Gastkommentar „Sea-Watch 3“: Eine selbstgerechte Diskussion
In Deutschland wird Kapitänin Carola Rackete wie eine Superheldin gefeiert. Doch die Diskussion ist ziemlich selbstgerecht.
A uf Facebook, Twitter und in Leitartikeln werden Superhelden-Schlachten ausgetragen: Carola Rackete, Kapitänin der Herzen, im Kampf gegen den Hulk Matteo Salvini. Dazwischen die Migranten, kostbar sowohl für die eine als auch für den anderen.
Der Hulk treibt sein Unwesen nur in Italien, nicht auf Malta oder in Tunesien, wohin die „Sea-Watch 3“ ihre 53 im Mittelmeer geretteten Migranten auch hätte bringen können. Aber das hätte dann keiner gemerkt: Außenminister Maas hätte nicht getwittert, Staatspräsident Steinmeier nicht gemahnt und das Spendenkonto wäre auch nicht übergelaufen. Salvini wiederum braucht die „Sea-Watch“ ebenso dringend wie sie ihn, am liebsten zwei Mal täglich: Dank des Medienspektakels um die „Sea-Watch“ fällt niemandem auf, dass Salvini eigentlich regieren müsste, statt Sprüche zu klopfen.
Italien hat seit Jahrzehnten die Erstaufnahme der Migranten in Europa zu bewältigen, mit Seenotrettung, Gesundheitschecks und Screenings. Und Europa tut alles dafür, um Salvini die nötige Schützenhilfe zu geben: Alle berufen sich auf die Dublin-Verordnung, der zufolge ein Flüchtling in jenem Staat um Asyl bitten muss, in dem er den EU-Raum erstmals betreten hat. Und Italien zieht den Kürzeren.
Dass die „Sea-Watch“ beim Durchbrechen der Blockade von Lampedusa in Kauf nahm, das Motorboot der italienischen Zoll- und Steuerpolizei zu rammen, kommentierte Staatsanwalt Luigi Patronaggio, der die Ermittlungen leitet: „Humanitäre Gründe rechtfertigen es nicht, dass das Leben von Offizieren aufs Spiel gesetzt wird, die auf See für die Sicherheit aller arbeiten“, sagte er – der gewiss nicht verdächtigt werden kann, ein Anhänger Salvinis zu sein: Er war es, der im Fall des festgesetzten Flüchtlingsschiffs „Diciotti“ gegen Salvini ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung eingeleitet hat.
Petra Reski ist eine deutsche Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt seit 1991 in Venedig. Zuletzt erschien von ihr Buch „100 Seiten Mafia“ (Reclam 2018).
Wieder mal hat Deutschland Noten verteilt. Und wieder mal ist Italien durchgefallen. Etwas weniger Selbstgerechtigkeit würde Deutschland und Europa guttun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen