Berlin geht gärtnern: Da wächst was auf uns zu

Über den Boom beim Gärtnern freuen sich Berlins und Brandenburgs Gärtnereien, die enorme Zuwächse verzeichnen. Sie hoffen auf eine neue Gartenkultur.

Ein Mann und ein Kind sind in einer Kleingartenpazelle mit Gartenarbeit beschäftigt, der Kirschbaum blüht

Immer mehr Menschen suchen Glück und Ent­spannung im Garten – und finden beides Foto: Ha­rald Krieg

BERLIN taz | Es gibt ein Buch des Botanikers und Biologen Ulf Soltau, das alles auf den Punkt bringt. Es hat den so schlichten wie genialen Titel „Gärten des Grauens“ und zeigt einfach nur die schlimmsten deutschen Vorgärten, wie wir sie alle kennen. Die Gärten glänzen mit schnurgeraden, immergrünen Sichtschutzhecken, für die sich kein Vogel und kein Insekt interessiert – und mit Schotter in allen Farben des Regenbogens auf dem Boden und in sogenannten Gabionen, also Steinkörben- und mauern aus Metall. Manchmal findet sich im Garten noch ein lächerlich beschnittener Strauch oder eine absurde Skulptur und das war’s.

Gärtnern in Deutschland kann eine traurige Angelegenheit sein. Es geht schon damit los, dass die meisten von Gartenarbeit sprechen, statt von Gartenkunst. Sie glauben, ihr Garten müsse vor allem pflegeleicht sein. Sie setzen sich vielleicht ab und zu zum Grillen raus, und zweimal im Jahr rennen sie zum Baumarkt, um sich angemessen zu bewaffnen. Es beginnt eine Art Motorsport. Denn nun geht es allem an den Kragen, was nicht ins geordnete Bild passt. Es wird unter Kontrolle gebracht, gejätet, gemäht und auf Kante geschnitten. Dabei schwitzen die Menschen, die das unter Gartenkunst verstehen, meist ganz schön.

In anderen Ländern ist das oft anders – Spe­zia­lis­t*in­nen erklären sich dieses seltsame deutsche Verhältnis zum sie umgebenen Grün manchmal damit, dass das Land nach dem Krieg zu viel damit zu tun hatte, wieder zu Ansehen und zu Wohlstand zu kommen. Es wurden Autos gebaut, statt Bäume gepflanzt.

Aber es gibt sie auch in Deutschland, die anderen Gärtner, die Gartenfans, die sich wirklich auf ihren Garten vor dem Haus, auf der urbanen Brache um die Ecke, an der Datsche oder auf dem Balkon einlassen. Es heißt immer, diese anderen Menschen lieben den Garten als Idylle oder Rückzugsort, aber das trifft es nicht ganz. Für viele, die wirklich gern im Garten Hand anlegen oder auch mal ganz entspannt von der Hängematte aus der Wiese beim Wachsen zuhören, ist der Garten eher so etwas wie ein Gegenkonzept zu unserer schnellen und effizienten Welt des zielgerichteten Handelns und der straffen Selbstoptimierung.

Der lebendige, unberechenbare Garten

So kann es zum Beispiel vorkommen, dass sich Gärt­ne­r*in­nen englische Rosen wünschen, um zwei Jahre später festzustellen, dass diese einfach nichts werden in unserer Region. Statt dessen sehen sie plötzlich die derben Kartoffelrosen in einem ganz anderen Licht. Sie lesen vom Knöterich, dass er am liebsten am Wasser steht, verzichten also lieber, und eines Tages bekommen sie einen geschenkt, und er macht sich trotz Hitze und Trockenheit prächtig. Sie waren darauf bedacht, beim Wildstaudenbeet an alles zu denken, was wertvoll und selten ist, und auf einmal taucht auf der anderen Seite des Gartens ein Kraut auf, das sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen und schon völlig vergessen hatten.

Für sie ist der lebendige Garten, in dem es wachsen und gedeihen darf, gerade deshalb so spannend, weil in ihm auch das Unberechenbare liegt. Wie man in den Garten hinein ruft, so schallt es selten wieder heraus. Gärten, die nicht überwältigt wurden, tun sehr oft Dinge, die wir nicht erwarten. Sie „amortisieren“ sich meistens auch nicht. Sie werden niemals fertig.

Und genau das ist der Kern der Gartenkunst, die in Deutschland viele Jahre nur von einer kleinen Minderheit gepflegt und genossen wurde.Doch langsam ist Licht am Horizont.

Seit Ausbruch der Pandemie gehen die Menschen verstärkt in den Garten, auch und gerade in und um Berlin. Die Kleingartenvereine können sich nicht retten vor Anfragen. Die Gärtnereien, die in der immer sandiger und trockener werdenden Region keinen leichten Stand haben, machen teilweise bis zu einem Drittel mehr Umsätze. Mehr und mehr junge Leute wollen wieder Gärt­ne­r*in werden, dem Klimawandel zum Trotz.

Geduld üben, ja, Demut

Vielleicht hat das damit zu tun, dass sich viele Menschen mehr oder weniger zwangsläufig und manchmal auch aus Frust ins Privatleben zurückgezogen haben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass gerade ein sehr guter Moment ist, der Natur gut zuzuhören, mit ihr ins Gespräch zu kommen, ja, den Hut vor ihr zu ziehen, Geduld zu üben, ja, Demut.

Wahrscheinlich hat es aber auch damit zu tun, dass Berlin trotz Wachstum und Verdrängung ein Experimentierfeld geblieben ist. Die Menschen haben nach wie vor mehr Zeit als in anderen großen Städten. Sie haben mehr Muse, über es­sen­ziel­le Dinge wie Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und Achtsamkeit nachzudenken. Nur Dinge zu tun, die nützlich oder zweckmäßig sind, wäre ihnen viel zu langweilig.

Es liegt an diesen Leuten, dass die grüne Revolution Corona überdauert. Dass die Gärten endlich anfangen zu wuchern, zu summen und zu brummen. Und dass die anderen Gärten, die unsäglichen Gärten des Grauens, allmählich aus der Mode kommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.