Gendergerechtigkeit in Deutschland: Objektiv messbar
Nie zuvor hatten Frauen so viele Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben. Trotzdem hat der Feminismus sein Ziel noch längst nicht erreicht.
I st der Feminismus überflüssig? Steile Frage. Gestellt von Martin Schröder, Soziologie-Professor an der Universität des Saarlandes. Er beantwortet sie gleich selbst, in seinem neuen Buch „Wann sind Frauen wirklich zufrieden“. Darin folgt er den Spuren des Gleichstellungskampfes, wühlt sich durch Glücksstudien und Datenmengen zu weiblicher Erwerbstätigkeit, befragt sein persönliches Umfeld. Dann nimmt er all diese Ergebnisse auseinander und setzt sie auf seine Weise wieder zusammen.
Herausgekommen ist ein überraschendes Fazit: Frauen geht es heute so gut wie nie zuvor, sie sind mit ihren Jobs genauso zufrieden oder unzufrieden wie Männer, bei Bewerbungen würden sie sogar bevorzugt berücksichtigt, und viele Mütter kleiner Kinder finden es richtig, dass vor allem sie und nicht die Väter die Betreuuung übernehmen. Brauchen wir also dieses Gendergedöns noch, wenn Frauen alles haben, alles machen und alles erreichen können, was sie wollen?
Martin Schröder sagt – das überrascht jetzt nicht – nein. Denn Diskriminierung von Frauen, so der Soziologe, sei heute nicht mehr objektiv messbar, Ungleichbehandlung dürfe man heute nicht mehr pauschal unterstellen. So ganz unrecht hat Schröder nicht. Frauen hatten in Deutschland tatsächlich noch nie so viele Möglichkeiten wie heute, selbstbestimmt und frei zu leben.
Sie können studieren oder eine Lehre beginnen, sich für einen Mann oder für eine Frau oder für niemanden als Lebenspartner:in entscheiden, sie können Kinder bekommen oder darauf verzichten. Sie können heiraten, sich scheiden lassen, alleine leben, abtreiben – ohne dass ihnen dabei das Gesetz oder die Gesellschaft ihnen im Wege stehen. Noch nie waren so viele Frauen berufstätig wie jetzt. Von allen Erwerbstätigen in Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt zufolge rund 47 Prozent Frauen.
10 Millionen Frauen leben allein
Seit Mitte der 90er Jahre ist die Zahl der alleinstehenden und allein lebenden Frauen um fast 16 Prozent auf knapp 10 Millionen gestiegen. Jede fünfte Frau hierzulande bleibt kinderlos – manche tragischerweise ungewollt, aber nicht wenige verzichten bewusst auf Nachwuchs. So hat die sozialwissenschaftliche Fakultät der Dualen Hochschule Gera im vergangenen Herbst in einer Studie herausgefunden, dass sich junge Frauen vielfach nicht wegen „der Umstände“ gegen Kinder entscheiden, sondern aus „individuellen Überzeugungen“, wie Studienleiterin Claudia Rahnfeld sagt.
Als häufige Gründe gaben die Frauen an, ohne Kinder mehr Zeit für Selbstverwirklichung zu haben. Kann man aus all dem nun schlussfolgern, dass Frauen in Deutschland tatsächlich gleichberechtigt, nicht mehr benachteiligt sind? Ein Blick auf das Manager Barometer, das regelmäßig Führungskräfte befragt, sagt Folgendes: Nur jede dritte Führungskraft ist eine Frau, nach wie vor müssen sich Frauen in Führungspositionen stärker beweisen als Männer, ohne Kinder haben Frauen bessere Aufstiegschancen.
Fazit des Managerbarometers: „Karriere geht für Frauen immer noch auf Kosten der eigenen Familie.“ Apropos Familie: 66 Prozent der berufstätigen Mütter arbeiten in einem Teilzeitjob. Bei den Vätern sind das nur 7 Prozent. Dabei würden viele Mütter mit Teil- oder keinem Job lieber öfter im Betrieb sein, als zu Hause Staub zu wischen, können das aber nicht, weil sie keinen Kita- oder Hortplatz haben. Bundesweit fehlen schon jetzt fast 400.000 Kitaplätze, Tendenz steigend. Frauen möchten genauso viel verdienen und dieselben Möglichkeiten auf Führungsjobs wie Männer haben.
Doch machen wir uns nichts vor. Natürlich gibt es auch die anderen, die Frauen, die freiwillig und gern zu Hause bei den Kindern bleiben. Keine Frau heute ist dazu verdammt, Karriere zu machen. Auch das ist ein feministscher Erfolg: Jede Frau kann einem Job nachgehen, sie muss es aber nicht. Ebenso gut können Frauen vorübergehend oder dauerhaft eine Teilzeitstelle annehmen. All diese Entscheidungen können Frauen in der Regel selbst treffen.
Geringere Rente nach Teilzeitarbeit
Allerdings sollten sie sich der Konsequenzen, auf die seit Jahren nicht nur Feminist:innen, sondern vor allem Ökonom:innen hinweisen, bewusst sein: Frauen, die weniger lohnarbeiten, verdienen logischerweise weniger Geld und haben später eine geringere Rente. Jede fünfte Frau ab 65 Jahren ist armutsgefährdet, bei den Männern sind es nicht einmal 18 Prozent.
Auch weil sogenannte Frauenjobs beispielsweise in der Pflege, im Gesundheitswesen, in der Bildung nach wie vor schlechter bezahlt werden als vermeintliche Männerberufe. Und weil die geschlechterspezifische Lohnlücke trotz Transparenzgesetz – Parameter wie Teilzeit, Elternmonate, weniger Führungspositionen abgezogen – noch immer bei 8 Prozent liegt.
Nicht wenige Ehepaare versuchen die finanziellen Teilzeitjob-Einbußen mit dem Ehegattensplitting aufzufangen. Dieses Steuermodell erhöht das Familieneinkommen signifikant, wenn die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau hoch sind – und mag dadurch zunächst gerecht wirken. Warum sollte eine Frau, die trotz geringer Erwerbsarbeit auf ein vordergründig ausgewogenes Familieneinkommen blickt, sich bemüßigt fühlen, dieses Lebensmodell aufzugeben?
Ganz einfach: Weil ein großer Einkommensunterschied zwischen Partner:innen ein Machtgefälle innerhalb der Beziehung erzeugen kann. Der Historiker und Finanzexperte Nikolaus Braun erzählt in seinem neuen Buch „Geld oder Leben“ unter anderem davon, wie Männer mit „ihrem Geld ihre Familien tyrannisieren“. Außerdem kann sich keine Frau sicher sein, dass der aktuelle Lebensentwurf bis in alle Ewigkeit hält. Das Statistische Bundesamt hat im Jahr 2021 eine Scheidungsrate von rund 40 Prozent ermittelt.
Auf drei Hochzeiten folgt damit rechnerisch eine Scheidung. Auf der sozialen Verliererseite stehen dann in der Regel die Frauen. Die Frage, ob Feminismus überflüssig ist, beantwortet sich von selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert