrrad vom 20 Kilometer entfernten Königs Wusterhausen hertransportiert“, erzählt Monika. „Hier haben sie den ganzen Sommer verbracht.“
Im Unterschied zu den Berliner Kleingärten, die dem Bundeskleingartengesetz unterstellt sind, haben die Datschen der ehemaligen DDR kaum Auflagen. Ein Land der Freien: Es geht nicht um Heckenhöhe oder das zulässige Gemüsesortiment. Egal, ob Thuja, Tomate oder Obstbäume – jeder hegt sein Gärtchen, wie er will, wie er kann, oder auch gar nicht.
Das Wort Datsche stammt aus dem Russischen. Es ist eines der wenigen Wörter, das aus dem ostdeutschen Sprachgebrauch überlebt hat. Das russische Wort „dat“ bedeutet Landgeschenk – eine Belohnung der Fürsten für ihre Getreuen. Auf der Datscha lebten Anna Karenina und Oblomow, bei Turgenjew verliebte sich ein Familienvater in der grünen Idylle in die Nachbarin, und Gorki rechnete mit der Intelligenzija ab im Stück „Datschniki“, zu Deutsch: Sommergäste. Die Datscha ist ein Stück russischer Kultur.
Grundstücksfragen wurden in der DDR eher nicht gestellt. Grund und Boden gehörte meist dem Staat und galt als Volkseigentum. Es bedarf keines eigenen Grundstücks, um ein Haus, eine Datsche oder eine Garage zu errichten. In der DDR war es üblich, dass die Kommunen das benötigte Stück Land den Bauwilligen zur Nutzung überließen. Und die zahlten eine Pacht dafür. Der Clou an dieser Regelung: Bei Eigentümerwechsel ging das Nutzungsrecht für Garage oder Datsche schlicht auf die/den neue/n Eigentümer/in über. Das war so für die Ewigkeit vorgesehen. Eigentlich.
Nach bundesdeutschem Recht geht das nicht mehr; Übergangsfristen laufen nun aus: Danach gehören dem Eigentümer des Grundstücks immer auch die darauf errichteten Gebäude – es sei denn, so die Ausnahme, er hat die Grundstücke in Erbpacht vergeben. Das ist ja derzeit sehr in Mode. (heg)
Auch in der DDR wurde mancher Getreue mit einer Datsche belohnt. Denn diese war begehrt. Doch nicht alle eingesessenen Datschenbesitzer waren mit der Stasi verbandelt, manche hatten einfach nur Glück: Stille, Vogelgezwitscher, Blätterrauschen. Eine Eidechse, die träge in der Sonne döst, um dann rasend schnell zu verschwinden. Das Eichhörnchen, das Äpfel klaut. Nichts vorhaben, nichts müssen, in den Tag hineinleben. Schwimmen, Radeln, Spaziergehen. Ein Plausch über den Gartenzaun oder das gemeinsame Bier am Abend. Ein überschaubares, reizarmes Leben in der Natur, dessen größter Störfaktor die Stechmücken sind. Und wo die Probleme vorübergehend auf das Moos im Gras zusammenschrumpfen.
Ein neuer Besitzer
Doch für die Pächter ist die Zeit der Unbeschwertheit, der Lässigkeit, der sozialverträglichen Pacht vorbei. Ein neuer Besitzer hat die Datschensiedlung von Monika und Annabelle 2015 von der Erbin erworben. Der Versuch der Pächter, das Land selbst zu kaufen, scheiterte an ihrem organisatorischen Unvermögen. Und an ihrer Fehleinschätzung, es sei wertloses Land, abgelegen und wenig fruchtbar.
Heute kommen viele der Altbesitzer nicht mehr nur in ihren „banja“, den kleinen Saunen, die an manche der Datschen angebaut sind, zum Schwitzen. Heute reicht schon die Begegnung mit dem neuen Besitzer, nebst Partner und seinem Jack-Russell-Terrier. Wenn die beiden durch die kleine Siedlung spazieren und freundlich links und rechts grüßen, mag ihnen mancher eine Feudalherren-Attitüde unterstellen.
Sie selbst sehen sich als weltoffene, naturliebende Thuja-Feinde. Der altmodische Totalsichtschutz ist längst aus der Mode. Heute steht man auf offene Gärten, offene Türen und Diversität. Neues Leben zieht in den Mief der Ost-Enklave ein. Der neue Besitzer sucht, nach eigenen Aussagen, ein freundliches Miteinander. Das gute, friedliche Landleben, wie es heute so viele Städter ersehnen. Er verschönert die Siedlung, die nun ihm gehört: pflanzt Obstbäume, legalisiert die normfreien, selbstgebauten Kamine, verbreitert die Zufahrtswege. So kommt Licht in die improvisierten Grauzonen der selbstgebauten Sommerhäuschen.
Dabei ist es kein Widerspruch, wenn der neue Besitzer versucht sein Land zu vergolden. Seine Rentenversicherung, wie er auf der Sitzung des Datschenvereins sagt. Zunächst hat er die Pacht vervierfacht. Nebenbei sägt er beharrlich am Status des Landschaftsschutzgebiets, zu dem die Datschensiedlung gehört, und verhandelt mit der Gemeinde, um das Grundstück als „Sondergebiet Erholung“ auszuweisen. Sein Ziel ist, das Land zur Feriensiedlung zu machen und durch dann mögliche Baumaßnahmen „aufzuhübschen“, wie er sagt. Wie man weiterdenken kann, ließe es sich so auch profitabel vermarkten.
Das Recht zur Nutzung reichte aus
Als die Datschen zu DDR-Zeiten gebaut wurden, erhielt man Grund und Boden zur Pacht, zumeist direkt von der Kommunalen Wohnungsverwaltung. Es war für den Bungalow nicht nötig, Grund und Boden zu besitzen. Das Recht zur Nutzung war ausreichend. Ein Auslaufen solch eines Pachtvertrags war fast ausgeschlossen. Oft wurden auch Grundstücke zur Verfügung gestellt, deren Eigentümer aus der DDR geflohen waren.
Bis 1989 wurden etwa 1,6 Millionen selbstgebaute Bungalows auf gepachtetem Land errichtet. Nach Schätzungen gibt es in den Ost-Bundesländern und im Ostteil Berlins heute noch zirka 200.000 Datschen mit DDR-Verträgen. Meistens stehen sie im Außenbereich der Gemeinden, wo kein Bauland ausgewiesen ist. Es sind kleine Naturparadiese mit Kranichen, Störchen, Wildgänsen, die in den Sumpfgebieten an den zahlreichen Seen Brandenburgs ausreichend Nahrung finden. Naturräume, die trotz ihrer Nähe zu Berlin noch nicht Beute der Bodenspekulation geworden sind.
Doch das ändert sich gerade, wie sich an der Datschensiedlung von Monika und Annabelle sehen lässt. Die Pachterhöhung haben die beiden geschluckt, schon kommt der nächste Schritt: Nun will der Besitzer Infrastruktur, Strom und Wege, verbessern. Die Kosten werden auf die Pächter umgelegt. „Wir sollen zahlen, ohne dass wir irgendwelche Rechte haben“, sagt Monika.
Möglich ist das wegen des „Schuldrechtsanpassungsgesetzes“, das nach der Wiedervereinigung 1994 vom Bundestag beschlossen wurde und am 1. Januar 1995 in Kraft trat. Es gilt für alle Verträge, die zu DDR-Zeiten für Gebäude auf Wochenend- und Erholungsgrundstücken (Datschen) und Garagen auf fremdem Grund und Boden geschlossen worden sind.
Datschen gehören den Grundstückseigentümern
Seitdem das Gesetz in Kraft ist, gilt: Die Datschen gehören den Grundstückseigentümern. Für die Pächter wird es vor allem schwierig, wenn sie ihr Häuschen verkaufen wollen. Bis 2022 gibt es zwar noch einen Investitionsschutz, wonach der Eigentümer bei Kündigung des Vertrags den Zeitwert der Datsche zu entrichten hat. Doch Ende des Jahres läuft diese gesetzliche Regelung aus. Dann kann es sein, dass der Pächter leer ausgeht, möglicherweise sogar sein Häuschen kostenpflichtig abreißen und entsorgen muss, wenn der Eigentümer das will.
Holger Becker, Pressesprecher des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN), fordert, diese Ungerechtigkeit bei einer der letzten verbliebenen offenen Fragen der Wiedervereinigung zu lösen und das Schuldrechtsanpassungsgesetz zu ändern. Ansonsten drohen Zehntausenden Pächtern Rechtsunsicherheit und Kosten in fünfstelliger Höhe. „Das ganze Gesetz läuft zuungunsten der Pächter. Zum Jahresende werden die letzten Sicherungen rausgezogen“, sagt Becker.
Konkret fordert der VDGN die ersatzlose Streichung des Paragraf 15 Absatz 3 des Schuldrechtsanpassungsgesetzes. Diese Vorschrift hebt eine Regelung zur Verteilung des Kostenrisikos bei Abriss eines Wochenendhauses auf, ohne festzulegen, was stattdessen gelten soll. Diese Streichung sei der einfachste Weg, Rechtssicherheit für alle Betroffenen, gleichgültig ob Nutzer oder Eigentümer, herzustellen. Dann wäre eindeutig geregelt, dass der Nutzer selbst zum Abriss eines rechtmäßig errichteten Gebäudes nicht verpflichtet ist und allenfalls die Hälfte der Abrisskosten tragen müsste.
„Steht die Datsche auf Bauland, hat der Pächter sowieso ganz schlechte Karten“, sagt Holger Becker. „Aber im Außenbereich der Gemeinden, die nicht den Status eines Sondergebiets Erholung haben und kein Bauland sind, hat der Verpächter in der Regel kein Interesse am Abriss der Datsche, denn diese darf nicht wieder aufgebaut werden.“ In diesem Außenbereich hat der Pächter, egal ob er gekündigt wird oder selbst kündigt, weiter Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes, vorausgesetzt, dass der Eigentümer die Datsche weiter vermietet. Das ist dort noch der einzige verbliebene Schutz.
Die Tücken der Rechtsangleichung
In Monikas und Annabelles Siedlung haben 25 Prozent der Nachbarn bereits verkauft. Sie sind verunsichert, haben Angst, bei Kündigung nicht nur ihr kleines Sommerglück, sondern auch den Wert des Häuschens ab 2023 zu verlieren. Viele Altbesitzer verkaufen auch, weil sie sich die erhöhte Pacht als Rentner nicht mehr leisten können oder vom Gutsherrengehabe des neuen Besitzers abgeschreckt sind. Sie kapitulieren vor den Tücken der Angleichung der so unterschiedlichen Eigentumsordnungen in Ost und West.
„Es ist traurig“, sagt Monika. „Nicht nur Rentnerpaare geben auf, auch viele Familien mit Kindern, die sich bisher hier eine Sommerpause leisten konnten.“ Das Gefühl der Rechtlosigkeit mache Angst. Der neue Besitzer könne jederzeit kündigen. Die Leute hätten inzwischen Angst, für ihre Interessen einzustehen, sich zu äußern. „Ein neues Duckmäusertum West macht sich bereit“, sagt Monika. Es sei ein Gefühl der Hilflosigkeit, auch Wertlosigkeit. „Alles was einem jahrelang viel bedeutet hat, gehört einem nicht mehr, und das ist rechtlich so vereinbart“, erklärt sie.
Monika Gerlach, Datschenpächterin
Die alten Pächter gingen fast immer lautlos. Umso lauter dagegen treten viele der raumgreifenden, wohlausgestatteten Berliner Neuzugänge mit Familienauto und Faltboot auf. Sie suchen dringend einen Ort im Grünen, sie zahlen fast jeden Preis. Die Stadt hat es vorgemacht: Günstiger Wohn- und Lebensraum wird zum Spekulationsobjekt. Die Verdrängung der finanziell Schwächeren gehört dazu.
Gentrifizierung und Kalkül auf der einen, Angst und Unsicherheit auf der anderen Seite haben das Klima in der Datschensiedlung vergiftet. „Bei denen piept’s wohl“ ist noch eine harmlose Beleidigung. Die schlichten, zweckmäßigen Datschensiedlungen mit niedriger Pacht sind ein unprofitables Ostrelikt im begehrten Erholungsgürtel Berlins – und, wie es aussieht, in dieser sozialverträglichen Form ein Auslaufmodell.
Die Kühle der Natur, die Stille, der Erholungsraum sind ein kostbares Privileg. Und selbst der Fuchs wird sich wohl bald auf vegane Würstchen umstellen.
Die Identität der Protagonisten wurde auf ausdrücklichen Wunsch verändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen