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Gebärstreik als Klimaschutz-MaßnahmeKinderlos fürs Klima?

Gastkommentar von Bernward Gesang

Die „birthstrike“-Bewegung diskutiert den persönlichen Verzicht auf Kinder für den Klimaschutz. Effizienter wären Spenden für mehr Geburtenkontrolle.

Kondome gegen die Klimakrise? Foto: imago

D er Verzicht auf Kinder scheint die radikalste und gemäß Studien der Lund-Universität in Schweden die effizienteste Maßnahme zu sein, die der Einzelne zum Klimaschutz beisteuern kann. Der Verzicht aufs Auto spart demnach 1 bis 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr, aber der Verzicht auf ein Kind 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Es hat sich eine eigene Bewegung namens „birthstrike“ gebildet, in deren Reihen diese Fragen diskutiert werden. Was ist davon zu halten?

Wer auf freiwilliger Basis Klimagase reduzieren will, sollte das vielleicht eher da tun, wo es am effizientesten ist. Dazu ein Rechenbeispiel: Ein Jahr lang auf Fleisch verzichten spart 450 kg Emissio­nen ein. Das bringt eine Ersparnis von 650 Euro. Setzt man diese Summe für durchdachte Spenden in Ländern des globalen Südens ein, vermeidet man 28.000 kg CO2. Spenden ist rund 50-mal effizienter, als den eigenen Fußabdruck zu kontrollieren, dafür gibt es viele Beispiele.

Bernward Gesang

ist Professor für Philosophie und Wirtschafts­ethik an der Uni Mannheim und Autor.

Zuletzt erschien von ihm: „Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte“; Hanser Verlag 2020.

Nun könnte man mit den Verfasserinnen meinen, auf Kinder zu verzichten sei aber viel effizienter als auf Fleisch zu verzichten. Auch hier kann Spenden jedoch mehr. Wenn weniger Kinderkriegen das effizienteste Mittel ist, kann man es durch Spenden besser durchsetzen. Man kann für den Einsatz von Verhütungsmitteln gegen ungewollte Kinder in der „Dritten Welt“ spenden. So vermeidet man wesentlich mehr Kinder, als man je privat in die Welt setzen könnte. Das Argument hinkt, dass CO2-Vermeidung in wohlhabenden Ländern ökologisches Schwergewicht habe, während in der Dritten Welt kaum emittiert werde.

In Zukunft werden wir hier eine Energiewende erleben, während die Dritte Welt nachholendes Wachstum auslebt. Aber: Wer sind wir, dass wir bevölkerungspolitisch Einfluss auf den globalen Süden nehmen, nur um unseren (Klima-)Wohlstand nicht zu gefährden? Erstens stellen wir aber mit Verhütungsmitteln und Beratung nur ein Angebot zur Verfügung, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Durch Aufklärung und Verhütung kämpft man auch gleichzeitig für Frauenrechte, Bildung und gegen Armut. Zweitens geht es nicht um unseren Wohlstand, sondern darum, so viele Emissionen zu vermeiden wie möglich.

Bevölkerungspolitik durch Anreize ist verantwortbar

Über den Weg des Spendens gäbe es noch viel zu sagen: etwa, dass er nur eine Zeit lang zu begehen ist und dass dies kein Ablasshandel ist, solang man nicht nur Emissionen kompensiert, sondern systematisch mehr spendet, als man selber emittiert. Wir sind einem Denken verhaftet, das besagt: Ich selbst und mein Verhalten bin der ­Nabel der Welt. Bei mir muss ich anfangen und das muss wehtun. Das ist falsch. Es geht nicht um meinen moralischen Masochismus, sondern ­darum, möglichst viel Klimagas einzusparen.

Es geht nicht um moralischen Masochismus, sondern darum, möglichst viel Klimagas einzusparen

Wir sollten uns zudem freiwillig so engagieren, dass wir uns nicht überfordern. Wer sich wirklich Kinder wünscht, wird durch die Unterdrückung dieses Wunsches langfristig unglücklich werden. Jedenfalls ist dieser Weg nicht nur ineffizient, wie der ganze Ansatzpunkt am ökologischen Fußabdruck, sondern er verschleißt auch die Motivation zum Klimaschutz. Der Verzicht auf eigene Kinder für den Klimaschutz verbindet hohe Wohlergehenskosten mit mangelnder Wirkung. Keine gute Kombination.

Neben der privaten hat die Frage der Geburtenkontrolle auch eine politische Dimension. Die neue Bundesregierung will den Klimaschutz im Inland anpacken. Dabei darf sie nicht vergessen, dass sie im Ausland wesentlich mehr als 2 Prozent der weltweiten Emissionen beeinflussen kann. Deshalb hat sie den Klimaschutz ja auch zum Teil im Außenministerium angesiedelt. Ungenutztes Potenzial ließe sich dabei bei der Bevölkerungspolitik nutzen.

Geburtenkontrolle bietet sich als Stellschraube für den Klimaschutz politisch besonders deshalb an, weil sie Staaten kaum etwas kostet, ja sogar Geld sparen hilft. Sie durchzuführen bedeutet keinen globalen Wettbewerbsnachteil und sie erfordert keine technologischen Wunder und Risiken.

Gegen eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle spricht aber: Die freie Wahl der Nachkommenzahl ist ein Grundrecht, das etwa vom achten Prinzip der UN-Kairo-Konferenz betont wird. Eine weitere häufige Kritik an jedweder Bevölkerungspolitik ist die, dass hier die Privatsphäre der Menschen derart stark berührt sei, dass Staaten sich gänzlich zurückzuziehen hätten. Der Gedanke einer „mit Zwang“ vertretenen Bevölkerungspolitik wird von Kirchen und vielen NGOs abgelehnt. Weiterhin muss hinterfragt werden, ob weniger Kinder wirklich einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Antwort ist eindeutig: Dieser Beitrag soll nach Daten der US-Akademie der Wissenschaften schätzungsweise ein Fünftel einer Reduktion der Klimagase bringen, die wir benötigen.

Wie könnte man diese lohnende Politik konform mit den Menschenrechten umsetzen?

Einerseits kann man nur ein Angebot zur Verfügung stellen und es dabei bewenden lassen. Aber man könnte auch staatliche Anreize zur Verhütung zur Verfügung schaffen. Ein Verbot des Kinderkriegens, das mit hohen Freiheitsstrafen sanktioniert wird, wäre ein Zwang. Und eine Aufhebung des Rechts auf freie Fortpflanzung. Aber was, wenn die Ausübung eines Rechtes nur erschwert wird?

Staaten setzen fortwährend Anreize und Sank­tio­nen, die bestimmte Rechtsausübungen erschweren oder erleichtern. Im Falle der Bevölkerungspolitik leben wir aktuell in einem System, das starke Anreize für das Kinderkriegen setzt, wie das Kindergeld. Niemand wird behaupten, dass derlei Anreize es verunmöglichen, sich gegen Kinder zu entscheiden. Solange aber niemand gezwungen wird, bewegt man sich im grünen Bereich- Bevölkerungspolitik durch Anreize und Sanktionen ist prinzipiell verantwortbar, ebenso ein Fonds für solche Anreize seitens der Europäer. Ob Staaten Mittel aus diesem „Populationsfonds“ abrufen, unterliegt selbstverständlich ihrer souveränen Entscheidung.

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15 Kommentare

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  • Ach und wer spenden will: Lebenschancen International e. V.

  • Das schlichteste Gegenargument ist doch, dass dann je ein Mensch weniger geboren wird, der umweltbewusst erzogen werden würde. Und all die weiter gebären, denen solche Überlegungen schnurz sind.

    • @TV:

      Das Gegenargument ist nicht schlicht, sondern zu schlicht. "Umweltbewußte Erziehung" führt nicht zu weniger Umweltschädigung. Weniger Einkommen schon. Ein armer Mensch, dem die Umwelt egal ist, hat einen geringeren CO₂-Ausstoß als ein wohlhabender Mensch, dem die Umwelt wichtig ist, aber eben auch die ein oder andere Fernreise und deutlich mehr (zu beheizender) Wohnraum.

  • Ob sich ein paar weiße Wohlstandsmenschen in Prenzlauer Berg bewusst gegen ein Kind entscheiden, dürften dem Ökosystem Erde ziemlich Wurscht sein. Eine typische Wohlstandsdebatte, bei der es im Kern nicht um Klimaschutz geht.

    • @Phineas:

      Kann ich nur zustimmen. Solange sich z.B. die Bevölkerungszahl in Afrika alle 30 Jahre verdoppelt, wird dies wirkungslos bleiben.



      Die "birthstrike-Bewegung" ist nur der Versuch, den eigenen, egoistischen Lebensstil als Klimaschutzmaßnahme zu verbrämen.

  • Wie kommt es zu den hohen Emissionszahlen pro Kind? Kinder emittieren nicht nur für sich selbst, sondern sie setzen statistisch weitere Kinder in die Welt und diese ganze Generationskette zählt. Wenn ich ein Kind verhindere, verhindere ich auch seine Nachfahren und deren Emissionen gehen in die Bilanz mit ein. In der Studie heißt es: "Bei diesem Ansatz wird die Hälfte der Emissionen eines Kindes jedem Elternteil zugewiesen, ebenso wie sowie ein Viertel der Nachkommen dieses Kindes (der Enkelkinder) und so weiter. " In: Seth Wynes and Kimberly A Nicholas "The climate mitigation gap: education and government



    recommendations miss the most effective individual actions" Environ. Res. Lett. 12 (2017).



    Zum zweiten Punkt: genau das Beispiel soll verdeutlichen, dass Spenden bis zu 50 mal mehr CO2 einsparen kann als fleischlos Leben. Jetzt kann man überlegen, das Fleisch wegzulassen und zu spenden. Oder man isst weiter Fleisch, spendet aber nach meinem Ansatz mehr als man damit schadet.

  • Kind ist nicht gleich Kind. Ein Kind im globalen Süden trägt viel weniger zu CO₂-Emissionen bei als ein Kind in Europa.

    Daher: Hier keine Kinder in die Welt setzen und das eingesparte Geld spenden!

    Auto, Handy, Fernseher und Konsum von Tierprodukten sind auch verzichtbar. Vor allem, wenn man keine Kinder hat.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Viele Frauen in den ärmeren Ländern bekommen Kinder unter Zwang. Sie würden liebend gerne weniger Kinder bekommen, die dann bessere Lebenschancen hätten, und auch selber ein Leben außerhalb der Familie haben. Was sie daran hindert sind patriacharlische Traditionen und die verschiedenen Religionen die für die Frauen nur eine einzige Rolle vorschreiben.

  • Es ist das gute Recht jeder Frau, jeder Familie, auf Kinder zu verzichten. Wer das jedoch zur vorgeblichen Klimarettung auf Basis kaum belastbarer Zahlen propagiert, verweigert Kindern aktiv ihr Recht, gezeugt, geboren zu werden und zu leben. Das ist ein grausamer, egomanischer Exzess, der durch nichts zu rechtfertigen ist.

    • @naichweissnicht:

      Ich wußte nicht, daß Kinder ein Recht auf Zeugung haben. Wo steht das?

      Wenn es so ein Recht gibt, ist ja jede Nutzung eines Kondoms schreiendes Unrecht!

  • Sind die Zahlen zwingend?

    Ein Kind soll 23-110 t/CO2 pro Jahr "produzieren"?



    Woher kommt dann der Durchschnittswert von 8 t/ Jahr pro Person in D? Also, als Senior nur noch 2 t/ JAhr? Das ist weniger als in Entwicklungsländern.

    Auch sonst gibt es Jesus Effekte: Fleischlos ernähren spart 450kg, und wenn man den Geldbetrag (650 Euro) überweist, nochmal 28.000kg? Also, wundersame CO2 EInsparungsvermehrung. Wenn die 28.000 kg korrekt sind, spielen die 450 kg kaum noch eine Rolle. Warum also nicht 700 Euro überweisen und weiterhin Fleisch essen? Der EInspareffekt im globalen Süden wäre doch viel stärker.

  • Das effizienteste Mittel den CO2 Ausstoß auf Null zu reduzieren ist natürlich die Menschheit aussterben zu lassen. Aber das wünscht sich vermutlich nicht mal die "birthstrike" Bewegung.

    Ansonsten ist es im Artikel ja bereits beschrieben: Sich für Bildung und Wohlstand in Ländern der dritten Welt einzusetzen hat einen deutlich größeren Einfluss auf das (durchaus problematische) Bevölkerungswachstum als hier bei uns öffentlichkeitswirksam auf ein oder zwei Kinder zu verzichten..

    • @CrushedIce:

      nur mal so als Zahl: 50-100tausend Menschen genügen zur Erhaltung der Art Mensch...



      Derzeit haben wir also mehr als Faktor 10000 als "Sicherheit"

  • Ich habe mal gelesen, der Planet verträgt max. 3 Milliarden Menschen - wir steuern aktuell auf das 3fache zu

    Ich habe vor Jahren ebenfalls gehört: eine indische Bauerfamilie (kein Strom, Wasser, Abwasser) benötigt im ganzen Leben (einer Generation) so viel Energie wie die Kunstoff-Windeln eines westlichen Babies im ersten Lebensjahr.

    Klima retten ohne strenge Kontrolle der Weltbevölkerung? Don Quijote läßt grüßen.

    • @danny schneider:

      So ist das mit den mal gehörten Zahlen, sie fügen sich perfekt in das ein, was man behaupten will.



      Ich hab mal gehört, 11 Milliarden wären überhaupt kein Problem für das Ökosystem der Erde.



      Die indische Bauernfamilie wäre vermutlich froh, weniger Kinder zu haben, wenn sie wüsste, wie sie das hinbekommen soll (Verhütung un dAltersvorsorge sind hier gleichermaßen das Problem)



      Und wer hier der birthstrike-Bewegung angehört, wollte sich wahrscheinlich ohnehin nicht vermehren. Schade, wenn es noch immer eine moralische Bewegung braucht, um diese Entscheidung rechtfertigen zu müssen.