Geberkonferenz in Ramstein: Ukraine aufrüsten, Russland bremsen
Auf dem Ukraine-Gipfel in Ramstein wollen Kyjiws westliche Verbündete ihre Hilfe deutlich ausweiten, bevor Russland den Krieg erneut eskaliert.
Dabei erhofft sich die Ukraine von dem Treffen unter Vorsitz des US-Verteidigungsministers Austin nicht nur die bisher größte koordinierte Zusage militärischer Unterstützung seit dem russischen Überfall vom 24. Februar 2022. Es soll auch einen qualitativen Sprung geben: das Ende aller Tabus. „Für das nächste Ramstein-Treffen erhoffen wir uns neue mutige Schritte unserer Verbündeten, um die Kampfkraft der ukrainischen Armee qualitativ zu steigern“, sagte Vizeaußenminister Andrij Melnyk den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dabei dürfe es auch für Deutschland „keine roten Linien“ mehr geben. Der ehemalige Botschafter in Berlin forderte „Kampfpanzer, Kampfjets, Kriegsschiffe, Mehrfachraketenwerfer, Artillerie, Flugabwehr“ und „eine breite Panzerallianz“ des Westens, „deren Kern die Leoparden, Abrams und Challenger bilden sollten“.
Melnyk bezog sich damit auf die neue britische Zusage, 14 Kampfpanzer des Typs Challenger 2 zu liefern – die erste Zusage westlicher Kampfpanzer. Abrams-Kampfpanzer aus den USA sind ebenfalls im Gespräch. Vor allem wollen 13 europäische Länder, an erster Stelle Polen, Kampfpanzer des deutschen Typs Leopard 2 übergeben. Sie brauchen dafür die Zustimmung der Bundesregierung – Grüne und FDP sind dafür.
„Free The Leopards“ lautete der Slogan, mit dem Kyjiw dafür Werbung macht: Gebt die Leoparden frei. Am Mittwoch verabschiedete das EU-Parlament in Straßburg mit großer Mehrheit einen Antrag, der Bundeskanzler Olaf Scholz namentlich dazu auffordert, „ein europäisches Konsortium relevanter europäischer Länder zu initiieren, um ohne weitere Verzögerung Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern“. Diese Formulierung hatte der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer als Änderungsantrag zur Verabschiedung des jährlichen Berichts über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU eingebracht.
Zu wenig Zeit für eine große russische Winteroffensive
Die Idee: Nicht mehr die Lieferung von Kampfpanzern, sondern deren Verweigerung gilt als deutscher „Alleingang“, also als etwas, was Scholz ablehnt. „Wir müssen da vorangehen – und wir müssen im Geleitzug jetzt auch die Leopard 2 liefern“, sagte im ZDF der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Härte sei jetzt „die einzige Sprache, die Putin versteht“.
Denn die meisten Militäranalysten sind sich einig, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine vor einer neuen Eskalation steht. Der australische Militäranalyst Mick Ryan schreibt: „Russland muss Offensiven durchführen, um das 2022 von Putin annektierte Gebiet zu erobern. Es muss auch die eigene Öffentlichkeit vom Wert der Spezialoperation überzeugen und die Mobilisierung von Personal und Industrie in den vergangenen Monaten rechtfertigen. Zugleich will Russlands Militär die ukrainischen Streitkräfte allmählich auslaugen.“
Die höchsten Generäle der Ukraine rechnen mit einem erneuten Großangriff Russlands für den Zeitraum um den 24. Februar 2023. Einen „sogenannten finalen Vorstoß“ prognostizierte jetzt Oleksii Danilow vom Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine, vermutlich von Belarus aus.
Westliche Experten bezweifeln, dass Russland das so kurzfristig kann. Aus Sicht von Mick Ryan sind die Angriffskapazitäten Russlands nach den schweren bisherigen Verlusten geringer als sein Angriffswille. Für eine große Winteroffensive sei die Zeit zu knapp, analysierte diese Woche Ben Barty vom Londoner IISS (International Institute für Strategic Studies): „Für eine solche Initiative wird Russland für mindestens mehrere Monate nicht in der Lage sein.“ Damit eröffne sich aber ein Zeitfenster für die Ukraine, um besetzte Gebiete zu befreien.
Jede Woche setzten sich Politiker mit Putin an den berüchtigten langen Tisch
Und man will vorbereitet sein, wenn Russland doch so weit ist. Die russischen Vorbereitungen sind jedenfalls unübersehbar. Am Montag begannen gemeinsame russisch-belarussische Manöver in Belarus, genau wie vor der Invasion von 2022. Am Dienstag kündigte Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu eine Aufstockung und Neustrukturierung des Militärs an. Am Mittwoch erklärte Präsident Putin: „Der Sieg ist sicher.“ Das „Institute for the Study of War“ in den USA erwartet, dass Putin demnächst eine Mobilmachung von 500.000 Mann verkündet.
Der Countdown ähnelt dem des Jahresanfangs 2022. Damals bemühte sich der Westen noch, den drohenden Krieg mit Gesprächen abzuwenden. Jede Woche pilgerten Politiker nach Moskau, setzten sich mit Putin an den berüchtigten langen Tisch im Kreml oder ließen sich von Außenminister Sergei Lawrow belügen. Genau vor einem Jahr, am 18. Januar 2022, war die damals noch frische Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an der Reihe. Sie betonte die Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen und wurde von ihrem unbeeindruckten russischen Amtskollegen Sergei Lawrow abgekanzelt. Eine Woche später versprach die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine 5000 Helme als „ganz deutliches Signal“.
Jetzt, im Jahr 2023, will der Westen besser reagieren. Die Ukraine wird aufgerüstet, „wirksam, nachhaltig und eng abgestimmt“, so die Bundesregierung am Dienstag nach einem Telefonat zwischen Olaf Scholz und Joe Biden. US-Außenminister Anthony Blinken sagte zugleich bei einem gemeinsamen Auftritt mit seinem britischen Amtskollegen James Cleverly in Washington, man wolle „die Ukraine in die bestmögliche Position versetzen, wenn ein Verhandlungstisch auftaucht“. Er stellte klar: „Der schnellste Weg, diesen Krieg gerecht und nachhaltig zu beenden, Diplomatie und Verhandlungen zu erreichen, ist, der Ukraine die Oberhand auf dem Schlachtfeld zu geben.“
Am Montag hatte Großbritanniens Verteidigungsminister Ben Wallace im britischen Parlament das neue britische Ukraine-Hilfspaket, darunter die Challenger-Kampfpanzer, so vorgestellt: „Es ist eine wichtige Ausweitung der Kapazitäten der Ukraine. Es bedeutet, dass sie vom Widerstand zur Vertreibung russischer Streitkräfte von ukrainischem Boden übergehen können.“
In Washington ist noch Luft nach oben
Auf 25 Milliarden US-Dollar (18,5 Mrd. Euro) wird die US-Militärhilfe für die Ukraine seit Februar 2022 beziffert, rund die Hälfte aller Hilfen weltweit. Großbritannien und Deutschland stehen auf den zweiten und dritten Plätzen. In Washington ist noch viel Luft nach oben: Das im Mai verabschiedete „Leih- und Pachtgesetz“ der USA für die Ukraine – ein System, wonach die USA der Ukraine Rüstungsmaterial kostenlos zur Verfügung stellt, theoretisch auf Leihbasis, analog zum „Lend-Lease“- Programm der USA für Großbritannien im Zweiten Weltkrieg – ist bisher noch gar nicht angewendet worden. Es könnte aber Lieferungen unbürokratisch vervielfachen, während die Waffen formal US-Eigentum bleiben. Erwogen wird in diesem Rahmen die Verlegung ganzer Luftwaffengeschwader.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten