Geflüchtete in Deutschland: Was wir gelernt haben

Elitär, recherchefaul, pauschalisierend: Zwei Jahre nach Merkels „Wir schaffen das“ gibt es reichlich Medienkritik in Form von wissenschaftlichen Studien.

Eine Familie mit zwei Kindern

Kommen laut den Studienautoren nicht genug zu Wort: die betroffenen Personen Foto: dpa

Zwei Jahre ist es her, dass Bundeskanzlerin Merkel bei der Bundespressekonferenz einen Satz geäußert hat, der wahrscheinlich einmal als definierender Slogan ihrer Amtszeit hängen bleiben wird – so wie Helmut Kohls „blühende Landschaften“ in den neuen Bundesländern nach der Wende oder Barack Obamas Wahlkampf­slogan „Yes we can“, den Merkel hier – bewusst oder unbewusst – eingedeutscht hat: „Wir schaffen das.“

Gemeint war damit, dass der deutsche Staat die zu dieser Zeit stark zunehmende Zahl von Flüchtlingen aus Syrien, aber auch aus anderen Ländern des Nahen Ostens bewältigen könne. So wie es sich für einen guten Slogan gehört, ist er kraftvoll, ohne allzu präzise zu sein. Merkels Satz leitete eine polarisierende Debatte über Einwanderung ein, in der oft auch die Medien selbst in die Kritik gerieten.

Nun, zwei Jahre später, liegt eine Reihe von Studien vor, die sich mit der Berichterstattung vor allem der klassischen Nachrichtenmedien auseinandersetzen. Was also haben wir gelernt?

Merkel hat ihren Satz mehrfach wiederholt, dann unter dem Eindruck von Terrorangriffen von Flüchtlingen im Juli 2016 eingeschränkt („Ich habe nicht gesagt, dass es eine einfache Sache wird, die wir mal eben so erledigen können.“), und sich schließlich im September desselben Jahres von ihm als „unergiebige Endlosschleife“ verabschiedet.

Diese Entwicklung, die der Satz durchlaufen hat, scheint die Veränderungen in der Haltung der Bevölkerung zu reflektieren, die der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen zunächst mehrheitlich positiv gegenüberstand, bis die Vorfälle in der Silvesternacht 2015 in Köln und eine Reihe von Anschlägen die Stimmung zum Kippen brachte. Die deutsche Presse unterlag einer ähnlichen Stimmungskurve, wie zwei Studien zeigen, die in den letzten Wochen erschienen sind.

Aus Willkommenskultur wird Integrationsproblem

Zu Beginn sei die Berichterstattung über Flüchtlinge geprägt gewesen von dem Versuch, eine Willkommenskultur zu propagieren und Befürchtungen – die sich inzwischen teilweise als berechtigt herausgestellt hätten – in die rechte Ecke zu stellen, so eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall, die der Journalistikprofessor Michael Haller durchgeführt hat.

Haller, einst Redakteur bei Spiegel und Zeit, dann Professor an der Universität Leipzig, heute Forschungsleiter der Hamburg Media School, hat dazu 35.000 Artikel auswerten lassen, unter anderem hinsichtlich auftretenden Akteuren, Quellen und Tonfall.

In jüngerer Zeit scheinen in der Berichterstattung über Flüchtlinge hingegen Berichte zu überwiegen, in denen Migranten als Straffällige oder Tatverdächtige auftreten und in denen es um die Schwierigkeit ihrer Integration geht. Das ist wiederum das Ergebnis einer Studie von Thomas Hestermann, Journalismus-Professor an der Hochschule Macromedia. (Es kann an dieser Stelle nicht schaden, darauf hinzuweisen, dass Macromedia und die Hamburg Media School private Ausbildungsstätten für Journalisten und damit direkte Konkurrenten um zahlende Studenten sind.)

Aus einem Thema, das pragmatisch gelöst werden könnte, wird eine ideologische Debatte, in der es vor alle darum geht, wer recht hat

Hestermann hat die Berichterstattung der letzten Monate anhand einer weitaus kleineren Auswahl untersucht. Obwohl Nichtdeutsche weit überdurchschnittlich zu Opfern von Gewalt würden, kämen sie in der Berichterstattung eher als Gewalttäter vor. Selbst wenn man sich direkt mit Flüchtlingen beschäftige, erscheine die „Hoffnung auf eine erfolgreiche Integration […] als wirklichkeitsfremd.“

Beide Studien haben interessanterweise einen Kritikpunkt gemeinsam: Flüchtlinge selbst seien in den deutschen Medien kaum zu Wort gekommen. Die Debatte über sie führten vor allem Politiker, Experten, Behördenmitarbeiter und die Polizei. Statt aus eigener Anschauung und im Dialog mit den Betroffenen – neben den Flüchtlingen zum Beispiel auch die Flüchtlingshelfer – zu berichten, verlässt man sich offenbar auf die Statements von denjenigen, deren Job es ist, sich mit diesen Themen zu befassen.

Michael Hallers Team hat etwa erhoben, dass nur 6 Prozent der analysierten Artikel authentisch recherchierte Berichte oder Reportagen sind, denen etliche Meinungsstücke und berichte über Politikerreaktionen gegenüberstanden. So wird aus einem Thema, das pragmatisch gelöst werden könnte, eine ideologische Debatte, in der es vor allem darum geht, wer Recht hat.

Der Vorwurf, dass die deutschen Berichterstatter sich weniger für die Flüchtlinge per se, sondern eher für die politischen Streitereien, die sie auslösen, interessieren, wird auch in einer gerade erschienen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung untermauert, die sich mit der Illustration von Texten zum Flüchtlingsthema beschäftigt. Viel zu oft gehe es auch hier um die Standpunkte von Politikern – immer wieder illustriert mit stereotypen Symbolbildern von Frauen mit Kopftuch. Das Fazit: Politiker würden „als Individuen sichtbar gemacht“, während bei den Migranten Bilder zum Einsatz kämen, die sie „als Prototypus des generalisierten ,Anderen' sichtbar machen.“

Nah an der Elite, weit weg von der Realität

Was die Objektivität der Berichterstattung angeht, ist zumindest Michael Hallers Fazit vernichtend: „Der journalistische Qualitätsgrundsatz, aus neutraler Sicht sachlich zu berichten, wird in rund der Hälfte der Berichterstattungen nicht durchgehalten“, heißt es in der Studie der Hamburg Media School. „Insbesondere die Art und Weise, wie über die Positionierung eines Politikers berichtet wird, ist oftmals wertend und beurteilend, bei Vertretern der Opposition mitunter auch ,von oben herab‘.“

Zudem, so Haller weiter, schrieben die Korrespondenten oft „in einer Diktion, die persönliche Nähe, auch Vertrautheit zur politischen Elite suggeriert“. Wer hingegen in der Zeit der „Flüchtlingskrise“ nicht in den Chor der Unterstützer einer „Willkommenskultur“ eingestimmt habe, sei in eine „Diskursnische“ geraten und schnell in die Nähe von Rechtspopulisten wie der AfD gerückt worden.

Man mag sich natürlich die Frage stellen, ob die Konzentration auf Traditionsmedien wie Spiegel, die SZ oder Bild, die zumindest die Studien von Haller und Hestermann gemeinsam haben, wirklich die Medienlandschaft im Jahr 2017 abbilden – bei neuen Internetmedien wie Vice oder Buzzfeed sind differenziertere Beiträge zum Thema erschienen. Dazu kommt: Die Rolle der sozialen Medien bei der Verbreitung von Informationen wird in keiner der beiden Studien reflektiert.

Vielleicht würde es der deutschen Presse helfen, würde sie sich an Marx’„Deutsche Ideologie“ erinnern, wo Marx den deutschen Philosophie vorwirft, dass sie „vom Himmel (der Ideen) herabsteigt“, während der historische Materialismus „von den wirklich tätigen Menschen“ ausgeht. Für Marx sollte dieses Verfahren „Nebelbildungen im Gehirn“ verhindern. Eine tatsächliche Beschäftigung mit den Flüchtlingen, über die man berichtet, könnte eine ähnliche Wirkung haben.

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