Geflüchte an der EU-Außengrenze: Neue Sanktionen gegen Belarus
Brüssel will wegen der Flüchtlingspolitik des Minsker Regimes Strafmaßnahmen verhängen. Ob es Hilfe für die Migranten geben wird? Offen.
![Mit Scheinwerfern ausgeleuchtetes Grenzgebiet mit Stacheldraht Mit Scheinwerfern ausgeleuchtetes Grenzgebiet mit Stacheldraht](https://taz.de/picture/5213753/14/28796050-1.jpeg)
Auf Fragen nach der humanitären Krise der Migrant:innen und nach Möglichkeiten zur Lösung der Krise reagierte die EU jedoch ausweichend. „Wir sind nicht vor Ort“, sagte ein Vertreter der EU-Kommission. Polen hat es bisher abgelehnt, die Grenzschutzbehörde Frontex oder europäische Asylexperten in das Krisengebiet zu schicken. Die EU sei auf Wunsch jedoch bereit zu helfen, so der Beamte.
Auch gegen die Ankunft von Flüchtlingen aus Irak, Syrien und vielen anderen Ländern kann die EU nicht viel tun. Borrell und Kommissionsvize Margaritis Schinas wollen nun in die Herkunftsländer reisen, um das Ende der aus EU-Sicht unerwünschten Flüge nach Belarus zu fordern. Doch selbst befreundete Länder wie die Türkei oder Irak zeigen bisher wenig Neigung, dem Drängen aus Brüssel zu folgen.
In ihrer Not verlegen sich die Europäer auf neue Sanktionen. Die 27 Mitgliedstaaten beschlossen, die Visa-Vergabe an Verantwortliche des Lukaschenko-Regimes deutlich zu erschweren. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte weitere Strafen an. Ihre Behörde arbeite daran, Fluggesellschaften zu sanktionieren, die am Transport von Migrant:innen beteiligt seien, sagte von der Leyen.
Landeverbot in der EU
Schützenhilfe bekam die CDU-Politikerin von ihren Parteifreunden aus dem Europaparlament. „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass sich große staatliche Airlines aus der Nachbarschaft der EU zum Handlanger Lukaschenkos machen lassen“, sagte der Chef der CDU-Gruppe, Daniel Caspary. Nötig sei ein Landeverbot in der EU für alle beteiligten Airlines.
Eine ähnliche Forderung kommt auch von der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Am Donnerstag will sie ihren Antrag im Parlament einbringen – und damit wohl vor allem den Druck auf die Ampelparteien aufbauen, die voraussichtlich die nächsten vier Jahre regieren werden.
Die scheidende Bundesregierung hat zwar erst am Montag mit Blick auf die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze versichert, sich um alle Belange zu kümmern, die „keinen Aufschub dulden“. Sie werde aber „keine neuen Impulse“ setzen, teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit.
„Die deutsche Öffentlichkeit hat Anspruch darauf zu erfahren, welche Meinung die zukünftige Regierung denn zu diesem Thema hat“, beeilte sich CDU-Politiker Friedrich Merz am Dienstag zu fordern. Was Merz, der CDU-Parteichef werden könnte, vor allem interessieren dürfte: Wie sich die Ampel-Parteien zur möglichen Aufnahme der betroffenen Geflüchteten verhalten.
„Germany Germany“-Rufe
Die geschäftsführende Bundesregierung jedenfalls drückt sich um die Frage, ob sie den im Grenzstreifen zwischen Polen und Belarus feststeckenden Menschen – die ihre Bitte um Einreise nach Deutschland durch „Germany Germany“-Rufe kundgetan haben – helfen möchte. Noch-Innenminister Horst Seehofer (CSU) verlor am Dienstag kein Wort über deren Schicksal. Stattdessen kritisierte Seehofer Lukaschenkos Versuche, „die EU und ganz besonders Deutschland zu destabilisieren“ als „ganz fiese Methode, die man auf jedem Fall unterbinden muss“.
Auch Regierungssprecher Stefan Seibert äußerte sich am Montag nicht zu den betroffenen Geflüchteten. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat die Bundesregierung Warschau deutsche Polizisten zur Grenzsicherung angeboten. Pro Asyl kritisiert, dass der Grenzschutz wieder einmal im Mittelpunkt stehe.
Wie sich die mögliche neue Bundesregierung in dieser Frage verhalten wird, ist unklar. Für SPD, Grüne und FDP kommt der Streit mit Belarus jedenfalls äußert ungelegen. Deren Fachpolitiker:innen sitzen derzeit in den Arbeitsgruppen, die bis Mittwochabend den Koalitionsvertrag vorbereiten sollen. Über die Inhalte haben sie Stillschweigen vereinbart.
Entsprechend allgemein fallen auch die Antworten aus, wie man dem Konflikt begegnen solle. So begrüßte die grüne Migrationsexpertin Filiz Polat gegenüber der taz Sanktionen gegen Lukaschenko und forderte, dass alle EU-Staaten „zu jeder Zeit den völker- und europarechtlich garantierten Zugang zu einem Asylverfahren in der EU gewährleisten“ müssen.
Ähnlich äußerte sich auch der SPD-Politiker Lars Castellucci und verlangte, dass die europäische Grenzschutzagentur Frontex „sofort Zugang zum polnischen Grenzgebiet“ bekommen müsse. Ob sie jedoch dafür sind, Menschen in Deutschland aufzunehmen, ließen beide offen. Die FDP fand keine Zeit, die taz-Anfrage zu beantworten.
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